New Horizons – der Erste zum Letzten

Was macht man, wenn man da einen Planeten im eigenen Planetensystem hat, den noch niemand aus der Nähe gesehen hat? Natürlich hinfliegen und nachsehen! Die NASA hat für diesen Entschluß fast 17 Jahre gebraucht – das Ergebnis heißt „New Horizons“.

Autor: Lutz Growalt

Der offizielle Banner der New Horizons Mission
(Bild: NASA)

Nicht zu unrecht gilt Pluto als der „Mount Everest des Sonnensystems“. Weit, sehr weit entfernt, kalt, abweisend, unzugänglich – und einige haben den Versuch, ihn zu erobern mit dem Leben bezahlt. Die Planung der NASA-Expedition zum „Mount Pluto“ nahm fast 17 Jahre in Anspruch, verschliss drei ausgefeilte Missionskonzepte, Berge von Gehirnschmalz und mehr Geld, als die aktuelle New Horizons-Mission tatsächlich kostet.

Pluto und Charon – das rätselhafte Doppel
Pluto ist kalt, klein, weit draußen und hat eine ziemlich merkwürdige Umlaufbahn – damit erschöpfen sich in den auf seine Entdeckung folgenden Jahrzehnten die Kenntnisse über den bis 2006 äußersten Planeten des Sonnensystems. (Im Sommer 2006 wurde Pluto zum Zwergplaneten zurückgestuft.) 1978 wird per Zufall der Plutomond Charon entdeckt – ebenso seltsam wie Pluto selbst. Charon ist im Verhältnis zu seinem Planeten so groß, wie wir es bei keinem anderen Planeten des Sonnensystems beobachten, Pluto und Charon bilden damit das einzige „Doppelplanetensystem“ des Sonnensystems. Obwohl beide annahmeweise aus derselben Gegend des Sonnensystems stammen, scheint Charon eine völlig anders geartete Oberfläche zu haben als Pluto – ganz zu schweigen von dem Rätsel, unter welchen Umständen sich beide in ihrer trauten Zweisamkeit überhaupt bilden konnten.

In den 1980er Jahren kommen einige Steine zum Pluto-Mosaik hinzu: Pluto hat eine dünne Atmosphäre und seine Oberfläche besteht vornehmlich aus gefrorenem Stickstoff mit Spuren von Methan, Kohlenmonoxid und einigen tiefgekühlten, organischen Verbindungen. Letztere sorgen wahrscheinlich für die dunklen Flecken, die in den Aufnahmen des Hubble-Teleskops deutlich zu erkennen sind.

Triton, der entlaufene Pluto?
Seit 1989 gibt es Anschauungsmaterial für das mögliche Aussehen der Plutooberfläche: Voyager 2 funkt Aufnahmen des Neptunmondes Triton. Und der steht schon länger im Verdacht, eine Art „entlaufener Pluto“ zu sein. Gemeint ist, ein Zuwanderer von ganz weit draußen – auch wenn die Pfade auf denen er einst wandelte, buchstäblich im Dunkel liegen. Die Fotos von Voyager 2 zeigen das mögliche Erscheinungsbild der Plutooberfläche, aber sie zeigen noch mehr: auf Tritons eisiger Oberfläche (Triton ist mit einer Oberflächentemperatur von rund –240°C der kälteste uns bekannte Körper des Sonnensystems) steigen Stickstofffontänen, die Spalten im Boden entströmen bis in zehn Kilometer Höhe. Und Triton besitzt eine Atmosphäre, in der sogar Wolken treiben. Könnte nicht auch Pluto …?

Hier eine weitere Ansicht der Raumsonde New Horizons
(Bild: NASA)

Kuiper-Gürtel und eine überflüssige Diskussion
In den frühen 1990er Jahren erhält Pluto Gesellschaft – und wird von Degradierung bedroht: bereits 1951 ist die Existenz eines Gürtels aus asteroidengroßen Körpern außerhalb der Plutobahn theoretisch von dem holländisch-amerikanischen Astronomen Gerard Kuiper vorhergesagt worden. Heute kennen wir diesen Bereich unter dem Namen Kuiper-Gürtel. 1992 wird durch Beobachtungen bewiesen, daß der Kuiper-Gürtel tatsächlich existiert – eine erstaunlich vielköpfige Population eisiger Körper unterschiedlichster Größen. Bis heute sind rund 800 dieser „trans-neptunische Objekte“, wie sie streng-wissenschaftlich heißen, entdeckt worden. Es besteht die Aussicht, daß es Millionen davon in der Größenordnung von 1 bis 1.000 km Durchmesser gibt, Zehntausende sollen Durchmesser über 100 km haben. Und prompt hebt eine ebenso überflüssige wie müßige Debatte an – wenn es davon so viele, so große gibt, ist Pluto dann eigentlich ein Planet? Die International Astronomical Union, so eine Art planetares Standesamt und oberster Gralshüter der Namen himmlischer Objekte, lässt sich schließlich zu einem vorläufigen Machtwort herab: Ja, Pluto ist und bleibt ein Planet – und damit basta! Im Sommer 2006 ändert sich dies aber. Pluto wird zum Zwergplaneten zurückgestuft.

Die „Schießbude des Sonnensystems“
Heute ist die Vorstellung allgemein akzeptiert, dass es sich bei den Objekten des Kuiper-Gürtels, der „Schießbude des Sonnensystems“ (Alan Stern, Leiter der Mission New Horizons), um tiefgefrorene, vielfach miteinander kollidierte Reste aus der Zeit der Bildung des Sonnensystems handelt – Pluto, als größter Vertreter dieser Spezies, bildet dabei die „Spitze des Eisbergs“ (Al Stern). Wegen ihrer großen Entfernung zur Sonne wurde die Materie, aus denen die Objekte bestehen, seitdem sie sich zu festen Körpern zusammenballte, niemals erwärmt oder sonstwie tiefgreifend modifiziert – das Material liegt also seit 4,5 Mrd. Jahren in der Tief-Tiefkühltruhe des Sonnensystems und harrt seiner Erforschung.

Verständlich also, dass die mit der Erforschung des äußeren Sonnensystems beschäftigten Planetologen darauf brennen, Pluto und Charon, sowie die beiden mittlerweile neu entdeckten Plutomonde, aber auch die Kuiper-Objekte, näher zu untersuchen.

In all den Jahren der Pluto-Kuiper-Forschung war die Frage nur: Wie?
Also: Wie?
Die Idee, zum Pluto zu fliegen, ist nicht neu. Ein möglicher naher Pluto-Vorbeiflug steht schon bei den Planungen zur Kursführung der beiden Voyager-Sonden Ende der 1970er Jahre zur Diskussion (ja, es wäre möglich gewesen!), wird dort aber in einer Entweder-oder-Entscheidung zugunsten der Vorbeiflüge an Uranus und Neptun verworfen. Spätestens mit den spektakulären Bildern des Neptun-Vorbeiflugs von Voyager 2 im August 1989 grassiert der Pluto-Virus dann wieder – einerseits wegen der Riesen-Resonanz, die dieses planetare Rendezvous bei der „breiten Öffentlichkeit“ hervorruft, aber auch wegen der geheimnisvollen Bilder des Pluto-Verwandten Triton mit seiner eisigen Oberfläche und seiner verblüffenden Atmosphäre.

„Gentlemen, please start your engines“ – Pluto 350
Bis Mitte der 1990er Jahre kristallisieren sich schließlich zwei Vorschläge heraus: eine „Pluto 350“ genannte Studie unter Leitung von Robert Farquhar (GSFC) mit einem wohldimensionierten 350-kg-Raumfahrzeug und guter Instrumentenausstattung. Pluto 350 kommt nach allerlei Umplanung zwar mit einer komplizierten Kursführung daher (Start Richtung Venus, mehrere Erd-/Venus-Vorbeiflüge und ein Jupiter-Vorbeiflug um Fahrt aufzunehmen) und hat dementsprechend einen langen Weg zurückzulegen (angepeilte Flugzeit 19 Jahre!), kommt dafür aber mit einem bescheidenen Trägersystem der Delta-Klasse aus, was wiederum die Kosten niedrig hält.

Das Ziel: der (ehemals) letzte Planet im Sonnensystem Pluto mit seinem Mond Charon
(Bild: NASA)

Kleiner, schneller, … Pluto Fast Flyby
Demgegenüber steht der „Pluto Fast Flyby“-Vorschlag (PFF) des JPL unter Leitung von Robert Staehle, Stacy Weinstein und anderen. Nachdem das Pluto 350-Konzept – wegen der verwickelten Kursführung und einer auch in Planetenfliegerkreisen bekannten, alterstypischer Gewichtszunahme aller Komponenten – immer komplizierter geworden ist, spaltet sich eine Gruppe von JPL-Wissenschaftlern ab und entwickelt ein radikales Gegenkonzept: zwei simultan startende Mini-Raumfahrzeuge mit je 83 kg Gewicht, davon 7 kg wissenschaftliche Nutzlast, die, von einem Träger der Atlas-Klasse auf einen Direktkurs zu Pluto katapultiert, nur 7 Jahre Flugzeit brauchen würden. Das Lilliput-Konzept hat seinen Reiz, vor allem bei kostenbewußten NASA-Managern (klein = billig) und nebenbei wäre seine Realisierung für die altgedienten Planetenflieger des JPL ein technologischer Riesenschritt vorwärts – erfordert jedoch eine völlig andere Art von Raumfahrzeug als üblich: 1992 werden unter NASA/JPL-Flagge vergleichsweise Riesen-Raumschiff-Observatorien geplant und betrieben, die – siehe Cassini –, groß wie eine Nobel-Karosse, fünf Tonnen auf die Waage bringen und ein Dutzend Instrumente zu den Planeten tragen. Immerhin: PFF könnte der erste Schritt in eine völlig neue, miniaturisierte und hochintegrierte Planetenforschung unter JPL-Flagge sein.

High Noon – und (k)ein Sieger
1992 kommt es schließlich zum Showdown zwischen den beiden Pluto-Projekten. Der „Outer Planets Science Working Group“ der NASA, pikanterweise unter dem Vorsitz von Alan Stern (heute Leiter der New Horizons-Mission), fällt die undankbare Aufgabe zu, von den beiden Vorschlägen einen auszuwählen. Stern ist zu diesem Zeitpunkt schon seit drei Jahren Mitglied einer ziemlich konspirativen Vereinigung namens „The Pluto Underground“, in der sich die Creme de la Creme der Pluto-Forschung zusammengeschlossen hat, um auf eine Pluto-Mission hinzuarbeiten. Leider sind die Pluto-Undergroundler so konspirativ, dass niemand etwas von ihnen weiß (auch die Pluto-Missionsplaner beider Fraktionen nicht).

Nach langer Debatte der „Outer Planets Group“ lautet das Ergebnis schließlich: PFF. Die Entscheidung gegen Pluto-350 kommt nicht von ungefähr – NASA-Administrator Dan Goldin, selbst Verfechter einer Pluto-Mission, hatte im Zuge der Beratungen verlauten lassen, dass er sich vom NASA-Standpunkt nur eine Entscheidung vorstellen könne: „PFF oder nichts“.

Mitte der 1990er Jahre, nach jahrelanger Arbeit bei der Planung des Mini-Instrumentariums für die beiden PFF-Knirpse, dämmert allmählich das Ende des Projekts herauf: durch Kostensteigerungen bei den Großraketen laufen dem Projekt die Kosten weg. Alan Stern reist eigens nach Moskau, handelt dort die Verwendung eines kostengünstigeren, russischen Trägersystems aus. In einer Erweiterung der PFF-Mission sollen beide PFF-Vehikel zusätzlich jeweils eine russische Abwurfsonde („Drop Zond“) mitnehmen, die am Pluto ausgesetzt und Daten von Atmosphäre und Oberfläche funken sollen.

Pluto-Express, Pluto-Kuiper-Express … oder gar nichts?
1995 zerrt die NASA von beiden Seiten her an ihrer Pluto-Mission. Angesichts von Budgetkürzungen steht einerseits die Forderung nach Kostensenkung, andererseits wird das Aufgabenspektrum der Mission nach Entdeckung der ersten Objekte des Kuiper-Gürtels weiter gesteckt – dazu kommen personelle Querelen im Missions-Planungsstab. Die Pluto-Mission firmiert zeitweise unter der neuen Bezeichnung „Pluto-Express“ (PE), nach Aufnahme der Kuiper-Gürtel-Objekte in den Missionsplan heißt die Pluto-Mission schließlich „Pluto-Kuiper-Express“ (PKE).

Bis zum Jahr 2000 ist der Pluto-Kuiper-Express unter dem Eindruck weiterer Budgetkürzungen zur Einzelmission geschrumpft und die Idee mit den Abwurfsonden ist wieder vom Tisch. Als Preisgünstig-Unternehmen entworfen, stehen auf dem Preisschild mittlerweile satte $800 Millionen mit der Aussicht auf Überschreiten der $1 Mrd.-Grenze in den folgenden beiden Jahren. Das unausweichliche Ende kommt schließlich im Herbst 2000: NASA zieht die Notbremse und verkündet das Ende der Pluto-Mission, alle Arbeiten werden sofort gestoppt. Die Maßnahme ist verständlich: erstens die längst davongaloppierten PKE-Kosten, zweitens sieht sich NASA nach dem kostspieligen Doppelfehlschlag der beiden Mars-Missionen „Mars Polar Lander“ (MPL) und „Mars Climate Orbiter“ (MCO) zu einer nicht minder teuren Neustrukturierung der gesamten Mars-Forschungsstrategie der kommenden zehn Jahre gezwungen – und das bei einem Jahresbudget um $15 Mrd.

Der Start der Raumsonde New Horizons
(Bild: NASA TV)

NASA im Gegenwind
Es ist zwar kaum anzunehmen, dass die NASA jemals mit einer allgemein stillschweigenden Akzeptanz ihrer Radikalmaßnahme gerechnet hat, aber den auf die Entscheidung folgenden Sturm der Entrüstung hatte niemand vorausgesehen – sämtliche mit planetarer Forschung befassten Beraterkomitees der NASA, die Berufsstandvereinigung der planetaren Astronomen, Presse, Öffentlichkeit, hochrangige Volksvertreter jaulen auf; die Planetary Society sammelt über 10.000 Protestschreiben und leitet sie an die zuständigen Kongressabgeordneten weiter; Die Webseite der „Save the Pluto Mission“-Kampagne erreicht Rekord-Besucherzahlen.

NASA rudert zurück. Im Dezember 2000 wird die Pluto-Mission neu ausgeschrieben. Es werden zwar – ausdrücklich – keine Versprechungen über eine Realisierung der Vorschläge gemacht, man will nur „die Optionen überprüfen“ (Ed Weiler, NASA-Vize), aber immerhin …

Aus fünf mach’ zwei, mach …
Bis Frühjahr 2001 liegen fünf Konzepte auf dem Tisch, von denen die NASA zwei auswählt, die mit Finanzmitteln für die weitere Ausarbeitung („Phase A“) versorgt werden: POSSE, ein Vorschlag der University of Colorado und des JPL unter Leitung von Larry Esposito sowie der New Horizons-Vorschlag des Southwest Research Institute in Zusammenarbeit mit dem Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University unter Alan Stern.

Beide Vorschläge ähneln einander ungemein – wen wundert’s bei den gemeinsamen Wurzeln. Beide Fraktionen greifen auf bewährtes aus dem eigenen Hause zurück. New Horizons verwendet CONTOUR-Technik in neuem Design, Esposito und die Mannen des JPL präsentieren ein Stardust-ähnliches Vehikel, Instrumentenausstattung und Kursführung sind weitgehend identisch.

„In der blauen Ecke …“
Zeit der Entscheidung – doch der Ausgang des Duells ist alles andere als klar. Einerseits die erfahrenen Planetenflieger vom JPL – deren Ruf wegen der beiden fehlgegangenen Mars-Missionen Schrammen bekommen hat – mit dem altgedienten Planeten-Fahrensmann Larry Esposito, auf dessen Kerbholz schon Pioneer-Venus, Pioneer 11, Voyager, Galileo sowie Mars Observer stehen und andererseits eine Fraktion des Pluto-Undergrounds mit dem APL als technischem Generalunternehmer im Schlepptau sowie Al Stern, einem Alt-Kämpen der Pluto-Beobachtung und Gründungsmitglied des „Pluto Undergrounds“, im Chefsessel. APL hat spätestens seit der bravourösen NEAR-Mission, NASAs erster „Discovery“-Mission, bei Wissenschaftlern und Publikum ein sehr gutes Ansehen.

Ähnliche Vorschläge, kompetente Kompetitoren – was gibt den Ausschlag? Es wird gemurmelt, dass derjenige den Zuschlag erhalten werde, dem NASA am ehesten zutraut, Raumfahrzeug und Programm innerhalb des Zeit- und vor allem Kostenrahmens zu realisieren. Es kann nur spekuliert werden, aber möglicherweise tippt auch die Erblast von JPLs vermeierter Pluto-Kuiper-Express-Geschichte schließlich die Waagschale in Richtung einer Entscheidung; oder NASA schätzt den „Kümmer-Faktor“ beim SwRI/APL weitaus höher ein als bei dem mit allerlei Missionen beschäftigten JPL; oder etwas völlig anderes – der Spruch des Komitees lautet schließlich: „Auf zu Neuen Horizonten“.

And the winner is …
Der frischgekürte New Horizons-Vorschlag mutet, wen nimmt es Wunder, wie eine Mischung aus sämtlichen alten Pluto-Vorschlägen an: man nehme die Rosinen aus beiden Plänen – etwas gut ausgestattetes wie Pluto 350 und erweitere es um ein modernes, hochempfindliches Instrumentarium. Dann schicke man das Ganze auf den für Pluto Fast Flyby vorgesehenen, einfachen Pfaden – mit einem kleinen Linksschlenker am Jupiter – auf einer großen Rakete (fast) auf Direktkurs zum Pluto.

Zwar wird der New Horizons-Vorschlag von NASA angenommen und die Weiterarbeit an der „Phase B“ bezahlt, doch steht die Finanzierung von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr auf wackeligen Beinen. Es drängt sich ernsthaft die Frage auf: Was wird schwieriger, der Flug zum Pluto via Jupiter oder der Weg auf die Startrampe via NASA und US-Kongress? Zweimal verschweigt die NASA in ihrer Budgetanfrage die Mission – beantragt stillschweigend keinerlei Mittel – , zweimal schreiben die über ebenjenes Budget entscheidenden Kongressabgeordneten die Mission ausdrücklich wieder in den Haushalt hinein.

2003 werden endlich Fakten geschaffen, mit dem Bau des Raumfahrzeugs und der Instrumente begonnen. Bei Lockheed-Martin wird eines der brandneuen Atlas 5-Trägersysteme, dazu eine Centaur-Oberstufe und bei Boeing eine Star-48 bestellt. Zwar kommt mit dem Haushalt für 2004 noch mal ein kurzfristiger Querschuss der NASA, der die ganze Mission in Frage stellt (der gleiche Trick wie in den vorausgegangenen Jahren), doch wieder helfen die Abgeordneten des Kongresses – und jetzt ist New Horizons nicht mehr aufzuhalten: es wird konstruiert und gebaut.

Es funktioniert!
Nach der ganzen Debattiererei drängt die Zeit – eine der Grundregeln der Planetenfliegerei fordert ihr Recht: die Planeten warten nicht! Und gerade auf die kommt es an: soll der Weg zum Pluto, den New Horizons aufgezeigt hat, genommen werden, muss Jupiter am richtigen Ort sein, muss bis Februar 2006 gestartet werden, wenn man Pluto noch vor 2020 erreichen will. Mit gesicherter Finanzierung gelingt das Spiel: Im Januar 2006 geht New Horizons an der Spitze der Atlas V-Centaur auf die Startrampe und endlich am 19. Januar 2006, nach dreimaliger Startverzögerung, mit einem makellosen Start ins All. Einigen Pluto-Veteranen, mittlerweile etwas angegraut, stehen beim Anblick des Feuerschweifs, den die Atlas V in den blauen Floridahimmel bläst, die Tränen in den Augen.

Den ersten Rekord stellt New Horizons gleich nach Verlassen des Parkorbits auf: mit 57.600 km/h schnellstes von Menschen gebautes Objekt, das jemals flog (Pioneer 10 ist enttrohnt!). In neun Stunden wird der Mond passiert – Apollos CSM brauchte dafür drei Tage. Am 8. April 2006 überquert New Horizons die Marsbahn und kommt beinahe zeitgleich mit dem Mars Reconnaissance Orbiter an, der am Start allerdings fünf Monate (!) Vorsprung hatte. Nach dreizehneinhalb Monaten wird Jupiter erreicht und in einer Entfernung von 2,3 Millionen km passiert. Nach dem Linksabbiegemanöver am Jupiter heißt die nächste „Haltestelle“ Pluto, Ankunft im Oktober 2015.

New Horizons hat das Ticket in die Zukunft gelöst – und voll bezahlt. Gleichzeitig geht die Reise aber auch in die Vergangenheit – zurück in die legendären Tage der Mariners, Pioneers und Voyagers, zu einem uns völlig unbekannten, einem bisher noch gesichtslosen Planeten. Zum unwiderruflich letzten Mal dürfen wir uns auf die Entschleierung einer neuen Welt in unserem eigenen Planetensystem freuen. New Horizons wird damit zum Endpunkt der ersten Phase der Erforschung des Sonnensystems – und vielleicht der Ausgangspunkt von etwas völlig neuem, bisher ungeahnten … hinter dem Horizont.

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