Mission ATV 4 (Update)

Der vierte von fünf ATV-Versorgungsfrachtern der ESA (Automatic Transfer Vehicle) ist am 02. November 2013 um 13:04 Uhr MEZ über dem Südpazifik verglüht. Damit endete eine aus Sicht der Europäischen Raumfahrtagentur perfekte fünfmonatige Mission.

Ein Beitrag von Roland Rischer. Quelle: ESA, Raumcon.

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Mal ausnahmsweise keine künstlerische Impression eines ATV beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, sondern ein von Spezialisten des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik mit dem Weltraumbeobachtungsradar TIRA (Tracking and Imaging Radar) gemachtes Bild vom 6. Juni dieses Jahres. Es zeigt die weltweit erste Radarabbildung des ATV 4 in 260 km Höhe.
(Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik)

Im Gegensatz zu einem Krater etwa auf dem Mond oder dem Mars ist ein Namenspatronat für ein Einweg-Raumschiff eine zwiespältige Sache. Ein feuriges Ende – und danach ist alles mehr oder weniger vergessen. Was im Wesentlichen bleibt, ist ein Vermerk in den Annalen der Raumfahrt, der dort in der Regel schnell in den Hintergrund rückt. Dafür hat man aber eine mehrmonatige, vergleichsweise intensive Aufmerksamkeit, die Produktionszeit des Raumschiffs und eine gewisse Auswertungsphase nach Missionsende nicht hinzurechnet. Das haben aber ausgerechnet die von der ESA auserkorenen Namensgeber für die ATV 1 bis 5 kaum nötig, angefangen bei Jules Verne über Johannes Kepler, Edoardo Amaldi, Albert Einstein bis hin zu Georges Lemaitre (für den Mitte nächsten Jahres anstehenden ATV-5-Flug). Vielleicht muss man bei der Suche nach einer Erklärung auch umgekehrt denken. Sicher erhoffte und erhofft sich die ESA mit so prominenten Namen ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für ihr technisches Spitzenprodukt, mehr jedenfalls, als mit einem rein technischen Kürzel wie „ATV xy“ und noch dazu für einen Raumfrachter zu bekommen wäre. Und natürlich waren (und sind) die Namensgeber auch Verpflichtung. Denn wer möchte dafür verantwortlich sein, wenn so positiv besetzte und für ihre Spitzenleistung bekannte Persönlichkeiten mit einem Misserfolg in Verbindung gebracht werden müssten.

Das ATV 4 „Albert Einstein“ startete am 05. Juni 2013 auf einer Ariane 5 ES vom Französischen Kourou aus und dockte zehn Tage später an der ISS an. An Bord waren rund 1.400 Frachtstücke mit zusammen 2.480 Kilogramm Gewicht. Der druckbeaufschlagte Frachtraum hat ein Volumen von 48 Kubikmeter. Mit über 20 Tonnen Gesamtgewicht stellte das ATV 4 eine Rekordnutzlast für die Ariane 5 dar. Die Differenz zur Trockenfracht ergibt dabei aber nicht annähernd das Leergewicht des ATV. Die reine Fahrzeugmasse beträgt nur knapp über 12 Tonnen. Die verbleibende Lücke erklärt sich neben dem notwendigen Treibstoff für ATV-eigene Manöver bei An- und Abflug mit dem für Bahnkorrekturmanöver mit der ISS vorgesehenen Treibstoff sowie den mitgeführten Vorräten an Treibstoff, Wasser, Sauerstoff, Stickstoff und Luft für die Tanks der ISS. Die Trockenfracht beinhaltete neben Nahrung, Kleidung und sonstiger Ausrüstung unter anderem Emulsionsexperimente, eine Ersatzwasserpumpe für das Columbus-Labor, einen Wasseraufbereiter für die NASA und eine GPS-Antenne für das Kibo-Labor.

NASA/ESA
US-Astronaut Chris Cassidy Anfang August im ATV 4. Das gelieferte Material ist bereits ausgeladen. Nun wird der zur Entsorgung anstehende ISS-Abfall verstaut. Allzu ordentlich muss es dabei nicht aussehen.
(Bild: NASA/ESA)

Das ATV 4 blieb bis 28. Oktober 9.55 Uhr MEZ an der ISS angedockt. In der Zeit bis dahin wurden sechs ISS-Bahnanhebungsmanöver durchgeführt. Nach Entladung wurde das ATV mit Abfällen – trocken wie flüssig – befüllt. Rund 6 Tonnen Abfall wurden so laut ESA-Plan entsorgt, das ist nicht nur ein ATV-Rekord, sondern die bislang größte Müllentsorgungsaktion an Bord der ISS. Die Leistung, auch hinsichtlich des händischen Einsatzes, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass einen Monat zuvor der US-amerikanische Cygnus-Transporter „lediglich“ 750 Kilogramm Abfall mitgenommen hat, obwohl der Frachtraum mit 18,7 Kubikmetern Volumen rund 2 Tonnen aufnehmen könnte. Zudem ist der Durchstieg zum ATV erheblich enger als der Common Berthing Mechanism, an dem Cygnus- und auch Dragon-Frachter sowie das japanische H-2 Transfer Vehicle (HTV) andocken können.

ESA/NASA
Good bye ATV 4 – der Raumfrachter kurz nach dem Abdocken von der ISS am 28. Oktober 2013.
(Bild: ESA/NASA)

Nach der Abkopplung wurde ATV 4 zunächst rund 100 Kilometer unter der ISS positioniert. Die ISS selber bewegt sich in über 400 Kilometern Höhe. Von der ISS aus wurde fünf Tage später am 02. November 2013 ab 13.04 Uhr MEZ das Verglühen in der oberen Erdatmosphäre über dem Südpazifik beobachtet. Vorausgegangen waren laut ESA eine Reihe schwieriger Steuermanöver und eine letzte Bremszündung über 23 Minuten, die das ATV auf 70 Kilometer herunter brachte. Der Steuerungsaufwand ist dadurch gerechtfertigt, dass man aus der Beobachtung und Analyse des Geschehens bis hinab zu etwa 65 Kilometer Höhe wichtige Erkenntnisse über die pysikalischen Vorgänge in dieser Extremsituation gewinnt. Diese können in das Design zukünftiger Raumfahrzeuge einfließen. Leider gelang es nicht, der interessierten Raumfahrt-Community Live-Bilder mit akzeptabler Aussagekraft zugänglich zu machen.

Das nächste und letzte ATV dieser Serie, die Nummer 5 mit Namen „Georges Lemaitre“, wurde bereits per Schiff zum europäischen Raumflughafen in Französisch-Guayana überführt. Dort wird das Druckmodul ab März nächsten Jahres beladen. Der Start zur ISS ist für Ende Juni 2014 geplant. Sollte der Versorgungsflug gelingen, hat die ESA damit ihre vertraglichen Beitragsverpflichtungen für eine Nutzung der ISS bis Ende 2017 erfüllt.

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Update 05.11.2013: Bilder vom Wiedereintritt ATV 4

ESA/NASA
Veröffentlicht am 05. November 2013: Das feurige Ende von ATV 4 – beobachtet von der ISS aus.
(Bild: ESA/NASA)
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