Mars Express: Winterlandschaft im Argyre Planitia

Bereits am vergangenen Donnerstag veröffentlichte Aufnahmen der HRSC-Kamera an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express zeigen das Argyre Planitia auf dem Mars. Weite Bereiche des Inneren dieses Impaktbeckens sind mit Ablagerungen aus Kohlendioxideis bedeckt und vermitteln dabei den Eindruck einer Winterlandschaft auf dem Mars.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR, ESA.

NASA, JPL, MOLA Science Team, FU Berlin
Eine topografische Karte des Argyre Planitia auf dem Mars. Am Nordrand des Impaktbeckens befindet sich der 138 Kilometer durchmessende Hooke-Krater. Der kürzlich von der HRSC-Kamera abgebildete Bereich ist umrahmt.
(Bild: NASA, JPL, MOLA Science Team, FU Berlin)

Bereits seit dem 25. Dezember 2003 befindet sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express in einer Umlaufbahn um den Mars und liefert den an dieser Mission beteiligten Wissenschaftlern seitdem regelmäßig eine Vielzahl an Bildaufnahmen und weitere Daten über die Atmosphäre und die speziell über die Oberfläche unseres äußeren Nachbarplaneten, durch deren Auswertung sich für die Planetenforscher wertvolle Einblicke in dessen Entwicklungsgeschichte ergeben.

Am 20. April 2014 überflog Mars Express während des Orbits Nummer 13.082 den nördlichen Bereich des „Argyre Planitia“ und bildete diese Region mit der High Resolution Stereo Camera (kurz „HRSC“), einem der insgesamt sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters, ab. Aus einer Überflughöhe von mehreren hundert Kilometern erreichte die HRSC dabei eine Auflösung von ungefähr 63 Metern pro Pixel. Die bei dieser Gelegenheit angefertigten Aufnahmen geben einen bei etwa 46 Grad südlicher Breite und 316 Grad östlicher Länge gelegenen Ausschnitt der Marsoberfläche wieder.

Das Impaktbecken Argyre Planitia
Bei dem Argyre Planitia handelt es sich um ein Impaktbecken, welches bereits vor etwa vier Milliarden Jahren in der Frühzeit des Mars bei dem Einschlag eines mehrere Kilometer durchmessenden Asteroiden auf der Südhälfte des Mars entstand. Mit einem Durchmesser von rund 1.800 Kilometern und einer Tiefe von bis zu fünf Kilometern handelt es sich hierbei nach dem Hellas Planitia um das zweitgrößte Einschlagsbecken auf der Marsoberfläche. Der Name des Beckens leitet sich von dem griechischen Wort für „Silber“ – „Argyros“ – ab. Benannt wurde das Becken von dem italienischen Astronomen Giovanni Schiaparelli, welcher diese diese bei der Betrachtung durch ein Teleskop auffallend hell erscheinende Oberflächenformation in seine berühmte Marskarte aus dem Jahr 1877 einbezog.

ESA, DLR, FU Berlin
Ein perspektivischer Blick über den Hooke-Krater. Im Bildvordergrund befindet sich der südwestliche Bereich dieses Kraters. Auffallend ist zum einen ein zweiter, kleinerer Krater inmitten des großen Kraters, in dessen Vertiefung sich eine Erhebung mit einem glatten Plateau gebildet hat. Am rechten Rand des Plateaus sind einige Sedimentschichten aufgeschlossen, welche vermuten lassen, dass die Struktur durch die Verfrachtung von losem Material durch den Wind in das Kraterinnere entstanden ist. Dass der Wind zumindestens in jüngerer Zeit eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung der Landschaft spielte ist auch an den ausgedehnten Dünenfeldern aus basaltischer Vulkanasche sowie an diversen geradlinig verlaufenden Strukturen im Bildvordergrund – sogenannten Yardangs – zu erkennen.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Der Hooke-Krater
Direkt am Nordrand des Argyre Planitia befindet sich der rund 138 Kilometer durchmessende und bis zu 2,4 Kilometer tiefe Hooke-Krater, welcher nach dem englischen Physiker und Astronomen Robert Hooke (1635-1703) benannt wurde. In dessen Inneren wiederum befindet sich ein zweiter, knappe 50 Kilometer durchmessender Krater. Die Anordnung dieser beiden durch die Einschläge von Asteroiden erzeugten Krater zeigt, dass der kleinere Krater über ein jüngeres Alter als der Hooke-Krater verfügt.

Im Inneren dieses kleineren Kraters befindet sich ein großer Hügel mit einem markanten Plateau, dessen westlicher Bereich von einem ausgedehnten Feld aus Sanddünen bedeckt ist. Die charakteristische dunkle Farbe dieser Formationen ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich diese Sicheldünen in erster Linie aus vulkanischen Aschepartikeln zusammensetzen. Derartige ‚Dunkle Dünen‘ kommen auf dem Mars verhältnismäßig häufig vor und stellen einen Großteil der dortigen äolischen, also durch Windeinflüsse gebildeten, Oberflächenformationen dar. Aufgrund ihrer Zusammensetzung aus vulkanischen Mineralen werden solche Dünen auch als ‚basaltische Dünen‘ bezeichnet.

Auf unserem Heimatplaneten treten vergleichbare Dünenformationen dagegen nur relativ selten, nämlich in vulkanischen Regionen mit einem sehr trockenem Klima, auf. Speziell können sie auf Grönland, auf Island, auf Neuseeland, in den westlichen Gebieten der USA, in Peru und in der Ka’u-Wüste auf Hawaii beobachtet werden.

Die ‚dunklen Dünenfelder‘ auf dem Mars sind erst in jüngerer geologischer Vergangenheit – nämlich vor vermutlich weniger als 100 Millionen Jahren – entstanden, nachdem kein Wasser mehr auf der Planetenoberfläche vorhanden war. Dies ist daran erkennbar, dass es zu keiner chemischen Verwitterung, also einer Oxidation von eisenreicher Asche, gekommen ist und die Dünen deshalb auch nicht über die sonst allgemein typische rötliche Färbung des überwiegenden Teils der Marsoberfläche verfügen.

Südöstlich des Kraters deuten geologische Formationen am Abhang des Hügels darauf hin, dass sich diese Struktur anscheinend aus verschiedenen Sedimentschichten aufbaut. Die dort erkennbaren und entgegengesetzt zur Hangneigung angeordneten Schichtflächen werden auch als Schichtköpfe bezeichnet. Möglicherweise ist der gesamte Hügel durch die Ablagerung von Material entstanden, welches durch den Wind in das Innere des Kraters verfrachtet wurde.

ESA, DLR, FU Berlin
Eine Nadir-Farbansicht des nördlichen Bereiches des Argyre Planitia. Norden befindet sich rechts im Bild. In dieser Echtfarben-Darstellung zeigt sich, dass das Innere des Impaktbeckens zu einem großen Teilen von Frost – es handelt sich dabei um gefrorenes Kohlendioxid – bedeckt ist. Innerhalb des Hooke-Kraters befinden sich mehrere Felder von dunklen Sicheldünen. Diese sind bereits eisfrei, da das dunkle Material die spärliche atmosphärische Wärme besser absorbiert und die ‚Frostschicht‘ aus Kohlendioxideis somit schneller sublimiert.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Der Einfluss des Windes
Weite Bereiche des Argyre Planitia wurden durch Winderosion sowie durch den Einfluss von Wasser und Eis gestaltet. Hierauf lässt sich auch das ‚abgerundete‘ Erscheinungsbild der den Hooke-Krater umgebenden Landschaft zurückführen. Speziell südlich des Kraters wurden im Verlauf der Jahrmillionen diverse linienförmigen Strukturen und parallel verlaufende Bergrücken – sogenannte Yardangs – durch die erosiven Einflüsse des Windes geformt. Bläst der Wind Sandkörner über einen längeren Zeitraum immer in dieselbe Richtung, so werden die Yardangs dabei wie mit einer Art Sandstrahlgebläse aus dem Gestein ‚gefräst‘. Die Ausrichtung dieser Strukturen zeigt somit auch die vorherrschende Windrichtung an, aus welcher der Wind anhaltend geblasen hat. In dem hier gezeigten Fall laufen die Yardangs auf den Hooke-Krater zu – also von Süden nach Norden. Offensichtlich sammelt sich der Sand dabei in dieser ‚Windfalle‘.

Chaotische Gebiete in Argyre Planitia
Die Oberfläche des Mars ist in vielen Regionen von einem sehr stark zerklüfteten Gewirr von kleinen, in alle Richtungen verlaufenden und sich gegenseitig schneidenden Tälern und Schluchten durchzogen. Diese Regionen zeichnen sich zudem durch eine Häufung von unterschiedlich großen Gesteinsblöcken und stark erodierte, tafelbergähnlichen Erhebungen – sogenannte Zeugenberge – aus, welche über eine Ausdehnung von bis zu zehn Kilometern und über eine relative Höhe von mehreren hundert Metern, stellenweise sogar bis zu einen Kilometer verfügen.

Die Bildung dieser „chaotischen Gebiete“ (engl. „chaotic terrains“) wird allgemein darauf zurückgeführt, dass sich in der Vergangenheit im Untergrund vorhandenes Eis, Wasser oder Magma verlagerte, wodurch die darüber liegenden Gesteinsschichten zum Einsturz gebracht wurden. Auch die Erosion durch Wind scheint in der Folgezeit eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Bildung der in der Gegenwart erkennbaren Geländeformen gespielt zu haben. Der genaue Mechanismus, welcher zu der Entstehung dieser manchmal mehrere hundert Kilometer durchmessenden, chaotischen Regionen führte, ist allerdings bis heute nur ungenügend verstanden. Die chaotischen Gebiete sind deshalb von besonderem Interesse, weil das Verständnis ihrer Entstehung Hinweise auf die gegenseitige Beziehung verschiedener Oberflächenstrukturen geben kann.

ESA, DLR, FU Berlin
Aus den Stereobilddaten der HRSC-Kamera können auch topographische Geländemodelle abgeleitet werden. Auf diese Weise lassen sich die Höhenunterschiede in der abgebildeten Landschaft auch bildlich darstellen. In der linken (südlichen) Bildhälfte ist die Tiefebene des Argyre Planitia zu erkennen. Im Übergang zum nördlichen Rand des Impaktbeckens ist deutlich der Umriss des 138 Kilometer durchmessenden Hooke-Kraters zu erkennen, in dessen nördlichem Teil sich ein zweiter – und deshalb jüngerer – kleinerer Impaktkrater befindet. Die hügelige Landschaft im Norden erhebt sich mehr als 4.000 Meter über den Boden des Argyre Planitia. Einzelne Bergkuppen ragen nochmals weitere tausend Meter über die Umgebung hinaus.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Auch auf den hier gezeigten Aufnahmen der HRSC-Kamera ist das Vorkommen von zwei kleineren chaotischen Gebieten zu erkennen. Die Oberflächen dieser Regionen scheinen allerdings noch nicht vollständig zusammengebrochen zu sein. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich immer noch beträchtliche Mengen an Wassereis unter der Oberfläche befinden könnten. Die Verlagerung beziehungsweise das Schmelzen dieser Eismassen könnte im weiteren Verlauf der geologischen Entwicklung dieser Region zu weiteren Einstürzen führen.

Bodenfrost aus Kohlendioxideis
Eines der auffälligsten Merkmale auf den hier gezeigten Aufnahmen ist jedoch eine feine Schicht aus gefrorenem Kohlendioxid (auch bekannt als Trockeneis), welche den südlichen Bereich des Hooke-Kraters sowie die unmittelbar südlich angrenzenden Oberflächenregionen des Argyre Planitia wie eine feine Schicht aus Puderzucker überzieht.

Mit einem Anteil von 95,3 Prozent stellt Kohlenstoffdioxid den Hauptbestandteil der Marsatmosphäre dar. Gefrorene Ablagerungen aus Kohlendioxid sind jedoch auch auf der Marsoberfläche relativ häufig aufzufinden, da Teile der Marsatmosphäre aufgrund des regelmäßig erfolgenden Wechsels der Jahreszeiten und der sich dabei ergebenden niedrigen Temperaturen während der Wintermonate ausfrieren und sich im Rahmen dieser Prozesse als eine Art ‚Bodenfrost‘ auf der Planetenoberfläche ablagern. Erst mit dem Einsetzen des ‚Marsfrühlings‘ und dem damit verbundenen erneuten Anstieg der Temperaturen sublimiert das Trockeneis wieder und geht erneut in den gasförmigen Zustand über (Raumfahrer.net berichtete).

Zum Zeitpunkt der Anfertigung der Aufnahmen herrschte im Bereich des auf der südlichen Marshemisphäre gelegenen Argyre Planitia noch tiefer Winter und der Frühlingsbeginn lag in diesen Breitengraden (46 Grad Süd) noch in weiter Ferne. Weite Bereiche der tiefer liegenden Regionen sind deshalb immer noch von einer dünnen Schicht aus Kohlendioxideis überzogen. In höher gelegenen Gebieten tritt dieser ‚Frost‘ dagegen nur noch in einigen wenigen Bereichen auf, welche im Schatten liegen – beispielsweise an den sonnenabgewandten Hängen einiger kleinerer Krater. An Stellen, die der – wenn auch immer noch schwachen – Wintersonne bereits stärker ausgesetzt sind, ist das Kohlendioxideis dagegen bereits wieder in den gasförmigen Aggregatzustand übergegangen. Auch ein Hügel im Inneren des Hooke-Kraters ist immer noch von den dünnen Eisablagerungen bedeckt.

ESA, DLR, FU Berlin
Aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal der HRSC-Kamera und einem der vier Stereokanäle lassen sich sogenannte Anaglyphenbilder erstellen, welche bei der Verwendung einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen realistischen dreidimensionalen Blick auf die Landschaft ermöglichen. Damit lässt sich die Struktur des Hooke-Kraters sehr viel besser erfassen als in der Farbdraufsicht. Hierbei zeigt sich dann auch, dass die Kraterränder sowohl von Hooke als auch von dem kleineren Krater im Inneren von Hooke durch Verwitterungsprozesse bereits stark erodiert wurden. Deutlich erkennbar ist auch die ungewöhnliche, tafelbergartige Erhebung in dem kleineren Krater, welcher über eine auffallend glatte Oberfläche verfügt. Möglicherweise wurde diese Struktur durch den Wind geschaffen.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Bildverarbeitung und HRSC-Kamera
Die weiter oben gezeigte Nadir-Farbansicht des Argyre Planitia wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Aufnahmen der Stereokanäle der HRSC-Kamera berechnet. Das nebenstehende Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Marslandschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem der vier Stereokanäle der Kamera abgeleitet. Des Weiteren konnten die für die Bildauswertung zuständigen Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wurde, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.

Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann geleitet. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche wissenschaftliche Team besteht derzeit aus 52 Co-Investigatoren, welche von 34 Instituten aus elf Ländern stammen.

Die hochauflösende Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit mehreren industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern der Fachgruppe „Planetologie und Fernerkundung“ des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof erstellt.
Die hier gezeigten Aufnahmen des Argyre Planitia finden Sie auch auf den entsprechenden Internetseiten des DLR und der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung.

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