Am 19. Februar 2015 veröffentlichte Aufnahmen der von der ESA betriebenen Raumsonde Mars Express zeigen das Gebirgsmassiv der Phlegra Montes auf dem Mars. Diese geologische Formation ermöglicht Einblicke in Landschaftsformen, welche bereits vor vielen Millionen Jahren durch Klimaveränderungen auf dem Mars geprägt wurden.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR, ESA.
Bereits seit dem 25. Dezember 2003 befindet sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express in einer Umlaufbahn um den Mars. Seitdem liefert der Marsorbiter den an dieser Mission beteiligten Wissenschaftlern regelmäßig eine Vielzahl an Bildaufnahmen und weitere Daten über die Atmosphäre und die Oberfläche unseres äußeren Nachbarplaneten, durch deren Auswertung sich für die Planetenforscher wertvolle Einblicke in dessen Entwicklungsgeschichte ergeben. Die sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters liefern dabei wichtige Beiträge zur Untersuchung der Oberflächengeologie sowie zur ‚Geschichte des Wassers‘ auf unserem Nachbarplaneten und damit auch zur Klärung der Frage, ob einstmals ‚Leben auf dem Mars‘ möglich war. Die Mission wird als so erfolgreich eingestuft, dass sie inzwischen bis zum Ende des Jahres 2018 verlängert wurde (Raumfahrer.net berichtete).
Am 8. Oktober 2014 überflog Mars Express während des Orbits Nummer 13.670 den südlichen Bereich des Gebirgsmassivs „Phlegra Montes“ und bildete diese Region mit der High Resolution Stereo Camera (kurz „HRSC“), der Hauptkamera an Bord des Marsorbiters, ab. Aus einer Überflughöhe von mehreren hundert Kilometern erreichte die HRSC dabei eine Auflösung von ungefähr 15 Metern pro Pixel. Die bei dieser Gelegenheit angefertigten Aufnahmen geben einen bei etwa 31 Grad nördlicher Breite und 160 Grad östlicher Länge gelegenen Abschnitt der Marsoberfläche wieder.
Das Gebirgsmassiv der Phlegra Montes
Bei den Phlegra Montes handelt es sich um ein Gebirgsmassiv auf dem Mars, welches sich zwischen dem 30. und dem 50. nördlichen Breitengrad über eine Länge von mehr als 1.300 Kilometern vom nordöstlichen Bereich der Elysium-Vulkanregion bis weit in die nördliche Tiefebene unseres Nachbarplaneten erstreckt. Das Massiv stellt dabei eine natürliche Grenze zwischen den beiden in der nördlichen Tiefebene des Mars gelegenen Regionen Utopia Planitia und Arcadia Planitia dar. Diese geologische Formation, bei der es sich um eine Aneinanderreihung zahlreicher Berge, Grate und Hügel handelt, ermöglicht den Planetologen Einblicke in Landschaftsformen, welche bereits vor vielen Millionen Jahren durch Klimaveränderungen auf dem Mars geprägt wurden.
Gemäßigte Klimazone
Mit einem Wert von 25,19 Grad weist die Rotationsachse des Mars gegenüber der Ebene der Planetenumlaufbahn um die Sonne aktuell eine ähnlich starke Neigung auf, wie dies auch bei unserem Heimatplaneten – hier liegt dieser Wert bei 23,44 Grad – der Fall ist. Dies hat zur Folge, dass auch auf unserem äußeren Nachbarplaneten Jahreszeiten auftreten. In Abhängigkeit des Breitengrades zur – wegen der größeren Sonnenentfernung allerdings deutlich schwächeren – Sonneneinstrahlung existieren dort zudem auch verschiedene Klimazonen. Die Phlegra Montes befinden sich dabei gegenwärtig in den gemäßigten Breiten des Mars und sind mit einem Bergmassiv vergleichbar, welches sich – auf die Erde bezogen – von Nordafrika bis nach Deutschland erstreckt.
Allerdings sind diese Klimazonen auf dem Mars keineswegs stabil. Bereits seit mehreren Jahrzehnten ist bekannt, dass die Rotationsachse des Mars einer sehr starken Präzessionsbewegung unterliegt, durch welche sich deren Neigung in einem periodischen Rhythmus von etwa 170.000 Jahren stark verändert. Dabei schwankt die Neigung der Rotationsachse des Mars zwischen Werten von fast null bis hin zu 60 Grad. Dies hat zur Folge, dass die Einstrahlung des Sonnenlichts für unterschiedliche Breitengrade über die Jahrmillionen nicht in der Gleichmäßigkeit erfolgt, wie dies auf der Erde der Fall ist.
Dementsprechend treten im Laufe der Zeit von Ort zu Ort auch extreme Klimaveränderungen auf. Eine Auswirkung dieser langfristigen Klimaschwankungen macht sich dadurch bemerkbar, dass nicht nur in den Polarregionen des Mars Spuren der Aktivität von polarem Eis zu erkennen sind, sondern auch in gemäßigten Breiten und sogar in der unmittelbaren Umgebung des Marsäquators. Auch in den Phlegra Montes – so die Analyse von diversen Abbildungen dieser Region – müssen zeitweise massive Vergletscherungen aufgetreten sein.
Spuren einer zeitweiligen vollständigen Vereisung
Das Wissen um diese ‚Rahmenbedingungen‘ hilft den Planetologen dabei, die heute sichtbaren Landschaftsformen besser zu verstehen, welche in den Phlegra Montes zum Teil durch die Klimaveränderungen und die dadurch hervorgerufenen Prozesse bedingt sind. Nach der Auswertung von Radardaten, welche der von der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA betriebene Marsorbiter Mars Reconnaissance Orbiter in den vergangenen Jahren zum Nachweis von unterirdischen Eisschichten und für die Untersuchung der dortigen Landschaftsformen gesammelt hat, sind zahlreiche Wissenschaftler zu der Auffassung gelangt, dass diese Region vor Hunderten von Millionen Jahren stark vergletschert gewesen sein muss.
In einigen Bereichen in der Nähe von Berghängen sind Strukturen erkennbar, welche eine starke Ähnlichkeit mit den Blockgletschern auf der Erde aufweisen. Diese von Felsblöcken und zerriebenem Lockermaterial durchsetzten Eisgletscher kommen auf der Erde vor allem in den Permafrostgebieten der Hochgebirgsregionen und in den polaren Breiten vor und gelten dort als ein typisches Landschaftselement.
Von den irdischen Blockgletschern ist bekannt, dass die eigentliche Eisschicht nicht offen an der Erdoberfläche liegt, sondern vielmehr unter einer Schicht aus oberflächlichem Gesteinsschutt, einer sogenannten Auftauschicht, verborgen ist. Der bedeckende Gesteinsschutt schützt das darunter befindliche Eis so über lange Zeiträume vor einer direkten Einstrahlung von Sonnenlicht und somit auch vor dem Abschmelzen. Die Ablagerungen werden dabei infolge der plastischen Eigenschaften von Eis bei hohem auflastenden Druck bis zu einem gewissen Grad ‚fließfähig‘ und so hangabwärts befördert. Auch in der Gegenwart, so die Marsforscher, könnten sich in diesen Bereichen der Phlegra Montes in einer Tiefe von lediglich etwa 20 Metern noch größere Vorkommen an Wassereis befinden.
Lava-Decken vom 450 Kilometer entfernten Vulkan Hecates Tholus?
Das Alter der Phlegra Montes wurde auf der Grundlage von Kraterhäufigkeitszählungen auf einen Wert von 3.65 bis 3.91 Milliarden Jahre eingegrenzt. Der Bergrücken ist somit sehr viel älter als das umliegende Tiefland. Der westliche Bereich der am 8. Oktober 2014 von der HRSC-Kamera dokumentierten südlichen Ausläufer der Phlegra Montes wird von einer Ebene dominiert, deren auffallend glattes Material bis an die Berge heranreicht und deren Basis überdeckt.
Bei einer genaueren Betrachtung sind auf dieser Ebene mehrere sogenannte Runzelrücken erkennbar, welche bei dem Erkalten von dünnflüssiger basaltischer Lava durch Kontraktion entstehen. Möglicherweise haben die Laven, die diese Ebene bilden, ihren Ursprung an dem Vulkan Hecates Tholus, welcher sich etwa 450 Kilometer weiter westlich befindet und der zusammen mit den Vulkanen Albor Tholus und Elysium Mons die Elysium-Vulkanregion bildet.
In Zentrum der Nadir-Aufnahmen sind zudem an den Flanken einer Gruppe größerer Hügel mehrere von West nach Ost verlaufende kleine Täler erkennbar, welche in eine beckenartige Struktur münden. Das Material, welches in dieser Vertiefung abgelagert wurde, sieht anders aus als das Material an den Berghängen. Im Vergleich zur Umgebung scheint es stärker von der Erosion angegriffen zu sein. An den am weitesten östlich gelegenen Hügeln – erkennbar am unteren Bildrand der Draufsichten – wölbt sich dieses Material am Fuß dieser Berge stellenweise auf. Dies deutet darauf hin, dass es an den westlich davon gelegenen Bergflanken zu Hangrutschungen ganzer Gesteinsdecken gekommen sein muss.
In den Bereich der Phlegra Montes und deren unmittelbaren Umgebung sind somit die Auswirkungen von einigen der wichtigsten geologischen Prozesse – frühe tektonische Kräfte sowie glaziale und vulkanische Aktivitäten – erkennbar, welche im Verlauf der Jahrmilliarden das jetzige Erscheinungsbild des Mars geformt haben. Das Studium dieser Strukturen wird das Wissen der Menschheit über die Entwicklungsgeschichte unseres Nachbarplaneten auch in Zukunft ungemein erweitern.
Bildverarbeitung und HRSC-Kamera
Die weiter oben gezeigte Nadir-Farbansicht der südlichen Phlegra Montes wurde aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera erstellt. Die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Aufnahmen der Stereokanäle der HRSC-Kamera berechnet. Das nebenstehende Anaglyphenbild, welches bei der Verwendung einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Marslandschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem der vier Stereokanäle der Kamera abgeleitet. Des Weiteren konnten die für die Bildauswertung zuständigen Wissenschaftler aus einer höhenkodierten Bildkarte, welche aus den Nadir- und Stereokanälen der HRSC-Kamera errechnet wurde, ein digitales Geländemodell der abgebildeten Marsoberfläche ableiten.
Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann geleitet. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche wissenschaftliche Team besteht derzeit aus 52 Co-Investigatoren, welche von 34 Instituten aus elf Ländern stammen.
Die hochauflösende Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit mehreren industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern der Fachgruppe „Planetologie und Fernerkundung“ des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof erstellt.
Die hier gezeigten Aufnahmen der Phlegra Montes finden Sie auch auf den entsprechenden Internetseiten des DLR und der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung.
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