Um zu verstehen, welche Prozesse die dünne Atmosphäre des Mondes erzeugen, haben Forschende Mondproben der Apollo-Missionen untersucht. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung.
Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung 2. August 2024.
2. August 2024 – Die ausgesprochen dünne Atmosphäre, die den Mond umgibt, entsteht in erster Linie durch das ständige Bombardement der Mondoberfläche durch staubgroße Mini-Meteoriten. Andere Prozesse, etwa die Wechselwirkung mit Teilchen und Strahlung von der Sonne, spielen eine untergeordnete Rolle, wie Forschende von der University of Chicago, des Massachusetts Institute of Technology, des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) und des NASA Goddard Space Flight Centers heute in der Fachzeitschrift Science Advances berichten. Das Team hat Bodenproben untersucht, die Astronauten der Apollo-Missionen vor Jahrzehnten zurück zur Erde gebracht hatten. Dieses Material stand über Milliarden von Jahren in ständigem Austausch mit der Mondatmosphäre – und war so Zeuge der Vorgänge, welche die Atmosphäre erzeugen und aufrechterhalten.
Eigentlich hat der Mond gar keine Atmosphäre – zumindest nicht nach irdischen Maßstäben. Die nicht einmal zehn Tonnen Material, die seine Gashülle bilden, erzeugen einen Atmosphärendruck von etwa einem Billiardenstel des Luftdrucks, der auf der Erde herrscht. Das bezeichnet man typischerweise als Ultrahochvakuum. Im Fall des Mondes spricht man von Exosphäre. Sie besteht in erster Linie aus Argon, Helium und Neon. Dazu gesellen sich neben einigen anderen Spurenelementen kleinste Anteile der Alkalimetalle Natrium, Kalium und Rubidium. Unklar war bisher, welche Prozesse die Exosphäre mit Material versorgen. Da ständig einige Teilchen ins Weltall entweichen, müssen sie ebenso kontinuierlich von der Oberfläche „nachgefüllt“ werden.
In der aktuellen Studie kommen die Wissenschaftler*innen zu dem Ergebnis, dass hauptsächlich die Einschläge so genannter Mikrometeoriten, kleinster Staubteilchen aus dem Weltall, den nötigen „Nachschub“ liefern. Sie treffen permanent auf die Mondoberfläche, erwärmen sie lokal und setzen so Atome frei. Einen deutlich geringeren Einfluss hat die Sonne: Auch Teilchen des Sonnenwindes und Sonnenlicht können einzelne Atome aus dem Mondboden lösen.
In der Vergangenheit haben sich Wissenschaftler*innen bemüht, diese Prozesse möglichst direkt zu verfolgen, etwa mit Hilfe der NASA-Raumsonde Lunar Atmosphere and Dust Environment Explorer (LADEE), die den Mond von Oktober 2013 bis April 2014 umkreiste und ihr Augenmerk besonders auf die Natrium- und Kaliumatome der Exosphäre richtete. Die neue Studie verfolgt nun einen gänzlich anderen Ansatz: Um mehr über die Exosphäre zu erfahren, schauen die Forscher*innen nicht auf die Exosphäre selbst, sondern untersuchen den Mondboden.
„Spuren“ im Mondstaub
„Das Regolith, das den Mond überzieht, steht seit Milliarden von Jahren in direktem Austausch mit seiner Exosphäre“, erklärt Dr. Timo Hopp vom MPS die Grundidee der Studie. „Das hat Spuren hinterlassen, die sich im Labor messen lassen“, fügt er hinzu. Entscheidend ist dabei, dass einige der Prozesse, die sich im Wechselspiel zwischen Oberfläche und Exosphäre abspielen, leichtere Isotope bevorzugen. Isotope sind Spielarten eines Elements, die sich allein durch die Anzahl ihrer Neutronen im Kern und somit durch ihr Gewicht unterscheiden. So setzen etwa die Einschläge von Mini-Meteoriten eher leichte als schwere Isotope frei. Zwar fallen einige der herausgeschlagenen Teilchen mit der Zeit zurück auf die Oberfläche und werden so wieder Teil der Mondoberfläche. Andere entweichen jedoch ins All – und verändern so die Isotopenverhältnisse im Boden dauerhaft. Über Milliarden von Jahren ist die Mondoberfläche somit eine Art Gedächtnis dieser Vorgänge.
In ihrer aktuellen Studie hat das Team die Verhältnisse, in der Kalium- und Rubidiumisotope in zehn Proben vom Mond vorliegen, mit bisher unerreichter Genauigkeit bestimmt. Die Proben hatten NASA-Astronauten im Rahmen der Apollo-Missionen bereits vor Jahrzehnten von fünf verschiedenen Landestellen auf dem Mond zurück zur Erde gebracht. Während ein Teil des mitgebrachten Mondmaterials damals sofort untersucht wurde, hob die NASA einen beträchtlichen Teil für Untersuchungen auf, die erst in Zukunft möglich sein würden.
Atmosphären-Entstehung am Computer
Zudem modellierten die Forschenden am Computer, wie sich die Wechselswirkungsprozesse zwischen Oberfläche und Exosphäre auf die Isotopenzusammensetzung des Mondbodens auswirken. „Am Computer können wir die Beiträge einzelner Prozesse problemlos variieren. Wir können berechnen, in welchem Verhältnis Kalium- und Rubidiumisotope vorliegen müssten, wenn beispielsweise die Wechselwirkung mit Sonnenwindteilchen überwiegt oder wenn die Mikrometeoriten den größten Einfluss haben“, erklärt Timo Hopp. Der Vergleich mit den tatsächlich gemessen Werten erlaubt dann Einblicke in die Vorgänge, die Mondoberfläche und Exosphäre geformt haben.
„Unsere Studie gibt als klare Antwort, dass Verdampfung durch Meteoriteneinschläge der dominierende Prozess ist, der die Mondatmosphäre erzeugt“, so die Erstautorin der Studie, Prof. Dr. Nicole Nie, Assistenzprofessorin am Massachusetts Institute of Technology. Dieser Prozess hat mehr als 65 Prozent des Kaliums in der Mond-Exosphäre erzeugt. Der Rest geht auf Wechselwirkungen der Mondoberfläche mit Teilchen und Strahlung von der Sonne zurück. „Der Mond ist fast 4,5 Milliarden Jahre alt und während dieser Zeit wurde die Oberfläche ständig von Meteoriten bombardiert. Wir zeigen, dass eine dünne Atmosphäre schließlich einen stabilen Zustand erreicht, weil sie durch kleine Einschläge überall auf dem Mond ständig aufgefüllt wird“, so Prof. Dr. Nicole Nie weiter.
Die neuen Ergebnisse helfen zudem zu verstehen, wie dünne Exosphären entstehen und über Milliarden von Jahren aufrechterhalten werden. Neben dem Mond umgibt beispielsweise auch den Merkur eine solch dünne Gashülle.
Originalveröffentlichung
Nicole X. Nie, Nicolas Dauphas, Zhe J. Zhang, Timo Hopp, Menelaos Sarantos:
Lunar Soil Record of Atmosphere Loss over Eons,
Science Advances, 2. August 2024
dx.doi.org/10.1126/sciadv.adm7074
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adm7074
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