Weltweit sind über 40 Millionen Menschen von Ausbeutung und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen betroffen, besonders im Agrarsektor. Ein internationales Expertenteam unter Beteiligung der Universität Kassel bietet praktische Hilfe: auf Basis von Satellitenbildern und zielgerichteter Bodenerkundung werden Arbeiteransiedlungen nach Dringlichkeit humanitärer Intervention priorisiert. Eine Pressemitteilung der Universität Kassel.
Quelle: Universität Kassel.
8. September 2021 – Ein Konsortium von Experten für moderne Sklaverei unter Leitung des Rights Lab der Universität Nottingham (Großbritannien) hat die griechische Regierung bei der Bewältigung einer humanitären Krise unterstützt, die sich auf den Erdbeerfeldern Nea Manoladas in Südgriechenland entwickelt hat.
Mithilfe von Satellitentechnologie identifizierten die Experten in Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden Siedlungen von Arbeitern und entwickelten dann ein Entscheidungsmodell, mit dem sie am stärksten gefährdete Opfer priorisieren. Durch Kombination verschiedener Datenquellen und Methoden erstellten sie eine Reihe von Kriterien, um den Grad von Ausbeutung von Arbeitern in einer Siedlung zu messen. Die Wissenschaftler validierten diese Kriterien dann mit einer Regierungs- sowie einer Nichtregierungsorganisation, die gegen Arbeitsausbeutung kämpft.
Dieser multi-methodische Ansatz ist eine Weltneuheit im humanitären Sektor und wurde in der renommierten Zeitschrift Production and Operations Management veröffentlicht.
Ein Großteil der im Agrarsektor ausgebeuteten Menschen lebt in nicht registrierten Siedlungen abseits der Straßen. „Um ihnen zu helfen, müssen sie erst gefunden werden. Die bisher gängige Methode ist das Absuchen des Areals am Boden. Wir aber bieten eine effiziente und ressourcensparende Alternative, nämlich mit Satellitenbildern aus der Luft“, erklärt Prof. Dr. Stefan Gold vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel, der mit Kollegen aus England, Frankreich, den USA und Griechenland an der Forschungsarbeit beteiligt ist. Nach Analyse der Satellitendaten können Mitarbeiter gezielt in die identifizierten Arbeiter-Siedlungen fahren. „Mit einem von uns entwickelten System aus Kartierung und Befragung werden Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort erfasst. Nun können wir in einem Ranking feststellen, welche Siedlung zuerst Hilfe bekommen sollte“, so Prof. Dr. Stefan Gold weiter.
In Erdbeerfeldern getestet, in der Welt einsetzbar
In Nea Manolada wurde das Verfahren getestet. Es kann aber auch in anderen großen Anbaugebieten mit prekären Arbeitsbedingungen weltweit eingesetzt werden, beispielsweise auf Tomatenanbaugebieten in Italien oder der argentinischen Tabakproduktion. Eine weitere Anwendung dieser Fernerkundungen sind Migrationsströme. Aktuell sind weltweit rund 80 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als je zuvor. Besonders Flüchtende sind von diesen Formen moderner Sklaverei bedroht. Illegale Aufenthaltstitel, schlechte Orts- und Sprachkenntnisse sowie fehlende finanzielle Möglichkeiten erhöhen die Gefahr, aus Not in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu gelangen.
Die im Forschungsprojekt erprobte Lokalisierung dieser Siedlungen mit anschließender Analyse der Lage vor Ort und Priorisierung nach Dringlichkeit anhand multikriterieller Entscheidungsanalyse ermöglicht es, in Zukunft gezielter Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen zu unterstützen. Diese Arbeit wurde in Zusammenarbeit mit dem griechischen Nationalen Berichterstatter für Menschenhandel, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der NRO G2RED durchgeführt.
Neben Stefan Gold von der Universität Kassel waren Ioannis Kougkoulos von der Universität Paris-Dauphine (Frankreich), Selim M Cakir, Doreen S. Boyd und Alexander Trautrims vom Rights Lab der Universität Notthingham (Großbritannien), Nathan Kunz vom Coggin College of Business der University of North Florida (USA), und Kornilia Hatzinikoklaou von der Aristoteles-Universität Thessaloniki (Griechenland) beteiligt.
Link zur Veröffentlichung: A Multi-Method Approach to Prioritize Locations of Labor Exploitation for Ground-Based Interventions
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