Nuklearantriebe

Der Nuklearantrieb ist eine gute Alternative zum chemischen Antrieb.

Autor: Gero Schmidt und Martin Ollrom.

Es gibt zwei Grundtypen: nuklear-thermische Triebwerke mit festem und mit gasförmigem Kern (Solid Core Nuclear Rocket-SCNR und Gas Core Nuclear Rocket-GCNR). Hier soll vor allem auf solche mit festem Kern eingegangen werden, da deren Entwicklung sehr viel weiter fortgeschritten ist, als die von Triebwerken, die einen gasförmigen Kern nutzen. Bis heute wurde kein Prototyp eines Triebwerks mit gasförmigem Kern gebaut und viele technische Fragen sind noch ungeklärt. Nuklear-thermische Triebwerke mit Festkernreaktor funktionieren folgendermaßen: Der Treibstoff (in aller Regel flüssiger Wasserstoff; aufgrund seines geringen Molekülgewichts lassen sich mit ihm die höchsten Ausströmungsgeschwindigkeiten erreichen) wird mittels einer Turbopumpe zur Kühlung zuerst durch alle Triebwerkskomponenten, die nicht zum Reaktorkern gehören, gepumpt; zum Beispiel durch die Schubdüse, die andernfalls bei den auftretenden Temperaturen schmelzen würde (regenerative Kühlung wie beim chemischen Triebwerk). Dann gelangt er in den Kern selbst; er fließt durch die Zwischenräume der heißen Brennelemente, wo er augenblicklich gasförmig wird und auf eine Temperatur von 2000-3000° C erhitzt wird und expandiert. Durch die Düse wird die thermische Energie des Treibstoffs in kinetische Energie umgewandelt und das mit hoher Geschwindgkeit ausströmende Gas erzeugt Schub. Ein Teil des Wasserstoffs wird abgezweigt, um den Gasgenerator anzutreiben, der wiederum die Turbopumpe antreibt. Die erreichten Ausströmungsgeschwindigkeiten bei nuklear-thermischen sind etwa doppelt so hoch wie bei chemischen Triebwerken, die besten bisher gebauten Triebwerke erreichten einen spezifischen Impuls von etwa 900s. Der Massendurchsatz ist jedoch geringer, so dass chemische Triebwerke trotzdem den höheren Schub aufweisen. Die Eigenschaften der verwendeten Materialien setzen den Temperaturen, auf die der Treibstoff aufgeheizt werden kann, Grenzen, und damit den erreichbaren Ausströmungsgeschwindigkeiten.
Bei Triebwerken mit gasförmigem Kern versucht man eben dieses Problem zu umgehen: Der Kernbrennstoff wird gasförmig (damit fällt die Temperaturgrenze weg) und die bei der Spaltung des Gasatome entstehende Hitze wird genutzt um den durchströmenden Treibstoff durch direkten Kontakt zu erhitzen, wobei sich Kernbrennstoff und Treibstoff vermischen und durch eine Düse ausströmen. Die Schwierigkeit besteht unter anderem in den enormen Drücken, die bei diesem Prozess auftreten, und darin, die Verluste an Kernbrennstoff gering und seinen Zustand stabil zu halten. Solche Triebwerke hätten aber, sollten sie eines Tages gebaut werden, herausragende Eigenschaften: Ausströmgeschwindigkeiten um 50 km/s würden einen spezifischen Impuls von 5000-6000s ermöglichen.

Bei der Kernspaltung, die die Energie liefert, läuft folgender Prozess ab: Atome, oder genauer gesagt, Isotope (Atome mit abweichender Kernstruktur; die Isotope eines bestimmten Elements enthalten im Kern alle dieselbe Anzahl von Protonen aber eine abweichende Anzahl von Neutronen, haben also ein anderes Atomgewicht) mit einer besonders hohen Anzahl von Kernteilchen (Nukleonen) werden mit Hilfe von Neutronen gespalten. Das Uran-Isotop U235 ist das einzige natürlich vorkommende Nuklid, bei dem schon die beim bloßen „Andocken“ eines Neutrons freiwerdende Bindungsenergie ausreicht, es zu spalten. Dieselbe Eigenschaft weisen sonst nur noch U233 und Pl239 auf, die jedoch nicht in der Natur vorkommen, sondern synthetisch hergestellt werden müssen. Bei der Kernspaltung wird die Bindungsenergie, die vorher die Protonen und Neutronen im Kern zusammenband, zum Teil in Form von Wärme freigesetzt. Außerdem werden weitere Neutronen frei, die nun ebenfalls Atomkerne spalten, so dass eine Kettenreaktion in Gang kommt.
Grundsätzlich unterscheidet man zwei verschiedene Reaktortypen: schnelle und thermische Reaktoren. Der Hauptunterschied ist der, dass schnelle Reaktoren im Gegensatz zu thermischen Reaktoren ohne einen Moderator arbeiten. Ein Moderator ist ein Material, welches die bei Kernspaltungsreaktionen auftretenden Neutronen abbremsen und somit die Wahrscheinlichkeit erhöhen soll, dass sie „eingefangen“ werden und so weitere Spaltungen auslösen. Schnelle Reaktoren brauchen somit weit mehr Brennstoff/spaltbares Material, um die Kettenreaktion am laufen zu halten als thermische Reaktoren, welche wie gesagt einen Moderator nutzen. Man sagt: Sie brauchen eine höhere kritische Masse spaltbaren Materials.
Nun gibt es auch noch zwei verschiedene Arten von thermischen Reaktoren: homogene thermische und heterogene thermische Reaktoren. Bei homogenen Reaktoren liegt der Moderator in unmittelbarer Nähe zum Kernbrennstoff, d.h. er muss sehr hohen Temperaturen widerstehen können. Hier kommt ausschließlich Graphit in Frage, doch auch dieser Soff braucht einen Schutzüberzug, um dem vorbeiströmenden heißen Wasserstoff standzuhalten.
Eine Standardanordnung für einen heterogenen Reaktor sieht folgendermaßen aus: Der Moderator (in diesem Fall identisch mit dem Reflektor, einem Material, das dem Kern entwichene Neutronen diesem wieder zuführt) umschließt den Kern und ist thermisch von diesem isoliert. Somit können auch andere (effektivere) Moderatormaterialien zum Einsatz kommen, da die Eingrenzung durch Temperaturwiderstandsfähigkeit wegfällt; es können z.B. leichtes und schweres Wasser oder Beryllium als Moderator verwendet werden. Der Moderator/Reflektor sorgt wie gesagt dafür, dass möglichst wenige Neutronen aus dem Kern entweichen und erfüllt somit dieselbe Aufgabe wie ein Moderator in einem homogenen Reaktor: Die Wahrscheinlichkeit für Kernspaltungen erhöhen.
Die Steuerung der Kettenreaktion erfolgt in nuklear-thermischen Triebwerken mit Hilfe von Steuerstäben, die, je nachdem, ob die Leistung des Reaktors erhöht oder gesenkt werden soll, mehr oder weniger tief in den Kern eingeführt werden. Sie sind aus einem Material gefertigt, welches Neutronen besonders gut absorbiert und somit die Anzahl der Kernspaltungen senken kann. Eine weitere wichtige Komponente des nuklear-thermischen Triebwerks ist eine wirksame Abschirmung gegen schnelle Neutronen und Gammastrahlen, die bei Kernspaltungen entstehen. Als Neutronenschild fungiert der Treibstoff, also Wasserstoff, und gegen Gammastrahlen eignen sich schwere Elemente wie Blei als Schild.

Darstellung des NERVA-Triebwerks (Bild: NASA)

Geschichte
Schon sehr früh machte man sich Gedanken über den Einsatz nuklearer Energiequellen in der Raumfahrt. Der erste war wohl Robert Goddard (1906/7) wenn auch der Franzose Robert Esnault-Pelterie solche Ideen erstmals in der Öffentlichkeit vertrat. Andere Pioniere der Raumfahrt wie Oberth oder Ziolkowsky ignorierten die Möglichkeiten nuklearer Antriebe oder hatten große Zweifel, was ihre praktische Umsetzung anbelangte. Konkreter war schon die Idee einer Nuklearrakete von Krafft Ehricke (1939).
Nach dem zweiten Weltkrieg dachte man über die Nutzung von Nukleartriebwerken in Langstreckenraketen nach, was sich jedoch durch die fortschreitende Verbesserung chemischer Triebwerke erübrigte.
Die tatsächliche Entwicklung begann in den USA 1956 mit dem Start des ROVER-Programms. Ziel war es, einen Kernreaktor für den Einsatz in einem entsprechenden Triebwerk zu entwickeln. 1963 startete das NERVA (Nuclear Engine for Rocket Vehicle Application)-Programm, welches auf ROVER aufbaute und das bis heute am weitesten entwickelte nuklear-thermische Triebwerk hervorbrachte und zahlreiche erfolgreiche Tests am Boden durchführte (NERVAs Vorgänger waren Triebwerke namens KIWI, die von Anfang an ausschließlich zu Testzwecken dienten und niemals fliegen sollten). Ursprünglich sollte NERVA oder eine weiterentwickelte Version dann als Oberstufe (dritte Stufe in diesem Fall) einer Saturn V zum Einsatz kommen. Die Testflüge sollten Mitte der 70er Jahre beginnen und schließlich interplanetare bemannte Missionen in den 80er Jahren ermöglichen, doch Budgetkürzungen und Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Umweltverträglichkeit verhinderten dies. Das Programm wurde 1972 endgültig eingestellt.
Während der kurzlebigen Weltraumerforschungs-Initiative (Space Exploration Initiative, 1989-1992) von Präsident Bush Sr. gab es einige Studien und auch das US-Militär startete Ende der 80er Jahre ein Entwicklungsprogramm namens „Timberwind“. Einsatzfähige Triebwerke wurden aber nach NERVA in den USA nicht mehr entwickelt. Auch in Russland bzw. der früheren Sowjetunion gab es Anstrengungen, nuklear-thermische Triebwerke zu bauen, doch auch hier wurden die Prototypen lediglich am Boden getestet. Das einzige Triebwerk, das bis zu einer mit NERVA vergleichbaren Stufe entwickelt wurde, trug die etwas kryptische Bezeichnung RD-0410. Die Entwicklungsarbeiten liefen von 1965-1994. Dessen geplanter Nachfolger, RD-0411, ein Triebwerk, das für russische bemannte Marsmissionen eingesetzt werden sollte, wurde nie gebaut. Momentan gibt es nirgends auf der Welt Entwicklungsprogramme für nuklear-thermische Triebwerke, doch könnte sich das bald ändern, nun da die NASA wieder ernsthaft über bemannte Mond- und Marsmissionen nachdenkt.

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