Berühmtheit erlangte die Cydonia-Region auf dem Mars bereits vor fast 40 Jahren. Aufgrund einer optischen Täuschung wurden dort Strukturen abgebildet, welche in der Folgezeit als ‚Marsgesicht‘ bekannt wurden. Mittlerweile ist bekannt, dass es sich dabei nicht um die Artefakte einer außerirdischen Zivilisation handelt. Trotzdem ist diese Region für die Marsforscher nach wie vor von hohen Interesse, da sich dort die geologische Entwicklungsgeschichte unseres Nachbarplaneten besonders gut untersuchen lässt.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR, ESA.
Bereits seit dem 25. Dezember 2003 befindet sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express in einer Umlaufbahn um den Mars. Seitdem liefert der Marsorbiter den an dieser Mission beteiligten Wissenschaftlern regelmäßig eine Vielzahl an Bildaufnahmen und weitere Daten über die Atmosphäre und die Oberfläche unseres äußeren Nachbarplaneten, durch deren Auswertung sich für die Planetenforscher wertvolle Einblicke in dessen Entwicklungsgeschichte ergeben. Die sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters liefern dabei wichtige Beiträge zur Untersuchung der Oberflächengeologie sowie zur ‚Geschichte des Wassers‘ auf unserem Nachbarplaneten und damit auch zur Klärung der Frage, ob einstmals ‚Leben auf dem Mars‘ möglich war. Die Mission wird als so erfolgreich eingestuft, dass sie inzwischen bis zum Ende des Jahres 2018 verlängert wurde (Raumfahrer.net berichtete).
Eines der auffälligsten topografischen Merkmale des Mars, welche die Planetologen derzeit – allerdings nicht nur im Rahmen der Mars Express-Mission – erforschen, ist dessen ‚Zweiteilung‘, durch welche unser Nachbarplanet in ein südliches Hochland und eine um mehrere Kilometer abgesenkte, großflächig ausgedehnte Tiefebene auf der Nordhemisphäre geteilt wird. Diese Dichotomie hat zur Folge, dass sich die beiden Planetenhemisphären geologisch und topografisch in vielerlei Hinsicht unterscheiden. Auf der nördlichen Halbkugel des Mars dominieren zum Beispiel flache, mit Sand und Staub bedeckte Ebenen die Topografie des Geländes, welches in diesem Bereich nur wenige markante Landschaftsmerkmale aufweist. Die gebirgige und stark zerklüftete südliche Hemisphäre besteht dagegen aus geologisch älteren Formationen, was sich unter anderem in einer deutlich größeren Kraterdichte wiederspiegelt.
Die Prozesse, welche zu der Bildung dieser Dichotomie geführt haben, sind allerdings bis heute noch nicht vollständig geklärt. Die am weitesten verbreitete Theorie geht zum Beispiel davon aus, dass die nördliche Hemisphäre des Mars vor mehr als vier Milliarden Jahren von einem sehr großen, mehrere hundert Kilometer durchmessenden Asteroiden getroffen wurde. Durch dieses Impaktereignis wurde die gerade erst gefestigte junge Planetenkruste und einen Teil des darunter liegenden Mantels von der Marsoberfläche ‚weggesprengt‘.
Einige Planetologen vermuten, dass diese nördliche Tiefebene nach ihrer Entstehung zunächst von einem stehenden Gewässer bedeckt gewesen sein könnte, in dem sich ein Großteil der mindestens 20 Millionen Kubikkilometer Wasser konzentrierte, über die unser Nachbarplanet in seiner Frühzeit verfügte (Raumfahrer.net berichtete). Nachdem der Mars aus bisher ebenfalls noch nicht vollständig verstandenen Gründen den Großteil seiner Atmosphäre und – dadurch bedingt – auch den Großteil dieses Wasservorkommen ‚verloren‘ hatte, wurde dieser ehemalige Meeresgrund dann zunächst von mehreren hundert Meter mächtigen Schichten aus Lava und Sedimentablagerungen überdeckt, welche durch später erfolgende, durch Wind und Wasser bedingte Erosionsprozesse teilweise wieder abgetragen wurden.
Die Dichotomiegrenze
Der Übergang vom südlichen Hochland zu dem etwa ein Drittel der Marsoberfläche bedeckenden nördlichen Tiefland erfolgt dabei entlang einer schmalen und geologisch sehr abwechslungsreichen Zone, der sogenannten ‚Dichotomiegrenze‘. In diesem Bereich hat die über Jahrmilliarden erfolgende Erosion durch fließendes Wasser, Wind, Eis und Grundwasser eine markante Landschaft aus zerfurchten Restbergen, tief eingeschnittenen Tälern und kleineren Erhebungen geschaffen.
Einen Teilbereich dieser Grenzregion bildet die Cydonia-Region, welche sich am südlichen Rand der Tiefebene Acidalia Planitia befindet. Im Bereich der Cydonia-Region sind – großflächig über das gesamte Gebiet verteilt – eine Vielzahl an tafelbergähnlichen Strukturen und kleinere Kuppenberge erhalten, bei denen es sich um die erodierten Überreste der noch weiter südöstlich angrenzenden Hochebene Arabia Terra handelt.
Die Cydonia-Region und das ‚Marsgesicht‘
In der Öffentlichkeit allgemein bekannt wurde die Cydonia-Region durch eine Aufnahme, welche der von der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA betriebene Marsorbiter Viking 1 am 25. Juli 1976 bei der Suche nach einer geeigneten Landestelle für den von dieser Raumsonde mitgeführten Marslander angefertigt hat. Dieses Foto zeigt einen Berg, welcher durch eine Reihe von Geländemerkmalen und dem besonderen Schattenwurf zum Zeitpunkt der Aufnahme wie ein 3 x 1,5 Kilometer großes Gesicht – auch bekannt als das ‚Marsgesicht‘ – erscheint. Allerdings gingen die Wissenschaftler schon damals von einer optischen Täuschung aus.
Die an Bord der Raumsonde Mars Express befindliche High Resolution Stereo Camera (kurz „HRSC“) hat dieses angebliche ‚Gesicht‘ erstmals am 22. Juli 2006 während des Orbits Nummer 3.253 abgebildet. Auf diesen am 21. September 2006 veröffentlichten Aufnahmen ist deutlich erkennbar, dass dieser Berg – unter einem anderen Blickwinkel und unter anderen Lichtverhältnissen betrachtet – nicht mehr wie ein Gesicht mit Augen und Mund aussieht sondern vielmehr einen erodierten Tafelberg darstellt, wie er in dieser Region zu Hunderten vorhanden ist.
Am 19. November 2014 überflog Mars Express während des Orbits Nummer 13.816 die Cydonia-Region erneut und bildete dieses Gebiet dabei zum wiederholten Mal mit der HRSC-Kamera ab. Aus einer Überflughöhe von mehreren hundert Kilometern erreichte die HRSC dabei eine Auflösung von ungefähr 21 Metern pro Pixel. Die bei dieser Gelegenheit angefertigten Aufnahmen geben einen bei etwa 38 Grad nördlicher Breite und 353 Grad östlicher Länge gelegenen Abschnitt der Marsoberfläche wieder und enthüllen weitere Details, welche Rückschlüsse über die Entstehungsgeschichte dieser Region ermöglichen.
Tafelberge, Impaktkrater und eine zweischichtige Ejektadecke
Auf diesen Aufnahmen sind diverse Berge und Hügel erkennbar, welche über abgeflachte Kuppen mit darauf liegenden harten und erosionsbeständigen Schichten verfügen. In den meisten Fällen weisen diese Gipfelschichten eine erhöhte Dichte von Impaktkratern auf. Dies beweist, dass diese Strukturen älter sind als die vergleichsweise kraterarmen Ebenen in der Umgebung und deshalb einstmals Teil einer riesigen und durchgängigen südlichen Hochlandebene waren. Es ist dabei denkbar, dass durch einen früheren, gewaltigen Einschlag eines Asteroiden in diese Ebene die darunter liegenden Bodenschichten verdichtet wurden und dadurch bedingt der Erosion mehr Widerstand entgegen setzen können.
Die topographische Höhenkarte dieser Region zeigt deutlich den Höhenunterschied zwischen dem südlichen Hochland (links im Bild) und den nördlichen Tiefebenen (rechts). In der Mitte der verschiedenen Nadirperspektiven sind zwei große, etwa 500 Meter hohe Tafelberge erkennbar, welche an ihrer Basis über eine Ausdehnung von jeweils etwa 20 Kilometern verfügen. Sie sind somit etwa sechsmal so groß wie der allgemein bekannte, rund tausend Meter hohe Tafelberg im südafrikanischen Kapstadt. Diese beiden Berge, welche in der Gegenwart durch ein ovales Tal getrennt werden, bildeten früher ein zusammenhängendes Bergmassiv. Die Oberfläche der beiden Tafelberge unterscheidet sich deutlich von der Oberfläche in der unmittelbaren Umgebung. Dies lässt darauf schließen, dass die oberste Schicht dieser Berge mit einem anders zusammengesetzten Material bedeckt ist.
Am unteren Bildrand der HRSC-Aufnahmen ist zudem ein etwa 15 Kilometer durchmessender Impaktkrater erkennbar, welcher von einer im Rahmen dieses Einschlags gebildeten zweischichtige Ejektadecke umgeben ist. Die innere Decke des Kraterauswurfs wird dabei von der größeren, weiter nach außen reichenden Lage überdeckt. Diese Form ist für die Planetologen besonders interessant, da diese besondere Art von Auswurfdecken sich nur bei Einschlägen in einen wasser- oder eisreichen Untergrund bilden kann.
Bildverarbeitung und HRSC-Kamera
Die weiter oben gezeigte Nadir-Farbansicht der Cydonia-Region wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Aufnahmen der Stereokanäle der HRSC-Kamera berechnet. Das hier gezeigte Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Marslandschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem der vier Stereokanäle der Kamera abgeleitet. Des Weiteren konnten die für die Bildauswertung zuständigen Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wurde, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.
Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann geleitet. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche wissenschaftliche Team besteht derzeit aus 52 Co-Investigatoren, welche von 34 Instituten aus elf Ländern stammen.
Die hochauflösende Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit mehreren industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Aufnahmen wurden von den Mitarbeitern der Fachgruppe „Planetologie und Fernerkundung“ des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof erstellt.
Die hier gezeigten Aufnahmen der Cydonia-Region finden Sie auch auf den entsprechenden Internetseiten des DLR und der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung.
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