Angesichts der Veränderungen des globalen Klimas wird die satellitengestützte Beobachtung des Ökosystems immer wichtiger. In diesem Frühjahr wird die ESA vier Missionen auswählen, die im Rahmen ihres Erdbeobachtungsprogramms „Earth Explorer“ bis zum Ende des Jahrzehnts realisiert werden sollen.
Autor: Michael Stein & Karl Urban
Um eine möglichst optimale Auswahl unter den sechs noch verbliebenen Kandidaten zu treffen wurden führende europäische Wissenschaftler des Erdbeobachtungsprogramms Anfang dieser Woche zu einer zweitägigen Konferenz in die italienische ESA-Niederlassung in Friscati bei Rom eingeladen. Dort wurden ihnen die sechs Missionsvorschläge präsentiert, und die Forschergemeinde konnte anschließend ihre vier „Wunschkandidaten“ bestimmen. Bei der für dieses Frühjahr vorgesehenen Entscheidung der ESA-Gremien, welche der sechs Forschungsmissionen realisiert werden, wird das Votum der Konferenzteilnehmer eine wichtige Rolle spielen.
Neue Missionen in guter Tradition
Die vier neuen Erdbeobachtungsmissionen werden sich an erfolgreichen Vorgängern messen lassen müssen. Seit über einem Jahrzehnt leistet die ESA wichtige Beiträge auf dem Gebiet der satellitengestützten Erdbeobachtung. Mit dem Erdbeobachtungssatelliten ERS-1 begann 1991 das erste Kapitel dieser europäischen Erfolgsgeschichte, dem vier Jahre später der annähernd baugleiche ERS-2 folgte. Die beiden Satelliten konnten durch den Einsatz revolutionärer Radarinstrumente auch dann Informationen über den Zustand der überflogenen Erdregionen liefern, wenn Wolkenschichten oder fehlendes Tageslicht die Sicht auf die Erdoberfläche verhinderten. ERS-2 ist derzeit immer noch aktiv und liefert wertvolle Messdaten über die Ozeane, Eisregionen und Landoberflächen unserer Erde.
Diesen beiden Wegbereitern der europäischen Erdbeobachtung folgte dann im Jahr 2002 mit Envisat der größte jemals in Europa gebaute Forschungssatellit. Dieser mehr als acht Tonnen schwere und weltweit leistungsfähigste Erdbeobachtungssatellit ist mit weiterentwickelten Versionen der ERS-Instrumente sowie zusätzlichen Messinstrumenten zur Atmosphärenbeobachtung ausgestattet, die einen bis dahin unerreicht vielfältigen Blick auf unseren blauen Planeten ermöglichen.
Auf neuen Wegen
Dem Vorteil von Großsatelliten wie ERS oder Envisat, ein und dasselbe Gebiet der Erde gleichzeitig mit mehreren Instrumenten beobachten zu können, stehen jedoch auch einige Nachteile gegenüber: Entwicklung, Finanzierung und Administration solcher Großvorhaben sind extrem ressourcenintensiv. So lag vor dem Start von Envisat beispielsweise eine zehnjährige Planungs- und Entwicklungsphase, und die gesamte Mission wird insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro kosten.
Um zukünftig schneller auf die Anforderungen und neuen Erkenntnisse der Wissenschaft reagieren zu können hat die ESA das Programm „Living Planet“ ins Leben gerufen. Es sieht für die nächsten Jahre eine größere Zahl von Erdbeobachtungssatelliten vor, die deutlich kleiner, spezialisierter und kostengünstiger als ihre Vorgänger ausfallen werden. Die vier neuen „Earth Explorer“-Missionen, deren Auswahl in den kommenden Wochen erfolgen wird, werden ein wichtiger Bestandteil der neuen ESA-Strategie sein.
Die Missionskandidaten
ACE+ (Atmosphere and Climate Explorer) kann die Veränderungen des Klimas global messen. Zwei Satelliten sollen ständig weltweit Profile der Temperatur, der Atmosphärenschichten und des Wasserdampfgehalts erstellen. Da die gesammelten Daten globusumspannend gewonnen werden, lassen sich daraus direkte Schlüsse auf die Entwicklung des Erdklimas ziehen.
Innerhalb des europäisch-japanischen Vorschlags EarthCARE (Earth Clouds, Aerosols and Radiation Explorer) steht ebenfalls die genaue Beobachtung der Erdatmosphäre im Vordergrund. Der Satellit soll zur Erforschung von Wolken und Aerosolen – kleinsten Partikeln und Gasen in der Luft – vertikale Atmosphärenprofile erstellen und sich so einen Überblick über die Veränderungen der Atmosphäre verschaffen.
Für aktive Erforschung des Wasserkreislaufs in der Atmosphäre soll WALES (Water Vapour Lidar Experiment in Space) sorgen. Der Satellit kann durch direkte Messungen das Vorkommen von Wasserdampf beobachten und aufzeichnen.
Neben diesen drei Missionen soll sich auch der Satellit EGPM (European contribution to Global Precipitation Measurement) mit Klimaphänomenen auseinandersetzen. Er wird Teil des bisher japanisch-amerikanischen Gemeinschaftsprojekts GPM, in dessen Rahmen etwa alle drei Stunden die Niederschläge weltweit gemessen werden sollen. Der kleine europäische EGPM-Satellit kann mit Hilfe vier verschiedener Wellenlängen zwischen Wasserdampf, flüssigem Wasser und Eis unterscheiden. Die Mission könnte dazu beitragen, Klimakatastrophen wie Sturmfluten besser zu verstehen und vorherzusagen.
Welche Rolle Pflanzen auf das globale Klima haben, ist noch immer stark umstritten: sie binden einen Großteil des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid, das heute vom Menschen im Übermaß freigesetzt wird. Der Satellit SPECTRA (Surface Processes and Ecosystem Changes Through Response Analysis) hat die Aufgabe, die Verbindung zwischen Vegetation und dem Kohlenstoff-Kreislauf besser zu verstehen und die klimatischen Auswirkungen, die daraus erwachsen, vorherzusagen.
Die Mission SWARM soll Veränderungen des natürlichen Magnetfelds der Erde aufzeichnen, denn dieses ist nicht beständig: Innerhalb der vergangenen 150 Jahre hat es sich um etwa 10 Prozent abgeschwächt, was mit einem anstehenden Umkehren von magnetischem Nord- und Südpol zusammenhängt und eine normale Entwicklung darstellt. Trotzdem ergeben sich durch die Abschwächung Auswirkungen auf das Klima, da das Magnetfeld die Erdatmosphäre nun weniger vor den Einflüssen solarer und kosmischer Strahlen schützen kann. Hier dürfte SWARM neue Erkenntnisse liefern, welche die Rolle des Erdmagnetfelds besser erklären können.
Realisierung in diesem Jahrzehnt
Ende Mai wird das für das Erdbeobachtungsprogramm der ESA zuständige Gremium zusammentreffen, um eine abschließende Empfehlung für die Aufnahme neuer Forschungsmissionen in das „Earth Explorer“-Programm auszusprechen. Bei der Entscheidung, welche der sechs Kandidaten dabei berücksichtigt werden, wird das auf der Konferenz im ESRIN geäußerte Votum der Erdbeobachtungsspezialisten eine gewichtige Rolle spielen. Einar-Arne Herland, Leiter des Bereichs Erdwissenschaften der ESA, weist auf die unterschiedliche Gewichtung der dabei angesprochenen Gesichtspunkte hin: „Auch technologische und finanzielle Aspekte sind diskutiert worden, aber die wissenschaftliche Exzellenz der vorgestellten Missionen war für die Teilnehmer dieser Konferenz natürlich von höchster Bedeutung“. Die neuen „Earth Explorer“-Missionen sollen bis zum Ende dieses Jahrzehnts realisiert werden.
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