Einem internationalen Astronomenteam ist es mit dem MUSE-Instrument am Very Large Telescope der ESO in Chile gelungen, den bisher besten dreidimensionalen Blick in das tiefe Universum zu erlangen. Nach einer gerade einmal 27-stündigen Beobachtung der ‚Hubble Deep Field South‘-Region konnten die beteiligten Wissenschaftler Aussagen über Entfernungen, Bewegungen und andere Eigenschaften von weitaus mehr Galaxien tätigen als dies jemals zuvor in diesem kleinen Bereich des Weltalls möglich war.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: ESO.
Aus den Daten von sogenannten ‚Deep Field‘-Aufnahmen, welche mit besonders langen Belichtungszeiten von Teilbereichen des Weltalls angefertigt werden, können Astronomen eine Vielzahl an Informationen über das frühe Universum ableiten. Bei der allgemein bekanntesten derartigen Aufnahme handelt es sich um das Hubble Deep Field-Foto (kurz „HDF“), welches im Dezember 1995 über einen Zeitraum von mehreren Tagen hinweg mit dem Weltraumteleskop Hubble angefertigt wurde.
Diese eindrucksvolle und zugleich auch symbolträchtige Aufnahme, mit der ein lediglich 144 x 144 Bogensekunden abmessender Teilbereich des Sternbildes Großer Bär erfasst wurde, lieferte den Astronomen viele wichtige Erkenntnisse und änderte das Verständnis der Wissenschaft über das frühe Universum von Grund auf. Im September und Oktober 1998 erfolgte mit dem Hubble Deep Field South-Foto (kurz „HDF-S“) eine ähnliche Aufnahme, welche einen Teilbereich des südlichen Sternhimmels wiedergab.
Die Deep-Field-Aufnahmen des Hubble Space Telescope hatten jedoch den Nachteil, dass die Astronomen die dort zu erkennenden, oftmals Milliarden von Lichtjahren entfernt gelegenen Galaxien erst mit weiteren Instrumenten beobachten und sorgfältig untersuchen mussten, bevor weitere Aussagen über deren physikalische Eigenschaften getätigt werden konnten. Mit dem Multi Unit Spectroscopic Explorer (kurz „MUSE“) steht den Astronomen allerdings seit Kurzem ein Instrument zur Verfügung, welches beide Aufgaben – Beobachtung und Analyse – gleichzeitig durchführen kann.
Das MUSE-Instrument kombiniert das Entdeckungspotential eines bildgebenden Instruments mit den messtechnischen Fähigkeiten eines Spektrografen, wobei es sich die deutlich bessere Bildschärfe einer adaptiven Optik zunutze macht. Diese Methode, welche auch als Integralfeldspektroskopie bezeichnet wird, ermöglicht es den Astronomen, gleichzeitig die Eigenschaften von verschiedenen Teilen eines Objekts wie einer Galaxie zu untersuchen und dabei zu beobachten wie diese rotiert oder um ihre Masse zu bestimmen. Diese Methode erlaubt es ebenfalls, die chemische Zusammensetzung und andere physikalische Eigenschaften in unterschiedlichen Bereichen des zu analysierenden Objekts zu bestimmen. Die Integralfeldspektroskopie wird zwar bereits seit mehreren Jahren eingesetzt, hat aber jetzt mit dem MUSE-Instrument einen deutlichen Fortschritt in Bezug auf Empfindlichkeit, Effizienz und Auflösung erreicht.
Dabei erfolgt die Anfertigung der Aufnahmen zudem deutlich schneller als dies mit dem Weltraumteleskop Hubble möglich ist. Das MUSE-Instrument ist am Hauptteleskop Nummer 4 – dem Yepun-Teleskop – des Very Large Telescope (kurz „VLT“) am Pananal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den nordchilenischen Anden angebracht und hat den wissenschaftlichen Betrieb bereits im Jahr 2014 aufgenommen. Eine der ersten Aufgaben für MUSE nach seiner Inbetriebnahme bestand darin, das Hubble Deep Field South genauer ‚unter die Lupe‘ zu nehmen. Die dabei erzielten Ergebnisse übertrafen die Erwartungen der beteiligten Wissenschaftler.
„Nach nur wenigen Stunden Beobachtung am Teleskop schauten wir uns die Ergebnisse kurz an und entdeckten viele Galaxien. Das war schon einmal sehr vielversprechend. Nachdem wir nach Europa zurückgekehrt waren begannen wir damit, uns die Daten genauer anzuschauen. Es war als würden wir in tiefem Wasser angeln. Jeder neue Fang versetzte uns in Aufregung und löste viele Diskussionen angesichts der dabei gefundenen neuen Arten aus“, so Roland Bacon vom Centre de Recherche Astrophysique de Lyon in Frankreich, der für den Betrieb des MUSE-Instruments verantwortliche Projektleiter.
Jeder einzelne Punkt auf der MUSE-Aufnahme des HDF-S ist nicht nur durch einen Pixel gekennzeichnet, sondern zeigt gleichzeitig auch ein Spektrum, welches die unterschiedlichen Farbzusammensetzungen des Lichts an diesem Punkt enthüllt. Insgesamt wurden so knapp 90.000 Spektren gewonnen, welche im Bereich zwischen 475 bis hin zu 930 Nanometern alle Wellenlängen des Lichts abdecken. Aus diesen Informationen lassen sich Rückschlüsse auf Entfernung, Zusammensetzung und innere Bewegungen von Hunderten weit entfernter Galaxien ziehen. Dies gilt auch für eine kleine Anzahl von sehr lichtschwachen Sternen innerhalb der Milchstraße, welche ebenfalls mit den MUSE-Aufnahmen ‚eingefangen‘ wurden.
Obwohl die Belichtungszeit mit lediglich 27 Stunden deutlich kürzer ausfiel als im Jahr 1998 bei den entsprechenden Hubble-Aufnahmen – das „Hubble Deep Field South“ wurde über einen Zeitraum von zehn Tagen angefertigt – konnte MUSE in diesem kleinen Bereich des Himmels mehr als 25 sehr lichtschwache Galaxien zum Vorschein bringen, welche Hubble nicht beobachten konnte. Der Grund hierfür: MUSE ist im Beobachtungsmodus besonders empfindlich für Objekte, die den größten Teil ihrer Energie in einem eng begrenzten Wellenlängenbereich abgeben. Diese Objekte erscheinen anschließend in den Beobachtungsdaten als besonders auffällige ‚helle Punkte‘. In der Regel verfügen Galaxien im ‚frühen Universum‘ über derartige Spektren, da diese Galaxien große Mengen an Wasserstoffgas beinhalten, welches aufgrund der von den ebenfalls dort befindlichen heißen und sehr jungen Sternen ausgehenden ultravioletten Strahlung zum Leuchten angeregt wird.
„Nachdem wir sehr weit entfernte Galaxien entdeckt haben, die selbst im tiefsten Hubble-Bild nicht zu sehen waren, war die Begeisterung riesengroß. Nach so vielen Jahren harter Arbeit am Instrument war es ein beeindruckendes Erlebnis für mich zu sehen, wie unsere Träume Wirklichkeit wurden“, so Roland Bacon weiter.
Indem die beteiligten Wissenschaftler alle Spektren aus der MUSE-Beobachtung des HDF-S untersuchten, konnte das Team die Entfernung zu 189 Galaxien bestimmen. Die Bandbreite reicht von relativ nahegelegenen ‚Sterneninseln‘ bis hin zu Galaxien, welche aus einer Zeit stammen, als das Universum weniger als eine Milliarde Jahre alt war. Dies sind mehr als zehn mal so viele Entfernungsmessungen für diesen Teil des Himmels als zuvor angefertigt.
Speziell für die Untersuchung von näher zu unser Heimatgalaxie gelegenen Galaxien haben sich die Möglichkeiten der Astronomen dank MUSE vergrößert. So können die Wissenschaftler jetzt beispielsweise auch die unterschiedlichen Eigenschaften an verschiedenen Stellen innerhalb der selben Galaxie näher analysieren. Dies lässt sowohl Rückschlüsse auf die Rotation der Galaxie zu als auch darauf, inwiefern sich dort andere physikalische und chemische Eigenschaften von Ort zu Ort unterscheiden. Dies ist entscheidend für das Verständnis dafür, wie sich Galaxien im Laufe der Zeit entwickelt haben.
„Jetzt, da wir das einzigartige Potenzial von MUSE bei der Erforschung des tiefen Universums unter Beweis gestellt haben, werden wir uns andere tiefbelichtete Felder anschauen, wie zum Beispiel das Hubble Ultra Deep Field. Auch dort können wir Tausende von Galaxien untersuchen und neue, extrem lichtschwache und weit entfernte Galaxien entdecken. Diese kleinen Baby-Galaxien, die wir nur so sehen, wie sie vor mehr als 10 Milliarden Jahren aussahen, wurden mit der Zeit erwachsen und reiften zu Galaxien wie der Milchstraße heran, wie wir sie heute kennen“, fasst Roland Bacon zusammen.
Die hier vorgestellten Ergebnisse von Roland Bacon et al. wurden am 26. Februar 2015 unter dem Titel „The MUSE 3D view of the Hubble Deep Field South“ in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics publiziert.
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Fachartikel von R. Bacon et al.:
- The MUSE 3D view of the Hubble Deep Field South (Volltext, engl.)