Auf dem DisruptSpace Summit 2017 traf die europäische Raumfahrt-Start-Up-Szene auf das große Geld.
Ein Bericht von unserem Gastautor Peter M. Schneider. Quelle: Peter M. Schneider.
Wenn von NewSpace die Rede ist, schaut die Welt gewöhnlich nach Westen, auf die Falcons und SpaceshipTwos, und fragt sich, wie die das bloß machen und woher das ganze Geld dafür kommt. Und: Wo Europa dabei bleibt?
Vergangene Woche gab der DisruptSpace Summit 2017 in Berlin eine gute Gelegenheit, in die Welt von NewSpace Europe einzutauchen. Bei diesem Symposium für Raumfahrt-Start-Ups war alles zu besichtigen, was dazu gehört – Start-Ups, Venture Capital, crazy ideas und – manchmal auch crazy people. Für Freunde der neuen Raumfahrt war es sicherlich erfreulich zu sehen, wie viele größtenteils junge Ingenieure sich dazu entschließen, ihre Träume wahr zu machen, anstatt es sich bei Airbus, Thales und anderen großen Namen gemütlich zu machen.
Für diejenigen, denen der Begriff „disrupt“ nichts sagt: In der Wirtschaftswelt beschreibt er die Einführung einer Technologie, die so erfolgreich ist, dass sie die bestehenden Technologien quasi „zerbricht“ und damit ersetzt. Das bekannteste Beispiel ist der Lastwagen, der Pferde-Fuhrwerke verdrängte, ein jüngeres die digitalen Musikformate, die am Ende so gut wie alle physischen Tonträger hinwegfegten.
Unter diesem Motto trafen sich also Jung-Unternehmer aus allen Teilen Europas, von Finnland und Estland bis Italien und Israel. Der Großteil der knapp 50 Start-Ups, die sich im Haus Ungarn nahe des Alexanderplatzes präsentierten – und nach Investoren suchten – beschäftigen sich mit Cube-Satelliten oder der damit verbundenen Infrastruktur: Software, Kommunikation und Data-Processing. Darunter recht einleuchtende Geschäftsideen wie Plug-in-Triebwerke zur Satellitenentsorgung nach erfolgreichem Dienst im All (D-Orbit), Mini-Radar-Sensoren, um durch die Wolken zu schauen (ICEYE), und Betriebssysteme zur Steuerung von Cube-Satelliten (spaceit).
Daneben gab es aber auch zahlreiche Unternehmen mit ungewöhnlichen und deutlich ambitionierteren Vorhaben als Satelliten. Wenn man SpaceX, Blue Origin und Virgin Galactic als Maßstab nimmt, sind ihre europäischen Pendants Zero2Infinity aus Barcelona und Ripple Aerospace aus Norwegen vermutlich die aufsehenerregendsten. Die Spanier arbeiten unter anderem an einem orbitalen Launch System für kleine Nutzlasten (75 Kilo). Ihr 2- bis 3-stufiges Raketen-System BlueStar soll an einem Ballon in etwa 25 Kilometer Höhe steigen und von dort in den Orbit starten. Damit wollen sie nicht etwa Sprit sparen, sondern dem MaxQ aus dem Wege gehen. Zero2Infinity hat Blue Star am 1. März 2017 gerade das erste Mal erfolgreich teilgetestet (siehe Bericht von SpaceNews vom 14. März 2017), was angesichts der fast pathologischen Ankündigungs-Manie der Branche erfreulich heraus sticht.
Soweit ist Ripple Aerospace noch nicht. Das Start-Up aus Kristiansand wird zwar von der norwegischen Regierung finanziell gefördert, sucht aber nach einer Finanzierung im achtstelligen Bereich für ihr Launch System, bei dem LOX-betriebene Raketen direkt aus dem Wasser gestartet werden. Hier soll der Wegfall herkömmlicher Startrampen und der Abschuss unmittelbar am Äquator den entscheidenden Wettbewerbsvorteil in der Startkosten-Kalkulation bringen.
Ripple-Chef Kristoffer Liland ist von seinem Konzept überzeugt. „Solche Wasserstarts wurden schon mehr als 100 Mal erfolgreich getestet“, sagte er und meinte damit das Seabee-Programm aus den 1960er-Jahren. Der 28-Jährige trägt ein Blümchenhemd und hat das Logo seines Unternehmens – den Kopf der mythischen Midgardschlange – auf seinem Unterarm tätowiert. Liland ist auch äußerlich ein Vertreter von NewSpace. Die Norweger lassen derzeit ein Triebwerk in Florida entwickeln, Ende des Jahres sollen Entwicklung und Bau der Rakete in Norwegen starten.
Daneben versuchte auf dem Summit auch ein alter Bekannter wieder Anschluss an die Branche beziehungsweise Investoren zu finden: Rocketplane Global. Dessen fast gleichnamiges Vorgänger-Unternehmen hatte beim Versuch, mit einer Art Raketenflugzeug Satelliten und Touristen ins All zu bringen, mehrere Zehner-Millionen US-Dollar versenkt, bis es 2010 in den Konkurs ging. Viel mehr als ein Mockup sprang als Hardware in neun Jahren Bestehen nicht heraus. Nun tingeln die ehemaligen und mittlerweile leicht ergrauten Geschäftsführer um den Globus und versuchen neue Mittel für die alten Pläne aufzutreiben.
Abgesehen von mehr oder weniger aufregenden Geschäftsmodellen lag der Reiz des Summits im Aufeinandertreffen von Gründern mit extremem Finanzierungsbedarf und Raumfahrt-Kapital mit Investitionswillen. Zu der Veranstaltung war nämlich eine ganze Reihe namhafter Vertreter von Business-Angels und Risikokapital gekommen, darunter Chad Anderson von den Space Angels, Daniel Carew von Seraphim Capital und François Auque, Chairman bei Airbus Ventures, einem von Airbus finanzierten Risikokapital-Fonds für Start-Ups. Zur Einordnung: Auque ist eine Raumfahrtlegende, er war unter anderem jahrelang Chef von Astrium, dem Vorgänger von Airbus Space Defense Systems. Seine wichtigste Botschaft während einer Diskussionsrunde: „Gründer sollten ihre Idee vom Ende her entwickeln!“ Wer den Airbus-Investment-Pool von 150 Millionen Euro anzapfen wolle, müsse ein schlüssiges Geschäftsmodell vorweisen – eine schöne Technologie allein reiche nicht aus.
Offenbar gibt es aber ausreichend schlüssige Ideen. Seit 2000 sind mehr als 15 Milliarden US-Dollar in NewSpace-Unternehmen investiert worden, 2015 und 2016 waren Rekordjahre. „Es spricht nichts dafür, dass das aufhört“, sagte Chad Anderson von den Space Angels Networks, ein Investoren-Netzwerk, das vor allem einzelne, reiche Investoren vertritt. Für die Jungunternehmer auf der Tagung dürften solche Zahlen ziemlich ermutigend sein. Allerdings sieht Anderson einen gewissen Professionalisierungsbedarf bei den europäischen Raumfahrt-Unternehmern. Die würden häufig nicht mit ihren Geschäftsideen rausrücken wollen, weil sie Angst haben, dass sie ihnen jemand klaut. Dabei müssten ja gerade Investoren wissen, worum es gehe, bevor sie Geld locker machten, so Anderson.
Ohnehin war das eine der Kernaussagen aller Vertreter von Risikokapital, die sich die Gründer von Raumfahrt-Unternehmen merken sollten: Egal wie gut eine Geschäftsidee auch sein mag – ohne gegenseitiges und persönliches Vertrauen läuft auch in der Finanzierung von Raumfahrt-Projekten nichts.
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