Mars Express: Chaos am Rand der Valles Marineris

Eine kürzlich veröffentlichte Aufnahme der Raumsonde Mars Express zeigt die am nordöstlichen Ende der Valles Marineris gelegene Region Hydraotes Chaos. Die Entstehungsgeschichte solcher chaotischen Regionen auf dem Mars ist bisher noch nicht vollständig entschlüsselt.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: FU Berlin, DLR.

NASA, JPL, MOLA Science Team, FU Berlin
Eine topografische Karte der am nordöstlichen Rand der Valles Marineris gelegenen Region Hydraotes Chaos auf dem Mars. Der im Rahmen von vier Überflügen von der HRSC-Kamera abgebildete Bereich ist umrahmt.
(Bild: NASA, JPL, MOLA Science Team, FU Berlin)

Bereits seit dem 25. Dezember 2003 befindet sich die von der europäischen Weltraumagentur ESA betriebene Raumsonde Mars Express in einer Umlaufbahn um den Mars und liefert den an dieser Mission beteiligten Wissenschaftlern seitdem regelmäßig eine Vielzahl an Bildaufnahmen und weitere Daten über die Atmosphäre und speziell über die Oberfläche unseres äußeren Nachbarplaneten, durch deren Auswertung sich für die Planetenforscher wertvolle Einblicke in dessen Entwicklungsgeschichte ergeben.

Chaotische Gebiete auf dem Mars
Zu den interessantesten Landschaftsformen, welche die Wissenschaftler dabei auf dem Mars beobachten zählen die sogenannten „chaotischen Gebiete“, die besonders in den westlichen und östlichen Randregionen der Valles Marineris – dem mit Abstand größten bekannten Grabenbruchsystem innerhalb unseres Sonnensystems – zu beobachten sind. Bei diesen „Chaotic Terrains“ handelt es sich um ausgedehnte Regionen, welche mit einem Gewirr von kleinen, in alle Richtungen verlaufenden und sich gegenseitig schneidenden Tälern und Schluchten durchzogen sind.

Diese Gebiete zeichnen sich zudem durch eine Häufung von unterschiedlich großen Gesteinsblöcken und zumeist stark erodierten, tafelbergähnlichen Erhebungen – sogenannten Zeugenbergen – aus, welche über eine Ausdehnung von bis zu zehn Kilometern und über eine relative Höhe von mehreren hundert Metern, in Einzelfällen sogar bis zu zwei Kilometern verfügen. Auf Fotoaufnahmen, welche aus der Umlaufbahn heraus angefertigt werden, bilden diese Gebiete auf der Marsoberfläche ein bizarres und chaotisch anmutendes Muster.

Die Bildung dieser „chaotischen Gebiete“ wird allgemein darauf zurückgeführt, dass sich in der Vergangenheit im Untergrund des Mars vorhandenes Eis, Wasser oder Magma verlagerte. Plötzlich schmelzendes Eis setzte im Rahmen dieser Prozesse Wasser frei, welches anschließend mit hohem Druck entlang von Spalten und Störungszonen an der Planetenoberfläche austrat. Dies hatte zur Folge, dass die ursprünglich über den Eisablagerungen liegenden Gesteinsschichten zum Einsturz gebracht wurden und in großen Schollen zusammenstürzten. Das abfließende Wasser erodierte die so entstandene Landschaft zusätzlich und vollendete die Bildung der noch in der Gegenwart erkennbaren markanten Strukturen.

ESA, DLR, FU Berlin
In dieser senkrechten Draufsicht auf die Region Hydraotes Chaos ( Norden befindet sich oben) erkennt man deutlich die markante, etwas mehr als zweitausend Meter tiefe Senke, in der sich zahlreiche Restberge als Ergebnis eines intensiven Erosionsprozesses in scheinbar ‚chaotischer‘ Anordnung befinden. Auf der Erde existieren keine vergleichbaren Landschaftsformen.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Für diese Theorie spricht auch, dass sich viele der chaotischen Regionen in den ‚Quellgebieten‘ von großen Ausflusstälern befinden, durch welche einstmals ganz offensichtlich enorme Mengen an Wasser mit großer Energie aus dem Hochland in Richtung der nördlichen Tiefebenen strömten. Auch die Erosion durch Wind scheint in der Folgezeit eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Bildung der heute erkennbaren Geländeformen gespielt zu haben.

Der genaue Mechanismus, welcher zu der Entstehung dieser manchmal mehrere hundert Kilometer durchmessenden chaotischen Regionen führte, ist allerdings bis heute nur ungenügend verstanden. Die chaotischen Gebiete sind deshalb von besonderem Interesse für die Planetenforscher, weil das Verständnis ihrer Entstehung Hinweise auf die Beziehung zwischen den chaotischen Terrains, den Valles Marineris, der Tiefebene Chryse Planitia und der in diese Ebene mündenden Ausflusstäler geben kann.

Das Hydraotes Chaos
Bei einem typischen Vertreter dieser Landschaftsform handelt es sich um die Region Hydraotes Chaos, welche sich nahe des Marsäquators am nordöstlichen Ende der Valles Marineris befindet. Mit einer Ausdehnung von etwa 420 x 100 Kilometern verfügt das Hydraotes Chaos in etwa über die Fläche des Bundeslandes Baden-Württemberg. Die Wassermengen, welche hier einstmals gespeichert waren und dann durch das angrenzende Simud Vallis nach Norden strömten, müssen gigantisch gewesen sein. In ihrer Gesamtheit flossen sie aus einem Einzugsgebiet von etwa 1.500 Kilometer Durchmesser ab – einem Gebiet, welches in etwa über die Größe Mitteleuropas verfügt. Die Planetologen gehen davon aus, dass sich das Hydraotes Chaos bereits vor mehr als 3,5 Milliarden Jahren während der noachischen Periode gebildet hat.

Bereits am vergangenen Donnerstag wurde von der ESA eine Mosaikaufnahme dieser Region veröffentlicht. Die hierfür verwendeten Aufnahmen wurden mit der High Resolution Stereo Camera (kurz „HRSC“), einem der insgesamt sieben wissenschaftlichen Instrumente an Bord des Marsorbiters, angefertigt. Hierbei fand auch noch einmal ein Datensatz Verwendung, welcher bereits während des Marsorbits Nummer 18 von Mars Express am 14. Januar 2004 angefertigt wurde.

Um auch die westliche Hälfte des Beckens von Hydraotes Chaos in einem größeren regionalen Kontext darstellen zu können, wurden für das jetzt veröffentlichte Bildmosaik zusätzlich weitere HRSC-Aufnahmen aus späteren Orbits verwendet. Das dabei dargestellte Gebiet verfügt in etwa über eine Ausdehnung von 200 x 400 Kilometern.

ESA, DLR, FU Berlin
Aus den Stereobilddaten der HRSC-Kamera können auch topographische Geländemodelle abgeleitet werden, die für jeden Punkt auf der Marsoberfläche die Höhe über einer gedachten Bezugsfläche angeben. Dabei wird sehr anschaulich sichtbar, dass die Hochflächen der vielen Tafelberge in Hydraotes Chaos die Überreste der einstmals zusammenhängenden Ebene des umgebenden Marshochlands darstellen. Die Inselberge haben fast alle Höhen von ein- bis zweitausend Metern. Gut erkennbar ist auch der am oberen Bildrand gelegene Beginn des Simud Vallis – ein großer Abflusskanal, welcher das Hydraotes Chaos einstmals nach Norden entwässerte. Die Falschfarben geben unterschiedliche Höhenniveaus wieder.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin)

Bildverarbeitung und HRSC-Kamera
Das HRSC-Kameraexperiment an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann geleitet. Das für die HRSC-Kamera verantwortliche wissenschaftliche Team besteht derzeit aus 52 Co-Investigatoren, welche von 34 Instituten aus elf Ländern stammen.

Die hochauflösende Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Neukum entwickelt und in Kooperation mit mehreren industriellen Partnern (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH) gebaut. Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Bilddaten erfolgt am DLR. Die Darstellungen der hier gezeigten Mars Express-Bilder wurden von den Mitarbeitern der Fachgruppe „Planetologie und Fernerkundung“ des Instituts für Geologische Wissenschaften der FU Berlin erstellt, die seit dem Beginn der Mars Express-Mission von Professor Dr. Gerhard Neukum geleitet wurde.
Prof. Dr. Gerhard Neukum
Professor Dr. Gerhard Neukum entwickelte die Idee einer hochauflösenden Stereokamera zur systematischen und hochgenauen Kartierung der Topographie des Mars bereits Ende der 1980er Jahre am damaligen Institut für Optoelektronik des DLR in Oberpfaffenhofen. Erstmals zum Einsatz kommen sollte die HRSC bei der russischen Marsmission Mars 96, welche jedoch am 16. November 1996 bereits kurz nach deren Start aufgrund eines Versagens der verwendeten Trägerrakete scheiterte. Pofessor Neukum, inzwischen als Direktor des DLR-Instituts für Planetenerkundung in Berlin-Adlershof tätig, setzte sich daraufhin mit weiteren Wissenschaftlern aus Europa intensiv für eine Marsmission unter der Leitung der ESA ein. Aus diesem Einsatz resultierte letztendlich die überaus erfolgreiche Mars Express-Mission.
Professor Neukum gilt als einer der profiliertesten und fachlich weltweit anerkannt deutschen Planetenforscher. Mit seinen Arbeiten zu Bestimmung des Alters der Oberflächen von Monden, Asteroiden und terrestrischen Planeten, welche auf der von ihm entscheidend entwickelten Kraterzählungs-Methode beruhen, hat er sein Fachgebiet geprägt und wissenschaftliche Meilensteine gesetzt. Professor Neukum verstarb am 21. September 2014 im Alter von 70 Jahren.

Überflug-Animationen
Die hier gezeigten Aufnahmen des Hydraotes Chaos finden Sie auch auf den entsprechenden Internetseiten des DLR und der FU Berlin. Speziell in den dort verfügbaren hochaufgelösten Aufnahmen kommen die verschiedenen Strukturen der Marsoberfläche besonders gut zur Geltung. Neben diesen Aufnahmen sind dort auch zwei animierte Überflugvideos über diese Region abrufbar.

Die Daten für die Nadir-Farbansicht des Überfluges über das Hydraotes Chaos stammen von dem senkrecht auf die Marsoberfläche blickenden Nadirkanal und den vor- beziehungsweise rückwärts blickenden Farbkanälen der HRSC-Stereokamera. Eine ebenfalls kolorierte Anaglyphenversion, welche bei der Verwendung einer Rot-Blau- oder Rot-Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Marslandschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem der vier Stereokanäle der Kamera abgeleitet.

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