Zum Vorbeiflug an Japetus, über den Raumfahrer.net schon vor einer Woche berichtete, liegen inzwischen auch Expertenmeinungen und bearbeitete Bilder vom Cassini-Team vor.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: NASA/JPL/Space Science Institute.
Das hier gezeigte Bild wurde aus vier Rohbildern, die im sichtbaren Licht aus etwa 172.000 Kilometer Entfernung aufgenommen wurden, zusammen gesetzt. Die Szene wird dominiert von einer dunklen, stark verkraterten Region, genannt „Cassini Regio“, die sich nahezu über eine gesamte Hemisphäre von Japetus (1.436 Kilometer Durchmesser) erstreckt und die bei diesem Cassini-Vorbeiflug erstmals vollständig fotografiert wurde. Das Bild wurde so orientiert, dass Japetus‘ Nordpol oben ist und wir jene Seite sehen, die auf Japetus‘ Bahn um Saturn immer „vorne“ ist (Japetus ist wie der Erdmond auch ein Mond mit „gebundener“ Rotation, der sich pro Umrundung des Mutterplaneten auch genau einmal um sich selbst dreht).
In der „Cassini Regio“, vor allem in der Nähe des Äquators, bedecken dunkle Ablagerungen mit einer Reflektivität von nur etwa 4 Prozent nahezu alles, mit bemerkenswerter Einheitlichkeit. Erst ab Breitengraden um die 40 Grad – hier im Bild auf halber Höhe des Mondes – wird die Oberfläche heller und weniger einförmig und bietet schließlich in der Nähe des Nordpols wieder ein ähnliches Bild, wie man es von anderen Eismonden kennt, mit Materialreflektivitäten von bis zu 60 Prozent. Bei näherer Betrachtung sieht man allerdings auch in dieser Gegend büschelartige Streifen aus dunklem Material, die von Nord nach Süd verlaufen und typischerweise ein paar Kilometer breit und manchmal Dutzende von Kilometern lang sind.
Ein sehr altes, 400 Kilometer weites Einschlagsbecken erscheint in der Mitte des Bildes. Dieses Becken ist stark überlagert von jüngeren, kleineren Einschlagskratern. Es ist begrenzt von steilen Klippen, die zum Boden des Beckens abfallen. Auffällig ist ein Zusammenhang zwischen diesen Klippen und den dunklen Ablagerungen: An jenem Rand des Beckens, der näher am Äquator liegt, stechen die Klippen auffallend hell aus der dunklen Umgebung hervor. Am gegenüberliegenden Beckenrand erscheinen die Klippen hingegen so dunkel wie die Umgebung. Gleiches gilt auch für viele kleinere Krater, sowohl innerhalb als auch außerhalb dieses Beckens: Der äquatornahe Kraterrand erscheint oft heller als der äquatorferne Kraterrand. Nun ist ein äquatornaher Kraterrand vom Äquator abgewandt und ein äquatorferner Kraterrand dem Äquator zugewandt. Es scheint also, dass sich in diesen Breitengraden das dunkle Material zwar auf ebenem Gelände und an steilen Hängen, die dem Äquator zugewandt sind, abgelagert hat, aber nicht an steilen Hängen, die vom Äquator abgewandt sind. Kann man daraus schließen, dass das dunkle Material nicht gleichmäßig auf Japetus herab „geregnet“ ist, sondern sich aus Richtung des Äquators über Japetus ausgebreitet hat?
Eine einzigartige und die vielleicht bemerkenswerteste Struktur überhaupt auf Japetus, die bei diesem Vorbeiflug von Cassini erstmals entdeckt wurde, ist ein Gebirgsrücken, der fast exakt mit dem geografischen Äquator überein stimmt. Auf den Bildern sieht man den Rücken als etwa 20 Kilometer breites Band, dass sich von Westen nach Osten praktisch über die ganze sichtbare Breite des Mondes erstreckt. Am linken Horizont erreicht der Rücken eine Höhe von mindestens 13 Kilometer über der Umgebung. Auf einem früheren Bild von Cassini zeigt der Rücken gegen den Horizont eine Höhe von sogar mindestens 20 Kilometer. Damit ist Japetus‘ Bergrücken nicht nur dreimal so hoch wie der höchste Berg der Erde, der Mount Everest, sondern reicht sogar an den höchsten bekannten Berg des Sonnensystems, den Olympus Mons auf dem Mars heran. Allerdings ist der Mars auch fünfmal so groß wie Japetus. Damit steht der Bergrücken von Japetus, noch bevor man ihn komplett vermessen – und dabei vielleicht noch höhere Spitzen entdecken – kann, jetzt schon als höchste bekannte Erhebung im Sonnensystem relativ zu seinem Himmelskörper fest.
So weit man entlang der sichtbaren Länge von etwa 1.300 Kilometer des Bergrückens sehen kann, bleibt der Rücken fast exakt parallel zum Äquator von Japetus, mit einer Abweichung von nur ein paar Grad. Die physikalische Entstehung des Rückens muss noch weiter erforscht werden. Im Moment ist noch nicht klar, ob der Rücken eine Komprimierungsstruktur ist, wie ein sich empor faltender Berggürtel, oder umgekehrt durch einen Dehnungsbruch in der Oberfläche von Japetus entstand, durch den Material aus dem Inneren empor stieg, sich dort sammelte und dadurch den Bergrücken formte.
Die Entstehung der „Cassini Regio“ ist schon seit langer Zeit Gegenstand von Diskussionen unter Wissenschaftlern. Eine Theorie schlägt vor, dass das dunkle Material aus dem Inneren auf Japetus‘ eisige Oberfläche gedrungen ist. Andere Theorien halten dagegen, dass die dunklen Materialien Ansammlungen von Trümmerteilchen darstellen, die aus Einschlägen auf dunklen Saturnmonden weiter außen stammen. Die Einzelheiten dieses Bildes schließen keine dieser Theorien definitiv aus. Allerdings bringen sie wichtige neue Einsichten und Randbedingungen mit sich.
Die einheitliche Erscheinungsform des dunklen Materials am Äquator und seine offensichtliche Ausdünnung und Fleckigkeit mit zunehmenden Breitengraden, sowie die dunklen Büschelstreifen im hellen Terrain nahe des Pols deuten stark darauf hin, dass das dunkle Material auf ballistischem Wege auf Japetus gelangt ist. Ein wichtiges neues Ergebnis ist, dass es in der „Cassini Regio“ offensichtlich keine Oberflächenneubildung durch „Eistektonik“ gegeben hat, wie etwa auf Enceladus. Die hohe Dichte von Einschlagskratern spricht dafür, dass das Terrain unter dem dunklen Material relativ alt ist. Somit könnte die „Cassini Regio“ durch fahnenartige Eruptionen entstanden sein, bei denen sich dunkle Partikelmaterialien auf der Oberfläche als Fallout ansammelten, vielleicht in Verbindung mit der Entstehung des äquatorialen Bergrückens, wofür auch dessen symmetrische Lage in der „Cassini Regio“ spricht. Andererseits könnten die dunklen Ablagerungen immer noch, und auf einfachere Weise, mit dem Einfall von außerhalb erklärt werden.