Mars Express: Neue Aufnahmen vom Tempe Terra

Die heute veröffentlichten Aufnahmen der von der ESA betriebenen Raumsonde Mars Express zeigen einen Ausschnitt der Region Tempe Terra auf dem Mars. Neben einem Grabenbruch sind Fließstrukturen im Inneren von mehreren Kratern erkennbar, welche auf die Existenz von Blockgletschern aus Wassereis hindeuten.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: DLR, FU Berlin.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Eine topografische Karte des Tempe Terra auf dem Mars. Der durch die HRSC-Kamera abgebildete Bereich ist umrahmt.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Bei dem Tempe Terra handelt es sich um ein mit einer Vielzahl von Impaktkratern übersätes Hochland auf der nördlichen Hemisphäre des Mars. Das Tempe Terra wird durch eine Vielzahl tektonischer Strukturen geprägt und gilt als eine der geologisch vielfältigsten Regionen auf unserem Nachbarplaneten. Die eine Fläche von etwa 2,1 Millionen Quadratkilometern umfassende Region befindet sich am nordöstlichen Rand der Tharsis-Vulkanregion und bildet die Übergangszone vom südlichen Hochland des Mars zu dessen nördlichen Tiefebene.

Im Norden grenzt das Tempe Terra direkt an die den gesamten Mars-Nordpol umgebenden Tiefebene Vastitas Borealis. Im Nordosten und Osten erstrecken sich die Tiefebenen Acidalia Planitia und Chryse Planitia. Die Südgrenze des Tempe Terra bilden die Kasei Valles – ein verzweigtes System aus zwei miteinander verbundenen Ausflusstälern, welche sehr wahrscheinlich vor Jahrmilliarden unter dem Einfluss von fließendem Wasser entstanden sind.

Das Tempe Terra wurde erstmals von dem Astronomen Eugène Michel Antoniadi (1870-1944) detailliert beschrieben. Durch seine Beobachtungen dieser Region mit einem leistungsstarken Teleskop am Observatoire du Meudon bei Paris während einer Marsopposition im Jahre 1909 widerlegte er die zu dieser Zeit unter Astronomen kursierende These, die 1877 von dem Italiener Giovanni Schiaparelli auf der Marsoberfläche beobachteten „Canali“ seien künstliche Wasserstraßen. Benannt wurde das Tempe Terra nach einem nördlich des Olymps in Thessalien (Griechenland) gelegenen Tal, in dem der griechischen Mythologie nach Eurydike, die Gattin des Orpheus, bei ihrer Flucht vor ihrem Peiniger Aristaios durch einen Schlangenbiss starb.

Am 17. Juli 2011 überflog die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express während ihres Marsorbits Nummer 9.622 den östlichen Bereich des Tempe Terra und bildete diesen mit der High Resolution Stereo Camera (HRSC) ab. Aus einer Höhe von mehreren hundert Kilometern erreichte die Kamera dabei eine Auflösung von etwa 18 Metern pro Pixel. Die heute vom DLR und der FU Berlin veröffentlichten Aufnahmen zeigen einen Abschnitt des Tempe Terra, welcher sich bei 43 Grad nördlicher Breite und 304 Grad östlicher Länge befindet. Die HRSC wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben und ist eines von sieben wissenschaftlichen Instrumenten an Bord der Raumsonde Mars Express.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Diese Nadir-Aufnahme der HRSC zeigt in verschiedenen Bildausschnitten mehrere markante Geländemerkmale in der abgebildeten Region. Norden befindet sich rechts im Bild.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

In den Aufnahmen sind zahlreiche interessante geologische Phänomene zu erkennen. Nahe beieinander gelegen lassen sich hier zum Beispiel die Spuren von unterschiedlichen Kräften beobachten. Diese Kräfte haben sowohl zu einer Dehnung (Extension) als auch zu einer Stauchung der Marskruste (Kompression) geführt. Dabei bildeten sich sogenannte „Runzelrücken“ (engl. „wrinkle ridges“), welche im Bildausschnitt 1 in der nebenstehenden Nadiraufnahme zu sehen sind. Das markanteste Ergebnis der Extension ist ein geradliniger und durch das gesamte Bild verlaufender Grabenbruch, welcher an mehreren Stellen durch einen Versatz unterbrochen ist. Dieser bis zu einem Kilometer breite, in Ost-West-Richtung verlaufende Grabenbruch wird zudem von einem großen, etwa 12 Kilometer durchmessenden Impaktkrater unterbrochen und teilweise überdeckt (Bildausschnitt 2).

Nördlich des Grabenbruchs fällt das Gelände im rechten Bilddrittel um mehr als 1.000 Meter zur Tieflandebene hin ab. In diesem Bereich wird die Landschaft durch zahlreiche ausgedehnte Talsysteme geprägt. Hangaufwärts sind im Bildausschnitt 3 einige kleinere, verzweigte und teilweise von Impaktkratern überlagerte Täler zu erkennen. Ebenfalls südlich des Grabenbruchs sind zudem verschiedene Krater zu sehen, deren Umrisse noch sehr gut erhalten sind. Die gut erhaltenen Kraterwälle weisen auf ein relativ geringes Alter dieser Impaktstrukturen hin.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Ein perspektivischer Blick über den östlichen Bereich des Tempe Terra auf dem Mars.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Einige dieser Krater verfügen in ihrem Inneren über lobenförmige, konzentrische Strukturen, welche durch das langsame Fließen eines plastischen Materials gebildet wurden. Diese von Geologen als „concentric crater fill“ (zu deutsch: konzentrische Kraterfüllung) bezeichneten Geländeformen können auf dem Mars an vielen Stellen beobachtet werden. Die Fließstrukturen weisen eine starke Ähnlichkeit mit den sogenannten Blockgletschern auf der Erde auf. Diese von Felsblöcken und zerriebenem Lockermaterial durchsetzten Eisgletscher kommen auf der Erde vor allem in den Permafrostgebieten der Hochgebirgsregionen und in den polaren Breiten vor und gelten dort als ein typisches Landschaftselement.

Von den irdischen Blockgletschern ist bekannt, dass die eigentliche Eisschicht nicht offen an der Erdoberfläche liegt, sondern vielmehr unter einer Schicht aus oberflächlichem Gesteinsschutt, einer sogenannten Auftauschicht, verborgen ist. Der bedeckende Gesteinsschutt schützt den Blockgletscher so über lange Zeiträume vor einer direkten Einstrahlung von Sonnenlicht und somit auch vor dem Abschmelzen. Übertragen auf den Mars ist es gut denkbar, dass die dort zu beobachtenden Strukturen von langsam über die Marsoberfläche „fließenden“ Blockgletschern gebildet wurden.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Mars Express überflog den östlichen Bereich des Tempe Terra am 17. Juli 2011. Hier eine Farbaufnahme der HRSC-Kamera.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Im südwestlichen Bereich des abgebildeten Areals stechen zudem Tafelberge oder Mesas hervor (Bildausschnitt 4). Diese Strukturen zeigen die ursprüngliche Geländeoberkante des südlichen Marshochlandes an. Auffällig sind zudem die deutlich erkennbaren Ejektadecken, welche einige der Impaktkrater umgeben. Diese Ablagerungen aus Auswurfmaterial, welches ursprünglich bei der Entstehung der Krater freigesetzt wurde, überdecken teilweise die älteren Fluss- und Grabenbruchsysteme. Somit können Aussagen über die zeitliche Entstehungsabfolge der einzelnen erkennbaren Oberflächenstrukturen getätigt werden.

Die hier gezeigten Farbansichten des Tempe Terra wurden aus dem senkrecht auf die Planetenoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- bzw. rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Bei dem Schwarzweißbild handelt es sich um eine Nadiraufnahme, welche von allen gewonnenen HRSC-Aufnahmen die höchste Auflösung erreicht.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Ein weiterer perspektivischer Blick über den östlichen Bereich des Tempe Terra.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Das weiter unten zu sehende Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Des Weiteren können die Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wird, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.

Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Sonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Gerhard Neukum von der Freien Universität Berlin geleitet. Dieser hat auch die technische Konzeption der hochauflösenden Stereokamera entworfen. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche Wissenschaftlerteam besteht aus 40 Co-Investigatoren von 33 Institutionen aus zehn Ländern.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Durch die Betrachtung mit einer speziellen Rot-Cyan- oder Rot-Grün-Brille wird mit dieser 3D-Aufnahme ein räumlicher Eindruck der Landschaft vermittelt.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Die HRSC-Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung erstellt.
Weitere während des Orbits Nummer 9.622 durch die HRSC-Kamera angefertigte Aufnahmen des Tempe Terra finden Sie auf der entsprechenden Internetseite der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung.

Verwandte Meldungen:

Raumcon-Forum:

Verwandte Seiten:

Nach oben scrollen