Neuer Atlas des Saturnmondes Rhea veröffentlicht

Am 21. Dezember 2010 hat die amerikanische Weltraumbehörde NASA einen von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt erarbeiteten Atlas und weitere, zum Teil hoch aufgelöste Bilder sowie eine 3D-Ansicht von Bruchstrukturen auf dem Saturnmond Rhea veröffentlicht. Daraus ergeben sich Aufschlüsse über die geologische Entwicklung und die Oberflächenbeschaffenheit dieses Eismondes.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: DLR, CICLOPS, JPL.

NASA, JPL, SSI, DLR
Eine Karte der Oberfläche des Saturnmondes Rhea. Für die Erstellung verwendeten die Kartografen des DLR-Instituts für Planetenforschung Daten der Raumsonde Cassini sowie Aufnahmen der Missionen Voyager 1 und Voyager 2.
(Bild: NASA, JPL, SSI, DLR)

Am 1. September 1979 passierte die Sonde Pioneer 11 als erste Raumsonde den Planeten Saturn und nahm dabei rund 400 Bilder von diesem Planeten und seinem Ringsystem auf. Vor etwa 30 Jahren, am 12. November 1980 und am 25. August 1981, folgten die beiden Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2. Deren Bilder und Messdaten ermöglichten den Wissenschaftlern die ersten wirklich umfassenden Einblicke in den Aufbau und die Struktur vom Saturn und seiner zahlreichen Monde und revolutionierten damit das Bild der Menschheit von diesem Ringplaneten im äußeren Bereich unseres Sonnensystems.
Dies trifft in einem noch viel stärkeren Maß auf die Cassini-Mission zu, welche sich seit dem 1. Juli 2004 in einer Umlaufbahn um den Saturn befindet. Eines der 12 wissenschaftlichen Instrumente an Bord der Sonde, das aus einer Telekamera (NAC) und einer Weitwinkelkamera (WAC) bestehende ISS-Kameraexperiment, liefert seitdem regelmäßig hochaufgelöste Bilder von der Atmosphäre, dem Ringsystem und den vielfältigen Monden des Saturn.

Das ISS-Kameraexperiment wird von Dr. Carolyn Porco von der University of Colorado in Boulder im US-Bundesstaat Colorado geleitet. Als assoziierter Wissenschaftler ist Dr. Thomas Roatsch vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof für die Erstellung aller Oberflächenkarten der sieben größten Saturnmonde nach Titan verantwortlich. „Nach den Atlanten für Phoebe, Mimas, Enceladus, Tethys, Dione und Iapetus haben wir nun auch Rhea vollständig kartiert und können seine gesamte Oberfläche in einem Atlas von 15 Kartenblättern darstellen“, so Dr. Roatsch.

NASA, JPL, SSI, DLR
Eines von 15 Kartenblättern, welche die Oberfläche von Rhea mit einem nominalen Maßstab von 1:1.500.000 abdecken.
(Bild: NASA, JPL, SSI, DLR)

In den einzelnen Kartenblättern ist die Oberfläche von Rhea dabei mit einem nominalen Maßstab von 1:1.500.000 abgedeckt. Das nebenstehende Exemplar zeigt die Izanagi-Region auf der südlichen Hemisphäre des Mondes. Die restlichen Karten stehen der interessierten Öffentlichkeit auf der Internetseite des Cassini Imaging Central Laboratory for Operations (CICLOPS) zur Verfügung. Die für die Namensvergabe von Oberflächenstrukturen zuständige Internationale Astronomische Union (IAU) übernahm bereits die Vorschläge der Cassini-Wissenschaftler für die Namensgebung von verschiedenen Kratern und Bruchstrukturen auf Rhea, welche Personen und Orten aus Schöpfungsmythen mit Schwerpunkt auf asiatische Völker entlehnt sind.

Mit einem Durchmesser von 1.528 Kilometern ist Rhea nach Titan der zweitgrößte Mond des Saturn, welchen er in rund 527.000 Kilometern Entfernung vom Planetenzentrum in nur etwas mehr als 4,5 Tagen umkreist. Mit einer mittleren Dichte von 1,23 Gramm pro Kubikzentimeter scheint es sich bei Rhea um einen sehr homogenen Körper zu handeln, der sich zu zwei Dritteln aus Wassereis und zu einem Drittel aus Gestein zusammensetzt. Erst vor kurzem wurde mit zwei anderen Instrumenten an Bord von Cassini eine extrem dünne Atmosphäre aus Sauerstoff und Kohlendioxid, eine sogenannte Exosphäre, entdeckt (Raumfahrer_net berichtete).

NASA, JPL, SSI, FU Berlin
Auf diesem Mosaikbild erkennt man einige der vereisten Risse auf der Mondoberfläche, welche das Sonnenlicht reflektieren. Die Einzelaufnahmen wurden am 2. März 2010 durch die NAC-Kamera der Raumsonde aus einer Entfernung von etwa 16.000 Kilometern aufgenommen. Der Phasenwinkel, dieser beschreibt den Winkel zwischen den Achsen Sonne-Rhea und Rhea-Cassini, betrug zwei Grad. Die Raumsonde befand sich somit zum Zeitpunkt der Aufnahme beinahe direkt zwischen dem Mond und der Sonne. Die Bildauflösung beträgt etwa 85 Meter pro Pixel.
(Bild: NASA, JPL, SSI, FU Berlin)

Im Verlauf der vergangenen sechs Jahre nahm die ISS-Kamera insgesamt 4.386 Bilder von Rhea auf, welche Auflösungen von 500 Metern pro Pixel bis hin zu nur 6,5 Meter pro Pixel erreichen. Für den jetzt vorliegenden Atlas der Oberfläche wurden 370 hoch aufgelöste Aufnahmen von zwei nahen Cassini-Vorbeiflügen, welche im September 2009 und im März 2010 aus zum Teil nur hundert Kilometern Entfernung erfolgten, und neun weiteren Vorbeiflügen in größerer Distanz verwendet. Mit diesen Daten konnte die bisher gegebene Abdeckung von Gebieten nördlich des Äquators zwischen 250 und 300 Grad westlicher Länge verbessert werden. Aber auch einige der 30 Jahre alten Voyager-Aufnahmen fanden noch Verwendung. Mit sechs dieser Aufnahmen wurde so die nur lückenhafte Abdeckung des Rhea-Nordpols durch die bisherigen Cassini-Aufnahmen verbessert.
Der Atlas und die bisher detailreichsten Bilder der Oberfläche von Rhea geben den Planetenforschern Aufschluss über die geologische Entwicklung und die Oberflächenbeschaffenheit dieses Eismondes. Als besonders interessant stellen sich dabei für die Wissenschaftler mehrere teilweise über 100 Kilometer lange, zumeist linear, an manchen Stellen auch gewunden verlaufende Strukturen dar. Der Ursprung dieser schmalen Linien war lange Zeit unklar.

„Erst die hoch aufgelösten Bilddaten von Cassini enthüllten, dass die hellen Filamente in Wirklichkeit tektonischen Ursprungs, also Brüche in der Eiskruste, sind und ihre Ursache im plötzlichen Entladen von Spannungen im Eispanzer des Mondes haben“, so Dr. Roland Wagner vom DLR-Institut für Planetenforschung. Diese tektonischen Grabenbrüche, welche eine Tiefe von bis zu vier Kilometern erreichen, könnten durch das wiederholte kurzzeitige Auftreten von Dehnungs- und Schertektonik entstanden sein.

„Indem die hoch aufgelösten Detailaufnahmen mit spektroskopischen Daten von Cassini korreliert wurden, wurde auch festgestellt, dass die auffallende Helligkeit dieser Filamente durch fast reines Wassereis hervorgerufen wird, das an den Steilhängen dieser tektonischen Strukturen exponiert ist. Das bedeutet, dass es in der geologischen Vergangenheit zu enormen Spannungen im spröden Eispanzer des Mondes gekommen sein muss, die sich in diesen großen vertikalen Versätzen manifestierten“, so Dr. Wagner weiter. „Über die Ursache dieser Spannungen können wir jedoch nur spekulieren.“

NASA, JPL, SSI, DLR
Die mit Kratern übersäte und in diesem Bereich von Tälern zerfurchte Oberfläche von Rhea. Bei der Betrachtung mit einer speziellen Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille wird bei dieser 3D-Aufnahme ein räumlicher Eindruck der abgebildeten Landschaft vermittelt.
(Bild: NASA, JPL, SSI, DLR)

Die entsprechenden Strukturen sind auf dem nebenstehenden Anaglyphenbild zu erkennen, welches die Mondoberfläche mit einer bisher nicht erreichten Detailgenauigkeit abbildet. Es handelt sich hierbei um ein Mosaik, welches aus 11 verschiedenen von der ISS-Kamera aufgenommenen, Schwarz-Weiß-Bildern zusammengesetzt wurde. Obwohl die allgemein sehr hohe Kraterdichte auf der Oberfläche von Rhea auf eine eher geringe Veränderung dieser Oberfläche durch tektonische Einflüsse hindeutet, sind auf diesem Bild Hinweise auf tektonische Aktivitäten im abgebildeten Gebiet zu erkennen. Eine Reihe von dicht beieinander liegenden geraden und gewundenen Tälern und Hängen, zwischen denen sich erhöhte Abschnitte befinden, ziehen sich durch ältere und dicht mit Kratern bedeckte Ebenen. Während die vielen Krater auf den Ebenen dadurch zu erklären sind, dass seit der frühen Geschichte des Mondes keine starken Aktivitäten im Inneren von Rhea stattgefunden haben, deuten die geraden und gewundenen Strukturen auf tektonische Spannungen hin, die zumindest in einigen Regionen sehr viel später aufgetreten sein müssen.

Die zeitliche Abfolge bei der Entstehung der verschiedenen Formationen lässt sich aus deren Anordnung ableiten. Täler und Brüche durchziehen die beiden größten abgebildeten Krater, welche somit die ältesten Formationen darstellen. Die Talsysteme wiederum sind von nur wenigen kleineren Kratern bedeckt, welche somit jünger als die Bruchstrukturen sein müssen. Die geringe Anzahl kleiner Krater deutet dabei darauf hin, dass sowohl die beiden großen, älteren Krater als auch die tektonischen Formationen, von denen ihre Ränder und Senken durchzogen werden, vergleichsweise jung sind.

An manchen Stellen ist Material die Hänge herabgerutscht und hat sich in den flacheren Senken angesammelt. Der Mittelpunkt des Anaglyphenbildes befindet sich bei 12 Grad nördlicher Breite und 273 Grad westlicher Länge auf der Hemisphäre von Rhea, die entgegen der Bewegungsrichtung des Mondes liegt. Die Bilder wurden am 21. November 2009 im sichtbaren Licht mit der NAC-Telekamera der zu diesem Zeitpunkt etwa 25.000 Kilometer von Rhea entfernten Raumsonde aufgenommen und erreichen eine Auflösung von etwa 140 Metern pro Pixel.

Wie auch der Mond unseren Heimatplaneten, so umrundet auch Rhea den Saturn im Rahmen einer „gebundenen Rotation“. Rhea dreht sich also während eines Orbits um den Saturn genau einmal um seine eigene Achse. Dadurch weist immer dieselbe Seite des Mondes zum Saturn hin. Durch die Kombination verschiedener Abbildungen von der dem Saturn zugewandten Hemisphäre durch drei spezielle Filter, verwendet wurden Ultraviolett, Grün und Infrarot, konnte Tilmann Denk von der Freien Universität Berlin nachweisen, dass auf der Hälfte der „Heckseite“ von Rhea, die dabei in Richtung des Saturn orientiert ist, markante Farb- und Helligkeitsunterschiede gegenüber der „Bugseite“ des Mondes bestehen.

NASA, JPL, SSI, FU Berlin
Auf dieser Falschfarbenaufnahme der stets dem Planeten zugewandten Seite von Rhea sind Farbunterschiede innerhalb dieser Hemisphäre zu erkennen. Für die Darstellung wurden ultraviolette, grüne und infrarote Aufnahmen in einem Bild kombiniert, mit dem regionale Farbunterschiede isoliert und abgebildet wurden. Der Phasenwinkel betrug drei Grad, wobei die WAC-Kamera am 2. März 2010 aus einer Entfernung von rund 35.000 Kilometern eine Auflösung von etwa zwei Kilometern pro Pixel erreichen konnte.
(Bild: NASA, JPL, SSI, FU Berlin)

Solche unterschiedlichen Oberflächen, welche dabei Unterschiede in Albedo und Farbe nach sich ziehen, sind bei den Eismonden des Saturn, welche ebenfalls eine gebundener Rotation aufweisen, anscheinend nicht ungewöhnlich. Diese Unterschiede, so die Annahme der Wissenschaftler, beruhen vermutlich auf systematischen regionalen Unterschieden in der Zusammensetzung dieser Oberflächen oder in Unterschieden bezüglich der Größe und mechanischen Struktur der Eiskörner aus denen sich die Krusten der jeweiligen Monde zusammensetzt.

Derartige geographisch verteilte Unregelmäßigkeiten können ihre Ursache dabei in zahlreichen Prozessen haben. Mögliche Erklärungen wären zum Beispiel eine bevorzugte Richtung des Einfalls von Kleinpartikeln und Mikrometeoriten oder das Eindringen von Ionen, die ursprünglich dem Magnetfeld des Saturn entstammen. Die rötlichen Falschfarben-Farbtöne an den beiden Polen von Rhea, die vor dem Bombardement mit Ionen und den stärker am Äquator einfallenden Mikrometeoriten verhältnismäßig geschützt sind, deuten darauf hin, dass die Farbunterschiede zumindest teilweise exogenen, also durch äußere Einwirkungen bedingten Ursprungs sind.

Auch in der Zukunft ist mit weiteren Forschungsergebnissen bezüglich der Zusammensetzung und Entwicklungsgeschichte dieses Mondes zu rechnen. „Besonders spannend wird der 11. Januar 2011 sein, wenn Cassini in nur 76 Kilometern Höhe über die Oberfläche von Rhea fliegen wird“, so Dr. Roatsch voller Vorfreude. „Das werden dann die besten Bilder überhaupt sein, die wir je von Rhea zu Gesicht bekommen – selbst wenige Meter kleine Details werden darauf erkennbar sein!“

Die Mission Cassini-Huygens ist ein gemeinsames Projekt der amerikanische Weltraumbehörde NASA, der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der Italienischen Weltraumagentur ASI. Geleitet wird die Mission vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena/Kalifornien. Dieses führt die Mission für das Wissenschaftsdirektorat der NASA durch. Der Cassini-Orbiter wurde am JPL entworfen, entwickelt und gebaut. Im ISS-Kamerateam sind Wissenschaftler aus den USA, England, Frankreich und Deutschland tätig. Das ISS-Experiment wird am Space Science Institute (SSI) in Boulder/USA von Dr. Carolyn Porco operativ durchgeführt und geleitet. Der finanzielle Anteil Deutschlands an der Mission beträgt rund 120 Millionen Euro. Die DLR-Raumfahrtagentur hat dabei die deutschen Beteiligungen kontinuierlich mit Mitteln der Bundesregierung gefördert. Am 3. Februar 2010 teilte die NASA mit, dass die Cassini-Mission bis Ende 2017 verlängert wurde (Raumfahrer_net berichtete).

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