Messenger entdeckt Wassereis auf dem Merkur

Bereits seit mehreren Jahrzehnten vermuteten Planetenforscher, dass sich in den Polarregionen des Merkurs trotz der dortigen allgemein extrem hohen Oberflächentemperaturen Ablagerungen von Wassereis befinden könnten. Aktuelle Messungen der Merkursonde Messenger scheinen diese Vermutung jetzt mit neu gewonnenen Daten zu belegen.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: JPL, JHUAPL, The Planetary Society, Science.

National Astronomy and Ionosphere Center, Arecibo Observatory
Eine vom Arecibo-Teleskop erstellte Radarabbildung der Nordpolregion des Merkurs. Die gelb dargestellten Bereiche kennzeichnen Regionen mit einer extrem hohen Reflektivität, welche auf das Vorhandensein von Wassereisablagerungen hindeuten.
(Bild: National Astronomy and Ionosphere Center, Arecibo Observatory)

Der lediglich 4879 Kilometer durchmessende Merkur, der innerste und kleinste Planet unseres Sonnensystems, umrundet die Sonne innerhalb von etwa 88 Tagen auf einer stark elliptischen Umlaufbahn in einer mittleren Entfernung von lediglich 57,9 Millionen Kilometern. Während der Nacht liegen die Oberflächentemperaturen bei etwa -170 Grad Celsius. Während des Tages werden dagegen Temperaturwerte von bis zu 430 Grad Celsius erreicht.

Trotz dieser extremen Temperaturen, bei denen sogar Blei schmelzen würde, vermuteten Planetenforscher bereits seit längerem, dass sich speziell in den Polarregionen des Merkur Wassereisablagerungen befinden könnten. Der Grund für diese Annahme liegt in der Ausrichtung der Rotationsachse des Planeten, welche lediglich um 0,01 Grad gegen die Bahnebene geneigt ist.

Dies hat zur Folge, dass auf dem Merkur während eines Planetenjahres praktisch keine Jahreszeiten auftreten, so dass das Innere von einigen der in den Polregionen gelegenen Impaktkrater niemals vom Sonnenlicht erreicht werden kann. In diesen „Kältefallen“, so die Wissenschaftler, könnte sich Wassereis ablagern, welches zuvor durch die Einschläge von Kometen und Asteroiden in diese Regionen verfrachtet wurde.

NASA, UCLA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington
In den Polarregionen des Merkurs werden Teilbereiche der Oberfläche nie vom Sonnenlicht erreicht. Hier kann sich Wassereis dauerhaft ablagern.
(Bild: NASA, UCLA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington)

Diese Vermutung wurde erstmals im Jahr 1991 durch Radarbeobachtungen mit dem Arecibo-Teleskop erhärtet. Bei Radarbeobachtungen verrät sich Wassereis durch das typische Reflexionsverhalten seiner Oberfläche, welche im Vergleich zu normalem Oberflächengestein oder einer Schicht aus Regolith deutlich mehr Radarstrahlung reflektiert. In der Umgebung der Merkurpole wurden die von dem Arecibo-Teleskop ausgesandten Radarwellen stellenweise dermaßen stark reflektiert, dass sich die beteiligten Wissenschaftler fast sicher waren, dass hierfür nur Wassereisablagerungen verantwortlich sein können.

Diese Schlussfolgerung ließ sich allerdings derzeit nicht wissenschaftlich zuverlässig überprüfen, da die bis zu diesem Zeitpunkt einzige Raumsonde, welche den Merkur untersuchte, lediglich etwa 50 Prozent der Planetenoberfläche kartiert hatte. Speziell die Polarregionen konnten dabei von der Raumsonde Mariner 10 nur unzureichend erfasst werden.

Seit dem März 2011 befindet sich mit dem Merkurorbiter Messenger jedoch erstmals eine Raumsonde in einer Umlaufbahn um den innersten Planeten des Sonnensystems, welcher dabei mit sieben wissenschaftlichen Instrumenten eingehend untersucht wird. Eines der Hauptziele der Mission besteht in einer vollständigen Kartierung der Planetenoberfläche.

Die dabei gewonnenen topografischen Daten zeigten, dass die vom Arecibo-Teleskop beobachteten starken Radarreflexionen durchweg mit verschiedenen in den Polarregionen gelegenen Impaktkratern identisch sind, deren tiefsten Punkte zudem dauerhaft im Schattenbereich liegen und nicht vom Sonnenlicht erreicht werden können.

NASA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington, National Astronomy and Ionosphere Center, Arecibo Observatory
Diese durch das Arecibo-Teleskop nachgewiesenen hellen Bereiche decken sich topografisch mit verschiedenen, in diesem Gebiet durch die Raumsonde Messenger nachgewiesenen Kratern.
(Bild: NASA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington, National Astronomy and Ionosphere Center, Arecibo Observatory)

Zusätzlich erfolgende Untersuchungen des Reflexionsverhaltens der Merkuroberfläche im nahen Infrarotbereich bei Wellenlängen von 1,064 Mikrometern zeigten dabei Reflexionswerte, wie sie für das Reflexionsverhalten von Wassereis typisch sind. Vergleiche mit den von Messenger angefertigten Temperaturkarten der Merkuroberfläche zeigten zudem, dass die dort vorherrschenden Temperaturen permanent niedrig genug ausfallen, um das dauerhafte Vorhandensein von Wassereisablagerungen zu gestatten.

Mit einem an Bord von Messenger befindlichen Neutronen-Spektrometer konnte zudem auch die Konzentration von Wasserstoff auf und unmittelbar unterhalb der Planetenoberfläche bestimmt werden. Die Oberfläche des Merkurs wird permanent von einer hochenergetischen kosmischen Strahlung getroffen, wobei Gammastrahlen und Neutronen freigesetzt werden.

Treffen diese Neutronen auf Wasserstoffatome, so werden sie von diesen auf eine signifikante Art und Weise abgebremst. Der jetzt durch das Neutronen-Spektrometer von Messenger erbrachte Nachweis von sich relativ langsam bewegenden Neutronen im Bereich des Nordpols von Merkur wird als ein sicherer Hinweis dafür interpretiert, dass die dort befindlichen stark reflektierenden Materialien innerhalb der dortigen Impaktkrater einen relativ hohen Anteil an Wasserstoff enthalten, welcher ein Bestandteil von dort abgelagerten Wassereis darstellt.

„Unsere Daten deuten darauf hin, dass das in den Polarregionen befindliche Wassereis eine Dicke von drei Kilometern aufweisen würde, wenn man es auf die Fläche von Washington D.C. konzentrieren könnte“, so David J. Lawrence vom Applied Physics Laboratory an der Johns Hopkins University in Baltimore/USA (JHUAPL).

NASA, UCLA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington
Eine Karte der Eistiefe. Graue Regionen sind zu warm, um das Vorhandensein von Eis zu ermöglichen. In den weiß markierten Gebieten tritt das Eis direkt auf der Oberfläche auf. In den rot, gelb und blau markierten Bereichen ist das Eis dagegen von Ablagerungen bedeckt.
(Bild: NASA, UCLA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington)

Laut den an den Messungen beteiligten Wissenschaftlern könnte das Wassereis einen wesentlichen Bestandteil der Ablagerungen rund um den Nordpol des Merkurs darstellen. Stellenweise erreicht die Eisschicht eine Stärke von mehreren Dezimetern, wobei es in größeren Tiefen anscheinend in fast reiner Form vorliegt. Näher an der Oberfläche ist es dagegen mit anderen Bestandteilen vermischt.

Nur in den kältesten, permanent im Schatten liegenden Bereichen der Merkuroberfläche ist das Eis direkt an der Oberfläche abgelagert. In wärmeren Regionen ist es dagegen von einer Schicht aus Lockermaterial bedeckt, durch welches das Eis gegen die direkt auf der Merkuroberfläche vorherrschende Wärme isoliert ist. Durch diese thermale Isolation wird das Eis vor einem Verdampfen geschützt.

„Überall dort, wo es laut unseren Berechnungen kalt genug ist, um Wassereisablagerungen zu ermöglichen, konnte Messenger entsprechende Ablagerungen nachweisen“, so Matthew Siegler vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena/USA. „In den etwas wärmeren Regionen, wo Eis nur im Untergrund stabil sein kann, fanden wir eine Schicht aus dunklem Material – dunkler als alles andere, was wir auf dem Merkur beobachten konnten.“

Diese Schicht, so die Annahme der Wissenschaftler, setzt sich vermutlich aus Ablagerungen zusammen, welche in der Vergangenheit durch eingeschlagene Kometen und Asteroiden auf der Merkuroberfläche verteilt wurden. Das dunkle Material enthält aller Wahrscheinlichkeit nach verschiedene komplexe organische Verbindungen, die von diesen Impaktoren zusammen mit dem Wasser eingebracht wurden.

NASA, UCLA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington
In dieser Karte, welche das Reflexionsverhalten der Merkuroberfläche darstellt, zeigen sich sowohl auffallend helle als auch dunkle Bereiche. Die hellen Bereiche zeigen Stellen mit offen zutage tretenden Wassereisablagerungen. In den dunklen Bereichen sind diese Ablagerungen mit einer Schicht aus Lockermaterial bedeckt.
(Bild: NASA, UCLA, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory, Carnegie Institution of Washington)

Die hier kurz vorgestellten Forschungsergebnisse der Messenger-Mission wurden am vergangenen Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz des JPL vorgestellt und zudem in drei Artikeln in der Fachzeitschrift Science publiziert.
„Durch diese Beobachtungen ergeben sich allerdings auch neue Fragen“, so Sean Solomon, der hauptverantwortliche Wissenschaftler der Messenger-Mission von der Columbia University/USA. „Bestehen diese dunklen Ablagerungen in den Polarregionen hauptsächlich aus organischen Verbindungen? Welchen chemischen Reaktionen war dieses Material ausgesetzt? Gibt es auf oder unter der Oberfläche des Merkurs vielleicht Regionen, in denen sowohl flüssiges Wasser als auch organische Verbindungen auftreten? Nur durch eine kontinuierlich erfolgende weitere Erforschung des Merkurs können wir hierauf Antworten erhalten.“

Nach dem jetzigen Planungsstand soll die Raumsonde Messenger die Erkundung des Merkur im März 2013 beenden und kontrolliert auf der Planetenoberfläche zum Absturz gebracht werden. Für den August 2015 ist der Start einer weiteren, diesmal aus gleich zwei Orbitern bestehenden Merkur-Mission vorgesehen. Die von der europäischen Weltraumagentur ESA und der japanischen Raumfahrtagentur JAXA betriebene Mission BepiColombo soll im Januar 2022 in einen Merkurorbit eintreten.

Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:

Fachartikel bei Science:

Nach oben scrollen