Forschende trainieren ein neuronales Netz darauf, in nur wenigen Sekunden die Eigenschaften verschmelzender schwarzen Löcher anhand der abgestrahlten Gravitationswellen präzise abzuschätzen. Das Netzwerk bestimmt die Massen und Eigendrehimpulse der schwarzen Löcher, sowie wo am Himmel, in welchem Winkel und wie weit von der Erde entfernt die Verschmelzung stattgefunden hat. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme.
Quelle: Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS).
Tübingen/Potsdam/Maryland 8. Dezember 2021 – Schwarze Löcher sind eines der größten Rätsel des Universums. Mit einer Masse Milliarden mal so groß wie die unserer Sonne erzeugen zwei ineinander verschmelzende schwarze Löcher in einer gewaltigen Explosion eine Gravitationswelle, die sich mit Lichtgeschwindigkeit im Universum ausbreitet. Gigantische Detektoren in den USA (LIGO) und Italien (Virgo) messen diesen Beleg für das von Albert Einstein 1916 vorhergesagte Phänomen: die Veränderung der Raumzeit. Ein Beben des Universums. 100 Jahre später wurde die erste Gravitationswelle tatsächlich gemessen. Kurz darauf, im Jahr 2017 folgte dafür der Physik-Nobelpreis.
Seit der ersten Entdeckung von Gravitationswellen vergleichen die LIGO- und Virgo-Wissenschaftler*innen die von den Observatorien gesammelten Daten mit theoretischen Vorhersagen, um so die Eigenschaften der Quelle abzuschätzen, z. B. wie groß die schwarzen Löcher sind und wie schnell sie sich drehen. Derzeit dauert dieses Verfahren mehrere Stunden, oft sogar Monate.
Ein interdisziplinäres Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Tübingen und des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam nutzt modernste Methoden des maschinellen Lernens, um diesen Prozess zu beschleunigen. Die Wissenschaftler*innen entwickelten einen Algorithmus, der ein tiefes neuronales Netz verwendet, das ähnlich wie ein menschliches Gehirn auf mehreren Ebenen große Datensätze analysiert. Sekundenschnell schließt das System auf alle Eigenschaften der beiden miteinander verschmelzenden schwarzen Löcher. Die Forschungsergebnisse wurden heute in der bedeutendsten Fachzeitschrift für Physik, den Physical Review Letters, veröffentlicht.
„Unsere Methode kann in wenigen Sekunden sehr genaue Aussagen darüber treffen, wie groß und schwer die zwei schwarzen Löcher waren, die bei ihrer Verschmelzung die Gravitationswellen erzeugt haben. Wie schnell rotieren die schwarzen Löcher, wie weit sind sie von der Erde entfernt und aus welcher Richtung kommt die Gravitationswelle? All diese Informationen können wir aus den Beobachtungsdaten ableiten und darüber hinaus Aussagen über die Genauigkeit dieser Berechnung treffen“, erklärt Maximilian Dax, Erstautor der Publikation Real-Time Gravitational Wave Science with Neural Posterior Estimation. Der Doktorand der Abteilung für Empirische Inferenz am MPI-IS ist Mitglied der LIGO Scientific Collaboration.
Das Forscherteam trainierte das neuronale Netz mit vielen Simulationen — vorausberechnete Gravitationswellen für hypothetische Doppelsysteme von schwarzen Löchern kombiniert mit dem Rauschen der Detektoren. Auf diese Weise lernt das Netzwerk die Zusammenhänge zwischen den gemessenen Gravitationswellendaten und den Parametern, die das zugrunde liegende System schwarzer Löcher charakterisieren. Es dauert zehn Tage, bis der Algorithmus namens DINGO (die Abkürzung steht für Deep INference for Gravitational-wave Observations) ausgelernt hat. Dann ist er einsatzbereit: in nur wenigen Sekunden leitet das Netzwerk aus den Daten neu beobachteter Gravitationswellen die Größe, die Eigendrehimpulse und alle anderen Parameter ab, die die schwarzen Löcher beschreiben. Die hochgenaue Analyse entschlüsselt fast in Echtzeit die Kräuselungen der Raumzeit – das hat es in dieser Geschwindigkeit und Präzision noch nie gegeben.
„Je weiter wir mit immer empfindlicheren Detektoren ins Weltall blicken, desto mehr Gravitationswellen werden gemessen. Schnelle Methoden wie die unsere sind daher unerlässlich, um all diese Daten in angemessener Zeit zu analysieren“, sagt Stephen Green, Wissenschaftler in der Abteilung Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am AEI. „DINGO hat den Vorteil, dass es – einmal trainiert – neue Ereignisse sehr schnell analysieren kann. Wichtig ist dabei auch, dass es detaillierte Schätzungen der Ungenauigkeit von Parametern liefert, die in der Vergangenheit mit Methoden des maschinellen Lernens nur schwer zu ermitteln waren.“
Bislang verwenden die Forscher*innen der LIGO- und Virgo-Kollaborationen sehr rechenintensive Algorithmen zur Analyse der Daten. Sie benötigen für die Interpretation jeder Messung Millionen neuer Simulationen von Gravitationswellen. Das dauert mehrere Stunden bis Monate – DINGO jedoch ist weitaus schneller, da das trainierte Netzwerk keine weiteren Simulationen für die Analyse neuer Beobachtungsdaten benötigt; ein Verfahren, das als „amortisierte Inferenz“ bekannt ist.
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