Neue Exoplaneten und die Nadel auf dem Heuhaufen

[Update] Forscher der Europäischen Südsternwarte entdecken 50 neue Exoplaneten, darunter einen 36 Lichtjahre entfernten Planeten der wohl über Bedingungen, die Wasser im flüssigen Zustand ermöglichen, verfügt. Erdähnlichkeit, wie in der Presse vermutet, ist wohl zu bezweifeln.

Ein Beitrag von Ralf Mark Stockfisch. Quelle: Arxiv.org, ESO. Vertont von Peter Rittinger.

ESO
Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) im chilenischen La Silla (Bild: ESO)

Die Forscher der Universität Genf und des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg haben mit dem HARPS-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) im chilenischen La Silla, über 50 neue extrasolare Planeten entdeckt.Dabei nutzen sie präzise Messungen der Radialgeschwindigkeit und haben zudem auch einen extrasolarer Planeten namens HD 85512b aufgespürt, der möglicherweise gerade noch Bedingungen für die Existenz von flüssigem Wasser hat. Mit ihrem in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics und unter ArXiv vorab veröffentlichtem Artikel haben die Forscher eine neue kontroverse Diskussion um erdähnliche Planeten angestoßen.

Die Entdecktung von Exoplanten und ihr Nachweis
Die Entdeckung von extrasolaren Planeten, welche 1995 mit dem Planeten 51 Pegasi im Sternbild Pegasus begann, hat das Interesse an möglichem Leben außerhalb der Erde erheblich intensiviert. Erst im November 2010 wurde der 500. Exoplanet gemeldet (Raumfahrer.net berichtete). Aktuell sind rund 600 extrasolare Planeten in ca. 481 Sonnensystemen bekannt. Ob aber auf diesen Planeten auch Leben möglich wäre, ist höchst fraglich. Dabei ist schon fraglich, ob die Planeten tatsächlich existieren. Denn erst 27 Planeten konnten in einem bildgebenden Verfahren wissenschaftlich nachgewiesen werden. Alle anderen konnten nur durch indirekte Methoden wie der Radialgeschwindigkeitsmessung (Doppler-Effekt) der Transitmethode oder dem Gravitationslinsen-Effekt (engl. gravitational microlensing) nachgewiesen werden. Der Grund dafür ist, dass Planeten das Licht sehr viel schwächer reflektierten als das von einem Stern abgestrahlte Licht. Zudem ist der Blickwinkel zwischen Stern und Planet aus großem Abstand extrem klein und entspricht der Beobachtung einer Nadel auf einem Heuhaufen in mehreren Kilometern Entfernung. Dementsprechend findet das HARPS-Teleskopie derzeit nur Planeten die eine gewisse Größe haben. Bei drei Erdmassen beträgt die Nachweiswarscheinlichkeit ca. 20 %, bei zehn sollen es in naher Zukunft 100 % sein.

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Electromagnetic_spectrum_c.svg&filetimestamp=20090611090004
Elektromagnetisches Spektrum
(Bild: Wikipedia )

Wie funktioniert das HARPS-Teleskop?
Das 3,6-Meter Teleskop misst die Radialgeschwindigkeit eines Sterns, mit außergewöhnlicher Genauigkeit. Wird der Stern von einem Planeten umkreist, so bewirkt diese Umkreisung, dass er sich regelmäßig ein wenig auf irdische Beobachter zu und wieder von ihnen weg bewegt. Durch den so genannten Dopplereffekt führt nun diese Änderung der Radialgeschwindigkeit zu einer Verschiebung des Lichtspektrums. So lässt sich beim Zubewegen auf die Erde im Spektrum des Sterns eine Rotverschiebung, beim Wegbewegen eine Blauverschiebung nachweisen. Was sich so einfach anhört (denn man müsste ja nur das Farbspektrum eines Sterns messen, schon wüsste man, ob er Planeten besitzt), ist in Wahrheit eine sehr aufwändige Methode: Die Abweichungen im Spektrum sind in der Regel so minimal (sie macht ein Zehntel der Dicke einer Spektrallinie aus), dass man diese erst nach vielen sehr genauen Messungen feststellen kann. Diese winzigen Wellenlängenverschiebungen kann HARPS messen und so indirekt die Anwesenheit eines Planeten nachweisen. Dabei sind allerdings ganz erheblich aufwendige Messungen und Analysen anzustellen. Zudem können sich Frequenzverschiebungen auch noch durch die Rotation des Sterns selbst ergeben. Trotzdem ist dies die effektivste Methode zum Aufspüren extrasolarer Planeten.

ESO / Raumfahrer.net
Darstellung der Habitablen Zone von Gliese 581d, HD 85512b und der Erde
(Bild: ESO / Raumfahrer.net)

Suche nach „erdähnlichen“ Exoplaneten
Die Suche der Wissenschaftler konzentriert sich auf Planeten die ähnlich der Erde beschaffen sind. Ein Großteil der 600 entdeckten Exoplaneten sind allerdings Gasplaneten, also Planeten die vorwiegend aus leichten Elementen wie Wasserstoff und Helium bestehen. Nur ein kleinerer Teil sind offenbar Gesteinsplaneten. Damit ist noch nicht gesagt, dass Leben darauf möglich wäre oder diese gar erdähnlich sind. Dafür sind zahlreiche Faktoren verantwortlich, welche festzustellen, mit unseren derzeitigen Messverfahren sehr schwierig und fehlerbehaftet ist. Zunächst ist erforderlich, dass der Planet sich innerhalb der habitablen Zone befindet. Damit bezeichnet man den Abstandsbereich, in dem sich ein Planet von seinem Heimatstern aufhalten muss, damit gewisse Eigenschaften auf dem Planeten wie flüssiges Wasser, angemessene Temperatur und UV-Strahlung vorliegen. Erforderlich ist, dass Wasser dauerhaft in flüssiger Form als Voraussetzung für erdähnliches Leben auf der Oberfläche vorliegen kann, was bei zu nahen oder zu weit entfernten Umlaufbahnen nicht möglich ist. Bei sonnenähnlichen Sternen liegt die habitable Zone zwischen 0,95 und 1,4 Astronomischen Einheiten (1 AE = Abstand zwischen Sonne und Erde). Bei kleineren Sternen liegt sie deutlich dichter am Stern. Weiterhin muss sowohl der Planet als auch Stern, um den der Planet kreist, gewisse Eigenschaften erfüllen. Der Planet selber darf nicht zu klein sein, sonst kann er keine Atmosphäre halten. Der Stern darf nicht zu viele Sonnenmassen haben, da er sonst wegen der größeren Fusionsaktivität nur kurze Zeit existiert und dann möglicherweise die habitable Zone nicht ausreichend lange für die Entwicklung von Leben existiert.

Bislang hat das HARPS-Teleskop nur zwei Gesteinsplaneten (sog. Supererden) entdeckt die gerade noch innerhalb der habitablen Zone lagen und daher als aussichtsreiche Kandidaten gelten. Der erste ist Gliese 581 d, der 2007 entdeckt wurde. Der von den Forschern nun gefundene zweite, HD 85512b, ist ungefähr 3,6-mal [1] so schwer wie unsere Erde und umläuft seinen Heimatstern in 54 Tagen. Da sein Stern jedoch kleiner und kühler sei als unsere Sonne, befinde er sich noch am äußersten Rand der habitablen Zone. Genau genommen befindet er sich knapp außerhalb der habitablen Zone und wäre damit nach der herkömmlichen Ansicht zu heiß. Die Forscher Francesco Pepe und Lisa Kaltennegger begründen ihre Ansicht jedoch damit, dass bei einer durchschnittlichen Wolkenbedeckung von mehr als 50 % eine ausreichende Reflektion der Sonnenstrahlung möglich ist und der Planet damit kühler sein könnte, so dass mögliches Wasser nicht verdunste. Sei der Planet jedoch mit deutlich mehr Wolken bedeckt, so könnte er ein kochend-heißer venusähnlicher Planet sein. Die Entdeckung der Forscher beruht folglich lediglich auf einem berechneten Modell mit verschiedenen möglichen Varianzen.

Dies wird auch vom britischen Astronomen Paul Wilson von der Universität Exeter kritisiert. Nach seiner Ansicht, sei der Wert des Beitrages der Forscher durch die vielen Vermutungen stark relativiert. Diese Kritik ist im Kern zwar zutreffend. Es fragt sich jedoch, wie, ohne derzeit verfügbare genaue Messverfahren, die Bestimmung der exoplanetaren Atmosphären anders als in Näherungsmodellen vonstatten gehen soll. Ähnliche Berechnungen wurden im Übrigen auch bei Gliese 581 d(Raumfahrer.net berichtete) angestellt

http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2006/06/image/a
Künstlerische Darstellung von HD 85512b
(ESO)

Voraussetzungen für Leben auf Exoplaneten
Im Mai 2011 publizierte ein Forscherteam aus den USA, dass auf die Berechnung der habitablen Zone der Treibhauseffekt einen erheblichen Einfluss haben kann. Danach ergäbe ein hoher Wasserstoffgehalt in der Atmosphäre bei gewissen Druck einen ausreichenden erwärmenden Effekt, was die habitable Zone nach außen erheblich erweitere. Dass das Forscherteam der Universität Genf also bei HD 85512b die mögliche Atmosphäre mit in ihr Modell einbezog, ist daher vertretbar. Vor allem, weil die Feststellung der Habitabilität auf andere Weise, namentlich durch bildgebende Verfahren, äußert schwierig und derzeit nur bei Planetensystemen in direkter Nachbarschaft, also ca. bis zu 20 Lichtjahren Entfernung zu unserem Sonnensystem möglich ist (Raumfahrer.net berichtete).

Unabhängig davon, ob sich ein Planet in der habitablen Zone befindet, gibt es noch viele weitere Faktoren die für eine Entstehung von Leben erforderlich ist. Einige davon kennen wir noch nicht einmal, da wir die Entstehung des Lebens auf unserem eigenen Planeten noch nicht entschlüsselt haben und die Prämissen und Chancen nicht einschätzen können. So stellt sich die Frage, ob ein Mond Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung komplexer Lebensformen ist. Der Mond wirkt aufgrund seiner Nähe und Gravitation stabilisierend, quasi wie ein Anker, auf die Erdneigung. Ohne den Erdtrabanden läge die Schwankung der Erdachse zwischen 0 und 84 Grad was zu extremen Temperaturunterschieden in unterschiedlichen Phasen führen und jedes Ökosystem destabilisieren würde, so dass komplexe Lebensformen nur schwer entstehen könnten. Deshalb wurde in einer Studie von Laskar, Joutel & Robutel in der Fachzeitschrift Nature (Band 361 (1993), S. 615 f.) der Schluss gezogen, dass für extrasolare Planeten das Umkreisen durch einem Mond Voraussetzung für höhere Lebensformen ist. Die Beobachtung von Monden extrasolarer Planeten mit unseren bisherigen Teleskopen ist jedoch noch nicht möglich. Nach einem neueren Forschungsergebnis vom Mai 2011 sollen sich aber auch ohne Mond höhere Lebensformen auf extrasolaren Planeten entwickeln können, nur dass dies mehr Zeit bräuchte. Daran sehen wir, dass im Einzelnen die wenigen Voraussetzungen, die wir für die Entstehung von erdähnlichen Leben kennen, noch umstritten sind. Dabei stellt sich auch die Frage der wissenschaftlichen Qualität, wenn man bedenkt dass der Publikationsdruck bei gleichzeitig abnehmenden Forschungsgeldern immer höher wird, sodass die Berichte von möglicherweise erdähnlichen Planeten hier und künftig einer umfassenden kritischen Würdigung hinsichtlich der Ergebnisse und Methoden unterzogen werden sollten.

Fußnoten:
[1] Mit Hilfe der Radialgeschwindigkeitsmethode können Astronomen lediglich ein Minimum für die Masse des Planeten bestimmen. Die tatsächliche Masse hängt von der Neigung der Bahnebene des Planeten relativ zur Verbindungslinie zwischen Beobachter und fernem Planetensystem ab, und diese Größe lässt sich mit der Radialgeschwindigkeitsmethode nicht bestimmen und ist daher in den meisten Fällen unbekannt. Statistisch gesehen liegt die Minimalmasse aber in den meisten Fällen nicht allzu weit von der tatsächlichen Masse des Planeten entfernt. ESO PM, 2011

Raumcon:

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