Mars Express: Tonminerale im Atlantis Chaos

Am gestrigen Tag veröffentlichte Aufnahmen der Raumsonde Mars Express zeigen die auf dem südlichen Hochland des Mars gelegene Region Atlantis Chaos. Verschiedene Landschaftsmerkmale sowie das Vorhandensein von Schichtsilikaten deuten darauf hin, dass sich dort in der Vergangenheit Wasser befunden haben muss.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR.

NASA, JPL, MOLA Science Team, FU Berlin
Eine topografische Karte der Umgebung der Region Atlantis Chaos auf dem Mars. Der von der HRSC-Kamera in den Jahren 2008, 2009 und 2014 abgebildete Bereich ist umrahmt.
(Bild: NASA, JPL, MOLA Science Team, FU Berlin)

Die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express befindet sich bereits seit mehr als zehn Jahren in einer Umlaufbahn um den Mars und liefert den an dieser Mission beteiligten Wissenschaftlern seitdem regelmäßig eine Vielzahl an Daten und Bildern von der Atmosphäre und speziell von der Oberfläche unseres äußeren Nachbarplaneten. Durch die Auswertung der gewonnene Daten und Fotoaufnahmen ergeben sich für die Planetenforscher wertvolle Einblicke in dessen Entwicklungsgeschichte.

Bei einem der dabei eingesetzten sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters handelt es sich um die High Resolution Stereo Camera (kurz „HRSC“). Im bisherigen Missionsverlauf konnte die HRSC-Kamera rund 90 Prozent der Marsoberfläche in einer Qualität abbilden, welche eine wissenschaftlich sinnvolle Auswertung der Aufnahmen ermöglicht. Etwa 61,5 Prozent der Oberfläche konnten dabei sogar mit einer Auflösung von mindestens 20 Metern pro Pixel wiedergegeben werden.

Bei einem der dabei abgebildeten Gebiete handelt es sich um die Region Terra Sirenum – einer auf der südlichen Marshemisphäre gelegenen Hochebene, welche über eine maximale Ausdehnung von bis zu 3.900 Kilometern verfügt. Das Terra Sirenum wartet mit vielfältigen Landschaftsformen auf. Die für deren Entstehung notwendigen geologischen Prozesse sind stellenweise auf engsten Raum abgelaufen. Ein Beispiel hierfür ist das etwa 200 Kilometer durchmessende Atlantis-Becken, in dessen Inneren sich eine zerfurchte Landschaft namens Atlantis Chaos befindet. In einem am gestrigen Tag veröffentlichten Bildmosaik des Atlantis Chaos sind Strukturen erkennbar, welche auf eine früher erfolgte Einwirkung von Wasser hindeuten.

Das Mosaik wurde aus vier Aufnahmesequenzen der HRSC zusammengesetzt, welche die Kamera während der Orbits 6.393, 6.411, 6.547 (in den Jahren 2008/2009) und 12.724 (2014) anfertigte. Aus einer Überflughöhe von mehreren hundert Kilometern wurde dabei eine Bildauflösung von etwa 14 Meter pro Pixel erreicht. Die Aufnahmen geben einen bei etwa 34 Grad südlicher Breite und 183 Grad östlicher Länge gelegenen Ausschnitt der Marsoberfläche wieder. Die dargestellte Landschaft verfügt über eine Ausdehnung von etwa 600 Kilometern in Nord-Süd-Richtung und 250 Kilometern in Ost-West-Richtung. Dies entspricht in etwa der doppelten Größe Österreichs.

ESA, DLR, FU Berlin
Eine Nadir-Farbansicht der Umgebung der Region Atlantis Chaos. Norden befindet sich rechts im Bild, Atlantis Chaos dagegen im Zentrum des Mosaiks.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Chaotisches Gebiet im Atlantis-Becken
Das Atlantis Chaos ist eine zerfurchte und wild strukturierte Landschaft in dem nahezu kreisrunden Atlantis-Becken, welche sich aus einer Ansammlung von mehreren hundert kleineren Bergspitzen und Tafelbergen zusammensetzt. Vermutlich handelt es sich bei diesen Strukturen um so genannte Zeugenberge, also die Überreste einer einstmals zusammenhängenden Hochebene, welche durch erosive Vorgänge zum größten Teil abgetragen wurden. Die Oberflächen dieser Berge sind mit einem hellen Material überzogen.

Ursprünglich, so die Annahme, wurden feinkörniger Sand und Staubpartikel durch den Wind in das Innere des Beckens verfrachtet, wo sie ein äolisches Sediment bildeten. Diese Sedimentschicht wurde anschließend durch den Einfluss von Wasser verändert. Auf der Erde sind derartige Sedimentdecken auch als Löß bekannt. In China gibt es zum Beispiel Löß-Vorkommen, welche über eine Mächtigkeit von bis zu 400 Metern verfügen.

Hinweise auf ein einstmaliges stehendes Gewässer
Außer dem Atlantis-Becken existieren im Bereich des Terra Sirenum noch mehrere weitere größere Becken, welche vermutlich bereits vor fast vier Milliarden Jahren in der Frühzeit des Mars durch die Einschläge von Asteroiden auf der Marsoberfläche entstanden sind. Die Planetologen vermuten, dass die zum Teil durch Täler miteinander verbundenen Senken dieser Krater einstmals ein zusammenhängendes stehendes Gewässer bildeten. Sollte dies zutreffen, so wäre dieser hypothetische „Eridana-See“ von seiner Ausdehnung her in etwa halb so groß ausgefallen wie das Mittelmeer.

ESA, DLR, FU Berlin
Ein perspektivischer Blick über die Region. Die hellen Strukturen stellen Oberflächenbereiche dar, die mit Schichtsilikaten bedeckt sind.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Viele Fragen zur geologischen Geschichte dieser Region sind bisher allerdings noch nicht abschließend beantwortet. So wird zum Beispiel diskutiert, ob die in der Vergangenheit möglicherweise mit Wasser gefüllten und miteinander verbundenen Kraterbecken des Terra Sirenum eventuell auch das Quellgebiet eines Flusses waren, welcher einstmals das markante Ausflusstal Ma’adim Vallis in das Marshochland gegraben hat. Das Ma’adim Vallis hat seinen Ursprung im nordwestlichen Bereich des Terra Sirenum und mündet fast 700 Kilometer weiter nördlich in den 166 Kilometer durchmessenden Gusev-Krater, dem ehemaligen Operationsgebiet des mittlerweile nicht mehr aktiven NASA-Marsrovers Spirit.
Uralte Tonminerale
Das Atlantis-Becken ist durch eine Art Kanal mit einem weiter südlich gelegenen kleineren Becken von 175 Kilometern Durchmesser verbunden. Auch im Inneren dieser Krater-Senke sind einige mit einem hellem Material bedeckte Überreste von Bergen zu erkennen. Mittels verschiedener Spektrometer, welche sich an Bord von Mars Express und dem von der NASA betriebenen Mars Reconnaissance Orbiter befinden, konnten die Marsforscher feststellen, dass es sich bei diesen hellen Ablagerungen um Schichtsilikate handelt.

Da in dem Kristallgerüst dieser Minerale Raum für Wassermoleküle ist, deutet ihr Vorhandensein auf das frühere Vorhandensein von Wasser in diesem Gebiet hin. Vermutlich wurden die vom Wind abgelagerten Löß-Sedimente durch die Einwirkung von Wasser verändert. Das Alter der Schichtsilikate Alter wird von den Wissenschaftlern auf 3,8 Milliarden Jahre geschätzt.

ESA, DLR, FU Berlin
Eine höhenkodierte Bildkarte der Umgebung des Atlantis Chaos. Weiß und Rot markieren die am höchsten gelegenen Regionen – Gelb, Grün und Blau dagegen die tiefsten Bereiche der abgebildeten Szenerie.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Ein weiterer Hinweis auf die frühere Existenz von Wasser sind die Rinnen an den Abhängen der Senken, durch welche zusätzliche Sedimente in das Innere der Kraterbecken geschwemmt wurden. Die Bergrücken im Osten der beiden Becken (am unteren Rand der verschiedenen Draufsichten erkennbar) lassen eine markante, von Norden nach Süden verlaufende Schichtung von Gesteinen erkennen. Auffallend ist auch eine große Störungszone im Süden der abgebildeten Region (links in den Draufsichten), welche genau durch einen Impaktkrater verläuft. Auch am inneren Rand dieses jüngeren und noch gut erhaltenen Kraters sind Schichten von Gesteinsablagerungen, Hangrutschungen und ausgeprägte Rinnen zu sehen.

Bildverarbeitung und HRSC-Kamera
Die weiter oben gezeigte Nadir-Farbansicht des Atlantis Chaos wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Aufnahmen der Stereokanäle der HRSC-Kamera berechnet. Das weiter unten zu sehende Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Marslandschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal der Kamera abgeleitet. Des Weiteren konnten die für die Bildauswertung zuständigen Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wurde, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.

Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann geleitet. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche wissenschaftliche Team besteht derzeit aus 52 Co-Investigatoren, welche von 34 Instituten aus elf Ländern stammen.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Durch die Betrachtung mit einer Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille wird mit dieser 3D-Aufnahme ein räumlicher Eindruck der Landschaft vermittelt.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Die hochauflösenden Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit mehreren industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern des „Planetary Sciences Group“ des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof erstellt.
Die hier gezeigten Aufnahmen der Region Atlantis Chaos finden Sie auch auf den entsprechenden Internetseiten des DLR und der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung.

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