MPIA: Ein massereiches Schwarzes Loch erwacht – „live“

Astronomen sehen das Erwachen eines massereichen Schwarzen Lochs in Echtzeit. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA).

Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie 19. Juni 2024.

Künstlerische Darstellung: Die Galaxie SDSS1335+0728 leuchtet auf. (Bild: ESO/M. Kornmesser)
Künstlerische Darstellung: Die Galaxie SDSS1335+0728 leuchtet auf. (Bild: ESO/M. Kornmesser)

19. Juni 2024 – Ende 2019 begann die zuvor unauffällige Galaxie SDSS1335+0728 plötzlich heller zu leuchten als je zuvor. Um den Ursachen auf den Grund zu gehen, haben Astronomen Daten von mehreren Weltraum- und Bodenobservatorien, darunter das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO), verwendet, um die Helligkeitsschwankungen der Galaxie nachzuverfolgen. In einer heute veröffentlichten Studie kommen sie zu dem Schluss, dass sie bisher noch nie beobachtete Veränderungen in einer Galaxie sehen – wahrscheinlich das Ergebnis des plötzlichen Erwachens des massereichen Schwarzen Lochs in ihrem Zentrum.

„Stellen Sie sich vor, Sie beobachten eine weit entfernte Galaxie seit Jahren, und sie schien immer ruhig und inaktiv zu sein“, sagt Paula Sánchez Sáez, eine Astronomin der ESO in Deutschland und Hauptautorin der Studie, die zur Veröffentlichung in Astronomy & Astrophysics angenommen wurde. „Plötzlich zeigt ihr [Kern] dramatische Veränderungen in der Helligkeit, die sich von allen typischen Ereignissen, die wir bisher gesehen haben, unterscheiden.“ Genau das ist mit SDSS1335+0728 passiert, das nun als „aktiver galaktischer Kern“ (AGN) eingestuft wird – eine helle, kompakte Region, die von einem massereichen Schwarzen Loch angetrieben wird – nachdem es sich im Dezember 2019 dramatisch aufgehellt hatte [1].

Einige Phänomene, wie Supernova-Explosionen oder das durch Gezeitenkräfte verursachte Auseinanderbrechen von Sternen, bei denen ein Stern einem Schwarzen Loch zu nahe kommt und auseinandergerissen wird, können dazu führen, dass Galaxien plötzlich heller leuchten. Diese Helligkeitsschwankungen dauern jedoch in der Regel nur einige Dutzend oder höchstens einige Hundert Tage an. SDSS1335+0728 wird auch heute noch heller, mehr als vier Jahre, nachdem zum ersten Mal beobachtet wurde, dass sie „aufleuchtet“. Weiterhin sind die in der Galaxie, die sich 300 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Jungfrau befindet, festgestellten Schwankungen anders als alle bisher beobachteten und weisen die Astronomen auf eine andere Erklärung hin.

Das Team versuchte, diese Helligkeitsschwankungen mithilfe einer Kombination aus Archivdaten und neuen Beobachtungen von mehreren Standorten, darunter dem X-Shooter-Instrument am VLT der ESO in der chilenischen Atacama-Wüste, zu verstehen [2]. Beim Vergleich der vor und nach Dezember 2019 aufgenommenen Daten stellten sie fest, dass SDSS1335+0728 jetzt viel mehr Licht im ultravioletten, optischen und infraroten Wellenlängenbereich abstrahlt. Die Galaxie begann im Februar 2024 auch mit der Aussendung von Röntgenstrahlen. „Dieses Verhalten ist beispiellos“, sagt Sánchez Sáez, die auch mit dem Millennium Institute of Astrophysics (MAS) in Chile verbunden ist.

„Die naheliegendste Erklärung für dieses Phänomen ist, dass wir beobachten, wie der [Kern] der Galaxie anfängt, (…) Aktivität zu zeigen“, sagt die Co-Autorin Lorena Hernández García vom MAS und der Universität Valparaíso in Chile. „Wenn das stimmt, wäre dies das erste Mal, dass wir die Aktivierung eines massereichen Schwarzen Lochs in Echtzeit beobachten.“

Massereiche Schwarze Löcher – mit Massen, die über hunderttausend Mal größer sind als die unserer Sonne – existieren im Zentrum der meisten Galaxien, einschließlich der Milchstraße. „Diese Giganten schlafen normalerweise und sind nicht direkt sichtbar“, erklärt der Co-Autor Claudio Ricci von der Diego-Portales-Universität, ebenfalls in Chile. „Im Fall von SDSS1335+0728 konnten wir das Erwachen des massereichen Schwarzen Lochs beobachten, das sich plötzlich das in seiner Umgebung vorhandene Gas einverleibte und sehr hell wurde.“

„Dieser Prozess (…) wurde noch nie zuvor beobachtet“, sagt Hernández García. In früheren Studien wurde zwar berichtet, dass inaktive Galaxien nach mehreren Jahren aktiv werden, doch dies ist das erste Mal, dass der Prozess selbst – das Erwachen des Schwarzen Lochs – in Echtzeit beobachtet wurde. Ricci, der auch mit dem Kavli-Institut für Astronomie und Astrophysik an der Peking-Universität in China verbunden ist, fügt hinzu: „Das könnte auch bei unserem eigenen Sgr A*, dem massereichen Schwarzen Loch (…) im Zentrum unserer Galaxie, passieren“, aber es ist unklar, wie wahrscheinlich dies ist.

Es sind noch weitere Beobachtungen erforderlich, um alternative Erklärungen auszuschließen. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir ein ungewöhnlich langsames Ereignis der Gezeitenstörung oder sogar ein neues Phänomen beobachten. Wenn es sich tatsächlich um ein Ereignis der Gezeitenstörung handelt, wäre dies das längste und schwächste Ereignis dieser Art, das jemals beobachtet wurde. „Unabhängig von der Art der Schwankungen liefert [diese Galaxie] wertvolle Informationen darüber, wie Schwarze Löcher wachsen und sich entwickeln“, sagt Sánchez Sáez. „Wir gehen davon aus, dass Instrumente wie [MUSE am VLT oder die Instrumente am zukünftigen Extremely Large Telescope (ELT)] entscheidend zum Verständnis beitragen werden [warum die Galaxie heller wird].“

Endnoten
[1] Die ungewöhnlichen Helligkeitsschwankungen der Galaxie SDSS1335+0728 wurden vom Zwicky-Transient-Facility-Teleskop (ZTF) in den USA entdeckt. Anschließend stufte der von Chile aus geleitete Algorithmus Automatic Learning for the Rapid Classification of Events (ALeRCE) SDSS1335+0728 als aktiven Galaxienkern ein.

[2] Das Team sammelte Archivdaten von den NASA-Satelliten Wide-field Infrared Survey Explorer (WISE) und Galaxy Evolution Explorer (GALEX), dem Two Micron All Sky Survey (2MASS), dem Sloan Digital Sky Survey (SDSS) und dem eROSITA-Instrument auf dem Spektr-RG-Weltraumobservatorium von IKI und DLR. Neben dem VLT der ESO wurden die Nachbeobachtungen mit dem Southern Astrophysical Research Telescope (SOAR), dem W. M. Keck Observatory und dem Neil Gehrels Swift Observatory und dem Chandra X-ray Observatory der NASA durchgeführt.

Weitere Informationen
Diese Studie wurde in einem Artikel mit dem Titel „SDSS1335+0728: The awakening of a ∼ 106M⊙ black hole” veröffentlicht, der in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics (https://aanda.org/10.1051/0004-6361/202347957) erschienen ist.

Das Team besteht aus P. Sánchez-Sáez (Europäische Südsternwarte, Garching, Deutschland [ESO] und Millenium Institute of Astrophysics, Chile [MAS]), L. Hernández-García (MAS und Instituto de Física y Astronomía, Universidad de Valparaíso, Chile [IFA-UV]), S. Bernal (IFA-UV und Millennium Nucleus on Transversal Research and Technology to Explore Supermass , Chile [TITANS]), A. Bayo (ESO), G. Calistro Rivera (ESO und Deutsche Luft- und Raumfahrtgesellschaft [DLR]), F. E. Bauer (Instituto de Astrofísica, Pontificia Universidad Católica de Chile, Chile; Centro de Astroingeniería, Pontificia Universidad Católica de Chile, Chile; MAS; und Space Science Institute, USA), C. Ricci (Instituto de Estudios Ast rofísicos, Universidad Diego Portales, Chile [UDP] und Kavli Institute for Astronomy and Astrophysics, China), A. Merloni (Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik, Deutschland [MPE]), M. J. Graham (California Institute of Technology, USA), R. Cartier (Gemini Observatory, NSF National Optical-Infrared Astronomy Research Laboratory, Chile, und UDP), P. Arévalo (IFA-UV und TITANS), R.J. Assel (UDP), A. Concas (ESO und INAF – Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Italien), D. Homan (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, Deutschland [AIP]), M. Krumpe (AIP), P. Lira (Departamento de Astronomía, Universidad de Chile, Chile [UChile], und TITANS), A. Malyali (MPE), M. L. Martínez-Aldama (Astronomy Department, Universidad de Concepción, Chile), A. M. Muñoz Arancibia (MAS und Center for Mathematical Modeling, University of Chile, Chile [CMM-UChile]), A. Rau (MPE), G. Bruni ( INAF – Institut für Weltraumastrophysik und Planetologie, Italien), F. Förster (Data and Artificial Intelligence Initiative, Universität Chile, Chile; MAS; CMM-UChile; und UChile), M. Pavez-Herrera (MAS), D. Tubín-Arenas (AIP) und M. Brightman (Cahill Center for Astrophysics, California Institute of Technology, USA).

Die Europäische Südsternwarte (ESO) befähigt Wissenschaftler*innen weltweit, die Geheimnisse des Universums zum Nutzen aller zu entdecken. Wir entwerfen, bauen und betreiben Observatorien von Weltrang, die Astronominnen und Astronomen nutzen, um spannende Fragen zu beantworten und die Faszination der Astronomie zu wecken, und wir fördern die internationale Zusammenarbeit in der Astronomie. Die ESO wurde 1962 als zwischenstaatliche Organisation gegründet und wird heute von 16 Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich) sowie dem Gastland Chile und Australien als strategischem Partner unterstützt. Der Hauptsitz der ESO und ihr Besucherzentrum und Planetarium, die ESO Supernova, befinden sich in der Nähe von München in Deutschland, während die chilenische Atacama-Wüste, ein wunderbarer Ort mit einzigartigen Bedingungen für die Himmelsbeobachtung, unsere Teleskope beherbergt. Die ESO betreibt drei Beobachtungsstandorte: La Silla, Paranal und Chajnantor. Am Standort Paranal betreibt die ESO das Very Large Telescope und das dazugehörige Very Large Telescope Interferometer sowie Durchmusterungsteleskope wie z. B. VISTA. Ebenfalls am Paranal wird die ESO das Cherenkov Telescope Array South betreiben, das größte und empfindlichste Gammastrahlen-Observatorium der Welt. Zusammen mit internationalen Partnern betreibt die ESO auf Chajnantor APEX und ALMA, zwei Einrichtungen zur Beobachtung des Himmels im Millimeter- und Submillimeterbereich. Auf dem Cerro Armazones in der Nähe von Paranal bauen wir „das größte Auge der Welt am Himmel“ – das Extremely Large Telescope der ESO. Von unseren Büros in Santiago, Chile, aus unterstützen wir unsere Aktivitäten im Land und arbeiten mit chilenischen Partnern und der Gesellschaft zusammen.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.

Originalpublikation:
P. Sánchez-Sáez et al., „SDSS1335+0728: The awakening of a ∼ 10^6 M⊙ black hole“, Astronomy & Astrophysics (202)
DOI: 10.1051/0004-6361/202347957
https://aanda.org/10.1051/0004-6361/202347957

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