MESSENGER: Einem Grenzgänger auf der Spur

Nicht nur der äußere Rand des Sonnensystems birgt kaum bekannte Himmelskörper: Auch über Merkur, dem innersten Mitglied unseres Planetensystems, ist bis heute nur wenig bekannt. Die amerikanische Forschungsmission MESSENGER ist angetreten, Licht in das Dunkel dieses sonnenüberfluteten Planeten zu bringen.

Ein Beitrag von Michael Stein. Vertont von Dominik Mayer.

Nur Venus und Mars kommen der Erde noch näher als Merkur, der sonnennächste und kleinste dieser vier so genannten terrestrischen Planeten. Umso erstaunlicher mag es daher zunächst erscheinen, dass über diesen Himmelskörper weniger bekannt ist als über die meisten der äußeren Planeten, die selbst von den leistungsfähigsten Teleskopen nur als winzige Lichtscheiben abgebildet werden können.

MESSENGER in Merkurnähe. Deutlich ist in dieser Grafik das Hitzeschild der Raumsonde sichtbar. (Grafik: NASA)

Doch ein Blick hinauf in den Nachthimmel offenbart schnell die Ursache für das Fehlen fundierter Informationen über Merkur: Wegen seiner geringen Distanz zur Sonne ist er nur für kurze Zeit in der Abend- und Morgendämmerung nahe dem Horizont sichtbar und damit der Beobachtung durch erdgebundene Teleskope fast gänzlich entzogen. Auch das Weltraumteleskop Hubble kann nicht auf Merkur gerichtet werden – die Gefahr für die empfindlichen Detektoren des Teleskops ist aufgrund der Nähe des Planeten zur Sonne zu groß.

Ein erster Besuch
Aufgrund dieser Bedingungen ist Merkur natürlich ein lohnenswertes Ziel für interplanetare Forschungsmissionen. Ende März 1974 erreichte die amerikanische Raumsonde Mariner 10 als erste und bisher einzige Forschungssonde den kleinen, mondähnlichen Planeten. Diese letzte Mission des erfolgreichen Mariner-Programms der NASA sollte detaillierte Aufnahmen der Planetenoberfläche sowie Informationen über Atmosphäre, Magnetosphäre sowie die chemische Zusammensetzung der Oberfläche liefern. Die Reiseroute führte Mariner 10 zwei Monate nach dem Start im Rahmen eines so genannten Swing-By-Manövers an Venus vorbei, um die Schwerkraft des Planeten für das Erreichen des eigentlichen Reiseziels auszunutzen.

Allerdings verlief die Reise zum Merkur nicht eben reibungslos. Die Schwierigkeiten begannen direkt nach dem Start, als sich eine Schutzhaube nur unvollständig öffnete und dadurch ein wissenschaftliches Messinstrument nicht in Betrieb genommen werden konnte. Während der gesamten Mission kam es zu Problemen mit dem für die Orientierung von Mariner 10 verantwortlichen Sternenscanner, weil immer wieder von der Raumsonde abplatzende Farbpartikel von dem Kamerasystem fälschlicherweise für den Leitstern Canopus gehalten wurden. Darüber hinaus machten unregelmäßig auftretende ungeplante Neustarts des Bordcomputers und periodische Schwierigkeiten mit der Hauptantenne der Raumsonde den viermonatigen Flug von der Erde zum Merkur für die Missionsspezialisten der NASA zu einer aufreibenden Zeit.

Dennoch war Mariner 10 eine erfolgreiche Mission, die einen Großteil der in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und dabei gleich mehrere Premieren für sich verbuchen konnte. So wurde bei dieser Mission zum ersten Mal ein Swing-By-Manöver angewendet, heute auch aufgrund der damals gewonnenen Erfahrungen reguläres Handwerkszeug eines Missionsdesigners. Mariner 10 war damit auch die erste Raumsonde, die im Rahmen einer Mission zwei Planeten erreicht hatte. Und schließlich: nicht nur der Vorbeiflug an Merkur war eine Premiere, auch Venus war zuvor noch von keinem Raumfahrzeug aus der Nähe fotografiert worden.

Der Start von MESSENGER am 3. August 2004. (Foto: NASA)

Alte und neue Fragen
Insgesamt drei Mal flog Mariner 10 zwischen März 1974 und März 1975 an Merkur vorbei und konnte dabei 45 Prozent der Planetenoberfläche fotografieren, die stark an unseren Erdmond erinnert: Eine alte, tektonisch anscheinend schon lange inaktive Oberfläche, die von Kratern mit bis zu 1.300 Kilometern Durchmesser übersät ist.

Jenseits dieser offensichtlichen Gemeinsamkeit gibt es aber erhebliche Unterschiede. So weist der gegenüber dem Mond um etwa vierzig Prozent größere Merkur eine deutlich höhere Dichte auf, die mit der unserer Erde vergleichbar ist. Dieser Wert ist nur durch das Vorhandensein eines außergewöhnlich großen Kerns aus Eisen zu erklären, der rund 75 Prozent des Planetendurchmessers ausmachen dürfte – deutlich mehr als bei den übrigen terrestrischen Planeten.

Auch der Zustand des Planetenkerns ist eine offene Frage. Die Messinstrumente von Mariner 10 konnten zur Überraschung der Wissenschaftler ein schwaches Magnetfeld registrieren. Unklar ist bislang aber, ob dieses Magnetfeld durch dynamoartige Vorgänge im Planetenkern (was einen zumindest teilweise flüssigen Kern voraussetzen würde) oder durch magnetisierte, eisenhaltige Gesteine an der Merkuroberfläche erzeugt wird.

Natürlich gibt es noch eine Vielzahl weiterer Fragen, die von Mariner 10 nicht geklärt werden konnten: Wie sieht die noch nicht fotografierte Merkuroberfläche aus? Welche Auswirkungen hat das permanente Strahlen- und Partikelbombardement der Sonne auf die Oberfläche und die kaum messbare „Atmosphäre“ des Planeten? Sind Eisvorkommen die Ursache für helle Radarechos in den Polregionen von Merkur?

Eine Antwort auf diese und andere wissenschaftliche Fragen soll die amerikanische Raumsonde MESSENGER = MErcury SurfaceSpace ENvironment, GEochemistry and Ranging“) liefern, die am 3. August 2004 als Nutzlast einer Delta II-Trägerrakete zum innersten Planeten unseres Sonnensystems aufgebrochen ist.

Der erste Merkurorbiter
Anders als Mariner 10 wird MESSENGER nicht nur an Merkur vorbeifliegen, sondern nach drei Vorbeiflügen in eine Umlaufbahn um den Planeten eintreten. Während Mariner 10 nach gut vier Monaten Reisezeit Merkur erreichte wird MESSENGER sechs Jahre und neun Monate unterwegs sein, bis schließlich im März 2011 der Eintritt in eine Umlaufbahn um den Merkur erfolgen soll.

Die Raumsonde im Entwicklungsstadium. (Foto: JPL/NASA)

Doch warum diese fast zwanzigmal (!) längere Reisedauer? Die Geschwindigkeit von MESSENGER muss so weit an die von Merkur angeglichen werden, dass die Raumsonde vom Schwerefeld des Planeten „eingefangen“ und in eine Umlaufbahn gezwungen werden kann. Da der Treibstoffvorrat der Raumsonde jedoch begrenzt ist (limitierender Faktor war die Nutzlastkapazität der Delta II-Trägerrakete, da das relativ geringe Budget dieser Forschungsmission ein stärkeres Trägersystem nicht zuließ) muss ein Großteil der erforderlichen Geschwindigkeitsveränderungen durch insgesamt sechs Swing-By-Manöver an Erde, Venus und Merkur vorbei geleistet werden. Das ist der Grund für diese im Vergleich zu Mariner 10 sehr zeitaufwendige und komplexe Flugroute – tatsächlich ist sie derartig komplex, dass erst Mitte der 1980er Jahre durch den italienischen Mathematiker Bepi Colombo ein detailliertes Missionsdesign berechnet werden konnte, das mit den vorhandenen technologischen und finanziellen Mitteln realisierbar war. (In Anerkennung der Leistungen Colombos hat die ESA ihre für 2012 geplante erste Merkur-Mission „BepiColombo“ getauft.)

Das Ziel, MESSENGER in einen Orbit um Merkur eintreten zu lassen, stellte auch die Ingenieure vor enorme Herausforderungen. Auf seiner stark exzentrischen Umlaufbahn kommt der Planet unserem Zentralgestirn bis auf 47 Mio. Kilometer nahe, was einem Drittel der Distanz zwischen Erde und Sonne entspricht. Den Schutz vor der ungeheuer intensiven Sonneneinstrahlung gewährleistet ein keramisches Hitzeschild, so dass die Systeme und Instrumente von MESSENGER bei Raumtemperatur arbeiten können. Die beiden Solarpaneele der Raumsonde bestehen nur zu einem Drittel aus Solarzellen; die übrige Fläche ist mit winzigen Spiegeln bedeckt, die einen Großteil der einfallenden Sonnenenergie reflektieren und so eine Überhitzung der Solarpaneele verhindern. Doch auch die auf bis zu 450° C aufgeheizte Merkuroberfläche gibt eine enorme Wärmestrahlung in den Raum ab. Daher ist die übrige Raumsonde ebenfalls thermisch isoliert, zudem ist die Umlaufbahn von MESSENGER so gewählt, dass die heißesten Stellen des Planeten in kurzer Zeit überflogen werden.

Zwei anstrengende Tage
Wie schon Mariner 10 wird auch MESSENGER die beiden Venus- sowie die drei Merkur-Vorbeiflüge nutzen, um die sieben wissenschaftlichen Messinstrumente und Kamerasysteme zu testen und erste Daten zu gewinnen. Die Kernphase der Mission stellt jedoch die auf zwei Merkurtage angesetzte Untersuchung des Planeten vom Beobachtungsorbit aus dar. Diese sehr bescheiden klingende Vorgabe lässt bereits ahnen, dass es mit den Tagen auf Merkur eine besondere Bewandtnis hat: Tatsächlich dreht sich Merkur während seines rund 88 Erdentage dauernden Umlaufs um die Sonne exakt 1,5 Mal um seine Rotationsachse, doch weil sich der Planet im Laufe einer vollständigen Drehung bereits erheblich um die Sonne weiterbewegt dauert ein Sonnentag auf Merkur – von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang – ganze 176 Erdentage!

Von seinem stark elliptischen Orbit aus, der MESSENGER alle zwölf Stunden bis zu 200 Kilometer an die Planetenoberfläche heranführen wird, ist während des ersten Merkurtages eine globale Datenerhebung geplant. Die zweite Hälfte dieser Beobachtungsphase soll anschließend dazu genutzt werden, wissenschaftlich besonders interessante Punkte gezielter zu untersuchen. Gleich drei verschiedene Spektrometer werden dabei Auskunft über die chemische Zusammensetzung der Merkuroberfläche und der hauchdünnen Atmosphäre geben, während zwei weitere Messinstrumente neue Erkenntnisse über den Charakter des rätselhaften Magnetfeldes bringen sollen. Das Kamerasystem von MESSENGER schließlich dient in Verbindung mit einem so genannten Laser-Altimeter (der Höhenprofile der überflogenen Areale anfertigen wird) dazu, ein detailliertes Bild der gesamten Planetenoberfläche zu liefern.

Wenn MESSENGER die lange Reise zum Merkur überstehen und sein Beobachtungsprogramm wie geplant durchführen sollte werden wir in einem Jahrzehnt über ein umfassendes und detailreiches Bild dieses Planeten am innersten Rand unseres Sonnensystems verfügen. Vielleicht werden die Daten von MESSENGER und die Ergebnisse der geplanten europäischen Merkur-Mission BepiColombo auch etwas über die Entstehungsgeschichte von Merkur und der übrigen terrestrischen Planeten preisgeben – und damit auch etwas über den Anfang unseres Heimatplaneten.

MESSENGER im Überblick

Missionsparameter

Startfenster: 30.07.2004 bis 13.08.2004
Trägersystem:Delta II Heavy
1. Venus-Vorbeiflug:Oktober 2006
1. Merkur-Vorbeiflug:Januar 2008
Eintritt in Merkur-Orbit:März 2011
Missionsende:Februar 2012
Raumsonde:Startmasse:1.108 kgStartmasse:1.108 kg
__davon Treibstoff:594 kg
Energieversorgung:2 Solarpaneele mit 5 qm Fläche
Antrieb:1 Hauttriebwerk, 16 Steuerdüsen
Kommunikation:Phased-Array-Antenne
Nutzlast:7 wissenschaftliche Instrumente
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