MT Aerospace und ArianeGroup unterzeichnen Vertrag zur Prototypenentwicklung für optimierte Ariane-6-Oberstufe. Eine Pressemitteilung der OHB SE Bremen.
Quelle: OHB SE.
Augsburg. Die MT Aerospace AG, ein Tochterunternehmen des Raumfahrt- und Technologiekonzerns OHB SE, wurde von ArianeGroup GmbH im Rahmen des Future Launchers Preparatory Programs der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) mit der weiterführenden Technologieentwicklung für eine zukünftige schwarze Oberstufe für die europäische Trägerrakete Ariane 6 betraut. Bei der beauftragten Entwicklung der Treibstofftanks und Strukturen sind die Vorteile des smarten Werkstoffs CFK (kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff) gefragt.
PHOEBUS, ein Großdemonstrator für die künftige schwarze Raketenoberstufe
In der Technologieentwicklung PHOEBUS (Prototype Highly OptimizEd Black Upper Stage) für die künftige, optimierte Oberstufe*) namens „ICARUS“ setzt man voll auf CFK: Die Verwendung des smarten Werkstoffes Kohlefaser soll es möglich machen, weitgehend auf metallische Komponenten der Oberstufentanks und -strukturen zu verzichten. Das spart Masse, was sich positiv auf die Kosten jedes Raketenstarts auswirkt und ermöglicht es, mehr sogenannte Nutzlastmasse (z.B. Satelliten) in den Weltraum zu transportieren: Jede mit einer schwarzen (so genannt wegen des dunklen Werkstoffs CFK) Oberstufe ICARUS ausgerüstete Rakete wird zusätzlich bis zu zwei Tonnen Nutzlast an Bord nehmen können.
In den kommenden drei Jahren wird ein Oberstufen-Demonstrator entwickelt und gefertigt, der seine Funktionsfähigkeit im abschließenden, von ArianeGroup GmbH durchgeführten Systemtest unter Beweis stellen muss. Die Tank-Prototypen für flüssigen Wasserstoff (LH2) und flüssigen Sauerstoff (LOX) werden in beinahe Realgröße gefertigt, das heißt, sie sind etwa 2,5 Meter hoch, ihr Durchmesser beträgt 3,5 Meter. „Unsere kryogenen Treibstofftanks aus CFK müssen sich an den Eigenschaften und der Zuverlässigkeit ihrer metallischen Vorgänger messen lassen“, erklärt Hans Steininger, der Vorstandsvorsitzende der MT Aerospace AG. „Durch die Leichtbauweise aus CFK-Material und den damit verbundenen Designmöglichkeiten kann die geforderte Gewichtseinsparung im Vergleich zur heutigen Metallversion voraussichtlich sogar übererfüllt werden.“
Tank-Prototyp bewährte sich im Test
Einen Meilenstein konnte die MT Aerospace AG bei der Technologie-Entwicklung bereits setzen. Ein speziell entwickelter CFK-Tank bewies im Test, das „Zeug“ zur Raketenkomponente zu haben – auch bei frostigen Temperaturen von -183°C beim Test auf Sauerstoffkompatibilität „Die Testergebnisse sind sehr ermutigend, denn unser Tank konnte den hohen Anforderungen, die sich aus den aggressiven Treibstoffkomponenten ergeben, standhalten. Wir freuen uns auf die weiteren Entwicklungsarbeiten für die optimierte Raketenoberstufe“, ergänzt Hans Steininger.
„Safety first!“ bei Treibstofftanks
Für den Antrieb der Oberstufe im Weltraum werden die Tanks vor dem Raketenstart mit den äußerst reaktiven Treibstoffkomponenten betankt. Daher müssen bei der Entwicklung wasserstoffdichter und sauerstoffkompatibler CFK-Tanks für die kryogene Anwendung extrem hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt werden. „Gerade der Sauerstoff ist höchst reaktiv, der Wasserstoff zudem extrem flüchtig. Einen Kohlefaser-Tank in diesem extremen Temperaturbereich ohne zusätzliche Barriere-Schicht dicht zu bekommen, sei eine große Herausforderung, erklären die damit betrauten Ingenieurinnen und Ingenieure bei der MT Aerospace AG. Sie sind vom Potential des kohlefaserverstärkten Kunststoffes überzeugt und wollen es nutzen, schweren metallischen Werkstoff ohne Qualitäts- oder Sicherheitseinbußen zu ersetzen. CFK ist im Automobilbau und beim Sport in Fahrrädern oder Tennisschlägern schon längst Standard. Künftig soll dies auch für Raketenkomponenten gelten.
Smarter Werkstoff CFK
Die MT Aerospace AG zählt zu den führenden Unternehmen im Leichtbau aus Metallen und Verbundwerkstoffen und ist seit Jahrzehnten in der Luft- und Raumfahrt tätig. Hier kommt es oft auf jedes Gramm an. Außerdem auf höchste Präzision und Verlässlichkeit, auf Reproduzierbarkeit und die Einhaltung internationaler Standards. Über fünf Jahrzehnte hinweg konnte dank verschiedener Entwicklungsaufträge (von der Ariane 1 bis zur Ariane 6) und der beauftragten Serienproduktion ein wertvoller Erfahrungsschatz aufgebaut werden. Außerdem verfügen die Augsburger über jahrzehntelange Erfahrung in der Produktion von CFK-Flugzeugtanks (Frisch- und Abwassertanks). Seit fast zehn Jahren betrachten die Werkstoffspezialisten CFK verstärkt für den Einsatz in der Raumfahrt und insbesondere bei Raketenkomponenten. Diese Expertise brachte das Unternehmen bereits bei der erfolgreichen Entwicklung eines Feststoff-Motorgehäuses (Booster) ein.
CFK eröffnet auch im Fertigungsprozess neue Möglichkeiten: Die Verwendung von CFK lässt beispielsweise ein integriertes Design zu, das heißt, es gibt weniger einzelne Komponenten als bei einem metallischen Pendant, dessen einzelne Komponenten sich nicht in einem Fertigungsprozess herstellen lassen, sondern im Nachgang miteinander verschweißt oder montiert werden müssen. Dies wirkt sich weiter positiv auf die Produktkosten aus.
Entwicklungsprojekte im Entwicklungsprojekt
Der Übergang von metallischen auf Verbundwerkstoffe stellt einen Paradigmenwechsel bei Oberstufendesign und -produktion dar. Die dafür notwendigen Entwicklungsaufgaben sind vielfältig: Das Design muss genau wie die Fertigungsprozesse und die Produktionseinrichtungen der Komponenten entwickelt und festgeschrieben werden, der ideale Werkstoff gefunden, die Anlagen z.B. zum automatisierten Ablegen der Kohlenstofffaser sowie zum Aushärten des Bauteils, beschafft und justiert werden, Methoden zum Endbearbeiten sowie zur Qualitätssicherung etwa durch zerstörungsfreie Testmethoden müssen erarbeitet, erprobt und validiert werden. Bei der MT Aerospace widmen sich daher mehr als 40 Ingenieurinnen und Ingenieure ganz unterschiedlicher Fachrichtungen der CFK-Oberstufenentwicklung.
*) Raketenoberstufe: Bei der Entwicklung der künftigen „Black Upper Stage“ wurde die MT Aerospace mit den Tanks für flüssigen Wasserstoff und flüssigen Sauerstoff inklusive der zugehörigen Strukturen betraut. Im Zusammenspiel mit den von ArianeGroup gelieferten Komponenten, wie dem mehrfach zündbaren Vinci-Triebwerk und den verschiedenen fluidischen, hydraulischen und elektronischen Kontroll- und Steuerungssystemen bildet dieses ebenfalls von ArianeGroup integrierte System die Reiseplattform für die Satelliten ins All, bevor sie von der Oberstufe separiert werden und mit eigener Kraft an ihren Zielposition gelangen müssen.
Über MT Aerospace AG
Die MT Aerospace AG ist ein Unternehmen in der Luft- und Raumfahrt mit rund 600 Mitarbeitern an den Standorten Augsburg, Cagliari (Italien), Santiago de Chile und Kourou, Französisch-Guayana. MT Aerospace entwickelt und produziert Schlüsselkomponenten für die Europäische Trägerrakete Ariane, die Airbus-Flugzeugflotte, Raumfahrzeuge und Satelliten. MT Aerospace ist ein Technologieführer in Leichtbau-Strukturen unter Verwendung von Metall und Composite-Materialien. Mit einem Auftragsvolumen von zehn Prozent ist MT Aerospace der größte Lieferant für das Ariane-Programm außerhalb Frankreichs.
Über ArianeGroup
ArianeGroup, als Hauptauftragnehmer der europäischen Trägerraketen Ariane 5 und Ariane 6, ist für die gesamte Produktionskette der Träger verantwortlich – vom Entwurf über die gesamte Produktionskette bis hin zur Vermarktung über sein Tochterunternehmen Arianespace. Mit ca. 7600 hochqualifizierten Mitarbeitern in Frankreich und Deutschland, ist ArianeGroup ein zu gleichen Teilen von Airbus und Safran gehaltenes Joint Venture. Zudem ist der Konzern Hauptauftragnehmer für die ballistischen Trägerraketen der französischen Marine. ArianeGroup und die Tochterunternehmen sind weltweit anerkannte Spezialisten für Raumfahrtausrüstungen und -antriebe, ihr Know-how findet auch in anderen Industriezweigen Anwendung. Der Konzernumsatz betrug im Jahr 2020 rund 2,7 Milliarden Euro.
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