Mars Express: Neue Aufnahmen von den Nereidum Montes

Heute veröffentlichte Aufnahmen der Raumsonde Mars Express zeigen die Nereidum Montes am Rand des Argyre Planitia auf dem Mars. Die Bilder zeigen eine von verschiedenen geologischen Prozessen geprägte Region, in der Wasser, Eis und in der jüngeren Vergangenheit auch Wind und Wetter ihre erosiven Spuren hinterlassen haben.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR, ESA.

NASA, MGS, MOLA Science Team
Eine topografische Karte der Nereidum Montes auf dem Mars. Der durch die HRSC-Kamera abgebildete Bereich ist umrahmt.
(Bild: NASA, MGS, MOLA Science Team)

Bereits seit dem Dezember 2003 befindet sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express in einer Umlaufbahn um den Mars und liefert den an der Mission beteiligten Wissenschaftlern seitdem eine Vielzahl an Daten, durch deren Auswertung sich neue Einblicke in die Entwicklungsgeschichte unseres äußeren Nachbarplaneten ergeben. Am 6. Juni 2012 überflog die Raumsonde während des Orbits Nummer 10.736 das auf der südlichen Marshemisphäre gelegene Impaktbecken Argyre Planitia und bildete dabei einen Teilbereich von dessen nördlichen Randgebirges mit der High Resolution Stereo Camera (kurz “HRSC”), einem der insgesamt sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters, ab.

Bei dem Argyre Planitia handelt es sich um ein Impaktbecken, welches bereits vor mehreren Milliarden Jahren in der Frühzeit des Mars bei dem Einschlag eines mehrere Kilometer durchmessenden Asteroiden auf der Südhälfte des Mars entstand. Mit einem Durchmesser von rund 1.800 Kilometern und einer Tiefe von bis zu fünf Kilometern handelt es sich hierbei um das zweitgrößte Einschlagsbecken auf der Marsoberfläche. Der Name des Beckens leitet sich von dem griechischen Wort für “Silber” – “Argyros” – ab. Benannt wurde das Becken von dem italienischen Astronomen Giovanni Schiaparelli, welcher diese in einem Teleskop auffallend hell erscheinende Oberflächenformation in seine berühmte Marskarte aus dem Jahr 1877 einbezog.

Die heute veröffentlichten Aufnahmen der HRSC-Kamera zeigen einen bei 40 Grad südlicher Breite und 310 Grad östlicher Länge gelegenen Bereich am nordwestlichen Rand des Argyre Planitia. In dieser Region befinden sich die Nereidum Montes, welche ein Bestandteil des Ringgebirges sind, von dem das Argyre Planitia umgeben ist. Die Nereidum Montes grenzen dabei unmittelbar an den Hauptring dieses Gebirges. Sie erstrecken sich in einem Bogen über eine Länge von etwa 1.100 Kilometer parallel zu dem Rand des Impaktbeckens. Einzelne Bergmassive erreichen dabei Höhen von drei- bis viertausend Metern. Etwa 380 Kilometer südöstlich von der abgebildeten Region befindet sich der Hooke-Krater, welcher Anfang Oktober 2012 von dem HRSC-Team vorgestellt wurde (Raumfahrer.net berichtete).

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Ein perspektivischer Blick über die von der HRSC abgebildete Region der Nereidum Montes.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Benannt wurden die Nereidum Montes von dem griechischen Astronomen Eugène Michel Antoniadi (1870-1944), welcher auch unter dem Namen Eugenios Antoniadis bekannt ist und der das Gebiet mit seinem Teleskop entdeckt und anschließend beschrieben hat. Die Nereiden sind in der griechischen Mythologie Nymphen, die den Meeresgott Poseidon begleiten. Antoniadi war einer der bedeutendsten Mars-Forscher seiner Zeit. Unter anderem konnte er nachweisen, dass die von dem Astronomen Giovanni Schiaparelli entdeckten “Marskanäle” nur eine optische Täuschung waren und folglich auch nicht von intelligenten Marsbewohnern gebaut wurden. Auch in der Gegenwart benutzen Astronomen immer noch die von ihm entwickelte Antoniadi-Skala, mit der die Sichtverhältnisse bei astronomischen Beobachtungen beschrieben werden.

Auf den heute veröffentlichten Aufnahmen lassen sich eine Vielzahl von Landschaftsformen erkennen, welche unterschiedlichen Ursprungs sind. Einige der Oberflächenformationen sind durch die erosiven Einflüsse des Windes entstanden. Andere Formationen bildeten sich durch die Bewegungen von Gletschern auf der Marsoberfläche. Ein markantes Netz von kleinen, verästelten Tälern im nördlichen (rechten) Bilddrittel der Nadir-Aufnahmen zeugt von einer früheren Interaktion der Oberfläche mit flüssigem Wasser, welches vom Rand des Argyre Planitia kommend über die Oberfläche in das Innere des Becken geflossen ist. Dieses Wasser, so die Interpretation der Wissenschaftler, könnte eventuell bereits in der Frühzeit des Mars durch Regenfälle freigesetzt worden sein. Eine andere Möglichkeit ist, dass es sich hierbei um Schmelzwasser von geschmolzenen Wassereisgletschern handelt.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Eine Nadir-Farbansicht der kürzlich durch die HRSC-Kamera abgebildete Region der Nereidum Montes. Norden befindet sich rechts im Bild.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Die meisten größeren Krater in der abgebildeten Region weisen nicht das für Impaktkrater eigentlich typisches schüsselförmiges Profil auf. Vielmehr sind sie bis zum Rand mit einem Material aufgefüllt, welches dabei ein auffälliges konzentrisches Oberflächenmuster aufweist. Derartige Strukturen deuten auf Gletscher hin, die von Gesteinsschutt bedeckt sind – so genannte Blockgletscher. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass auch noch in der Gegenwart Wassereis unter dieser staubtrockenen Schutt- und Gerölldecke verborgen ist, welches so vor einer Sublimation – dem direkten Übergang vom festen in den gasförmigen Zustand – geschützt ist.

Abhängig von der Dicke der bedeckenden Schicht könnte ein solcher im Untergrund gelegener Wassereisgletscher in dieser Region des Mars eine Mächtigkeit von mehreren zehn bis hin zu mehreren Hunderten von Metern aufweisen. Aus einem der abgebildeten Krater (zu erkennen am linken oberen Bildrand in der Nadir-Farbansicht) erstreckt sich eine etwa 20 Kilometer lange Gletscherzunge in die tiefer gelegenen Gebiete. Diese Zunge verfügt über fächerförmige, teils gewundene Umrisse. Diese Ablagerungen zeigen die größte Ausdehnung der Blockgletscher an.

Einen weiteren Hinweis auf einstmals oder sogar noch gegenwärtig unter der Oberfläche befindliches Wassereis bietet ein etwa zehn Kilometer durchmessender Krater, welcher am rechten (nördlichen) Bildrand der Nadir-Aufnahme zu sehen ist. Dieser Krater ist von einer deutlich erkennbaren Auswurfdecke umgeben ist. Bei dem Impakt, welcher zu der Entstehung dieses Kraters führte, wurde ursprünglich im Untergrund befindliches Wassereis aufgeschmolzen. Das durch die Einschlagsenergie freigesetzte Wasser vermischte sich mit Sand, Geröll und losem Oberflächengestein und transportierte dieses Material anschließend in die nähere Umgebung, wo es sich in Form der charakteristischen Ejektadecke ablagerte.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Ein weiterer perspektivischer Blick über die Nereidum Montes.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Die relativ glatten Ebenen stammen dagegen aus einer jüngeren Periode der Marsgeschichte, in der die Marsoberfläche nicht mehr mit Wasser interagierte. So gehört die glatte Umgebung, in die sich die Blockgletscher-Zungen erstrecken, zu den jüngsten Oberflächen in dieser Region. Durch Windverfrachtung wurden dort im Laufe der Zeit Staub und Sand abgelagert, wodurch unter anderem mehrere ausgedehnte Dünenfelder mit ihre charakteristischen Rippelmustern entstanden sind.

Die hier gezeigten Nadir-Farbansicht der Nereidum Montes wurde aus dem senkrecht auf die Planetenoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die perspektivische Schrägansichten wurden aus den Aufnahmen der Stereokanäle der HRSC-Kamera berechnet. Das weiter unten zu sehende Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal der Kamera abgeleitet. Des Weiteren können die Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wird, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.

Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Sonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Gerhard Neukum von der Freien Universität Berlin geleitet. Dieser hat auch die technische Konzeption der hochauflösenden Stereokamera entworfen. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche Wissenschaftlerteam besteht aus 40 Co-Investigatoren von 33 Institutionen aus zehn Ländern.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Durch die Betrachtung mit einer Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille wird mit dieser 3D-Aufnahme ein räumlicher Eindruck der Landschaft vermittelt.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Die HRSC-Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung erstellt.
Weitere während des Orbits Nummer 10.736 durch die HRSC-Kamera angefertigte Aufnahmen der Nereidum Montes finden Sie auf der entsprechenden Internetseite der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung. Dort finden Sie auch die weiter oben erwähnte höhenkodierte Karte der Region.

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