Eine am 5. März 2015 veröffentlichte Studie zeigt, dass einstmals ein großer Ur-Ozean die Oberfläche des Planeten Mars bedeckte. Dieser Ozean beinhaltete mehr Wasser als das irdische Nordpolarmeer und bedeckte einen größeren Anteil der Planetenoberfläche als der Atlantik auf der Erde.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, ESO, Science.
In der Gegenwart präsentiert sich der Mars – der äußere Nachbarplanet der Erde – als eine lebensfeindliche und ‚knochentrockene‘ Welt, welche über eine viel zu kalte und vor allem viel zu dünne Atmosphäre verfügt, um das Vorhandensein von flüssigen Wasser auf dessen Oberfläche zu ermöglichen. Selbst in gefrorener Form ist das Wasser auf dem Mars eher eine Seltenheit und tritt dort lediglich im Bereich der Polarkappen in größeren Mengen auf. Wie viel gefrorenes Wasser im Untergrund der wüstenartigen Landschaften vorkommt, ist dagegen bislang unklar.
Diese lebensfeindlichen Bedingungen bestanden jedoch nicht immer. Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten von den verschiedenen Orbiter-, Lander- und Rovermissionen gesammelten Daten gilt es heute als gesichert, dass der Mars in seiner Frühzeit über eine dichtere Atmosphäre verfügt haben muss, welche in Kombination mit höheren Temperaturen das Vorhandensein von flüssigen Wasser auch über einen längeren Zeitraum hinweg ermöglicht hat. Auf den Bildern der Orbiter erkennen wir gewaltige Ausflusstäler, Talnetzwerke und Flussdeltas, deren Entstehung sich am besten durch die direkte Einwirkung von Oberflächenwasser erklären lässt. Die Analysen der Lander und Rover haben zudem das Vorkommen verschiedener Mineralien nachgewiesen, welche sich nur in Verbindung mit flüssigem Wasser bilden können.
Nach der Ansicht der meisten Planetenforscher muss der Mars somit einstmals über oberflächennahe Grundwasservorkommen, hydrothermale Quellen, Flüsse und Seen verfügt haben. Selbst die ehemalige Existenz eines großen Ozeans wird für denkbar gehalten. Aber wann und über welchen Zeitraum war dies einstmals der Fall? Und wie viel Wasser war auf dem Mars genau vorhanden?
Der Wasserdampf in der Marsatmosphäre liefert Antworten
Diesen Fragen ging ein internationales Wissenschaftler-Team unter der Leitung von Geronimo L. Villanueva vom Goddard Space Flight Center der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA nach. Für ihre urzeitliche Wasser-Bestandsaufnahme des Mars setzten die Wissenschaftler eine ungewöhnliche Methode ein. Statt wie viele ihrer Kollegen im Untergrund des Mars nach Hinweisen auf Wasser zu suchen, blicken sie vielmehr auf dessen Atmosphäre. Diese enthält zwar mit einem Anteil von lediglich 210 ppm deutlich weniger als ein Prozent Wasserdampf, doch die genaue Zusammensetzung dieses atmosphärischen Wassers ist für die Wissenschaftler sehr aufschlussreich.
„Wir können daraus rekonstruieren, wie sich der Wasserhaushalt des Planeten im Laufe der Jahrmillionen entwickelte und wie viel Wasser ins All entweichen konnte“, so Dr. Paul Hartogh vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen, einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler. Unter dem Einfluss der Sonnenstrahlung werden die Wassermoleküle in den oberen Schichten der Marsatmosphäre in ihre einzelnen, leichteren Bausteine aufgespalten, welche dann zum Teil das Schwerefeld des Planeten verlassen können und in das Weltall entweichen.
Doch Wasser ist nicht gleich Wasser. Vielmehr unterscheiden sich einzelne Wassermoleküle – bestehend aus jeweils zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom – durch die jeweilige Isotopenzusammensetzung des darin enthaltenen Wasserstoffs. Es existieren drei Isotope des Wasserstoffs, welche sich durch die Anzahl der in den Wasserstoffatomen enthaltenen Neutronen unterscheiden. „Normaler“ Wasserstoff enthält kein Neutron. „Schwerer“ Wasserstoff – auch als Deuterium bekannt – enthält in seinem Atomkern ein Neutron und ein Proton. Der „überschwere“ Wasserstoff – Tritium genannt – verfügt in seinem Kern sogar über zwei Neutronen. Hierdurch ergeben sich verschiedene Arten von Wasser wie etwa das als halbschweres Wasser bezeichnete Hydrodeuteriumoxid (chemische Formel HDO).
Da Deuterium schwerer als normales Wasser ist, geht es weniger leicht in den Weltraum verloren. Je mehr Wasser der Mars also im Laufe der Jahrmilliarden aus seiner Atmosphäre in den Weltraum abgibt, desto mehr verändert sich auch das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff (kurz als „D/H-Verhältnis“ bezeichnet). Indem sie das D/H-Verhältnis ermitteln, können die Wissenschaftler den HDO-Anteil bestimmen und berechnen, um wie viel sich der Anteil von Deuterium auf dem Mars im Laufe der Zeit erhöht hat. Hierdurch kann zugleich ermittelt werden, wie viel Wasser im Laufe der Zeit in den Weltraum verloren ging. Das wiederum erlaubt Schätzungen über die Menge an Wasser, welche einstmals auf dem Mars vorhanden war.
Um das aktuelle Verhältnis von halbschwerem zu normalem Wasserdampf in der Marsatmosphäre genau zu ermitteln, bestimmten die Wissenschaftler nicht – wie sonst üblich – einen globalen Mittelwert, sondern schauten sich den Planeten vielmehr Stück für Stück an. Sie erhielten so erstmals eine zweidimensionale Karte des Verhältnisses beider Stoffe, welche über eine räumliche Auflösung von nur 500 Kilometern verfügt. Der Schlüssel für die Erstellung dieser ‚Wasserkarte‘ waren nicht nur leistungsstarke Teleskope, welche die typischen Fingerabdrücke von halbschwerem und normalem Wasser in der Infrarotstrahlung des Mars aufspüren und unterscheiden konnten, sondern in erster Linie sorgfältig ausgewählte Beobachtungszeiträume.
Die Erdatmosphäre komplizierte die Beobachtungen
Kompliziert wurden die Beobachtungen nämlich durch die Atmosphäre unseres Heimatplaneten, welche ebenfalls Wasserdampf enthält. Um die Infrarotstrahlung des irdischen Wassers von jener des Mars-Wassers zu trennen, blickten die an der Studie beteiligten Wissenschaftler mit dem Very Large Telescope (kurz „VLT“) am Pananal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in den nordchilenischen Anden sowie dem W.-M.-Keck-Observatorium und der Infrared Telescope Facility – beide Teleskope befinden sich auf dem Vulkan Mauna Kea auf Hawaii – immer nur dann in Richtung Mars, wenn dieser der Erde besonders nahe war.
Die Erde umrundet die Sonne deutlich schneller als der weiter außen liegende Mars. Dadurch bedingt ‚überrundet‘ unser Heimatplanet den Mars in regelmäßigen zeitlichen Abständen und holt ihn dabei auf der Innenbahn ‚von hinten kommend‘ ein.
„In dieser Situation ist der relative Geschwindigkeitsunterschied zwischen beiden Planeten in Beobachtungsrichtung am größten“, so Dr. Hartogh. Die Wellenlängen der Strahlung, welche von dem Mars-Wasser herrührt, sind dann gegenüber denen Wellenlängen des irdischen Wasserdampfs besonders stark verschoben. Dieser sogenannte Doppler-Effekt ist zum Beispiel auch bei vorbei fahrenden Rettungswagen oder Polizeifahrzeugen zu beobachten. Die Frequenz des Martinshorns ist gegenüber dem eines stehenden Einsatzfahrzeuges verändert. Dabei war die Studie, welche vom März 2008 bis zum Januar 2014 durchgeführt wurde, für die beteiligten Wissenschaftler in erster Linie auch eine Geduldsprobe. Nur etwa alle zwei Jahre ergeben sich für einen Zeitraum von jeweils nur einigen Monaten die für die Untersuchung der Isotopenverhältnisse des Wasserdampfs in der Marsatmosphäre notwendigen Beobachtungsbedingungen.
Der Grund für den Einsatz von Teleskopen für diese planetenweite Beobachtung liegt in der dabei gegebenen Möglichkeit, den gesamten Planeten ‚auf einen Schlag‘ zu beobachten. Obwohl direkt auf der Marsoberfläche aktive Rover oder Lander beziehungsweise im Marsorbit befindliche Raumsonden detaillierte ‚in situ‘-Messungen liefern können, sind sie nicht dafür geeignet, die Eigenschaften der gesamten Marsatmosphäre im Rahmen einer einzigen Beobachtungskampagne zu ermitteln. Dies lässt sich am effektivsten mittels Infrarotspektrographen an großen Teleskopen bewerkstelligen, welche sich auf unserem Heimatplaneten befinden.
Sublimation von Eis
Das Team hat sich bei seinen sechs Jahre andauernden Studien besonders auf die Polarregionen des Mars konzentriert6, da die polaren Eiskappen des Mars das größte bekannte Wasserreservoir unseres Nachbarplaneten bilden. Die dort abgelagerten Eismassen sollten – so die Vermutung der Wissenschaftler – die ‚Evolution des Wassers‘ auf dem Mars über einen Zeitraum gespeichert haben, welcher von der Noachischen Periode – dem frühesten geologischen Zeitalter des Mars – bis in die Gegenwart reicht.
Auf seiner sehr exzentrischen Umlaufbahn um die Sonne – der Wert der Exzentrizität der Marsbahn beträgt 0,0935 und weist nach der Umlaufbahn des Planeten Merkur die größte aus dem Sonnensystem bekannte Abweichung einer Planetenbahn von der idealen Kreisbahn auf – durchlebt der Mars eine regelmäßig erfolgende Veränderung in der Intensität der einfallenden Sonnenstrahlung. Speziell in den äquatornahen Regionen wird es dabei in den Sommermonaten relativ warm.
„Gefrorenes halbschweres Wasser geht erst bei einer etwas höheren Temperatur als normales Wasser in den gasförmigen Zustand über“, erklärt Dr. Hartogh. Wenn sich in den kühlen Permafrostregionen des Mars während des einsetzenden Frühlings der Boden erwärmt, sublimiert somit zuerst das dort im Untergrund abgelagerte ’normales‘ Wassereis. Eis mit einem erhöhten Deuteriumanteil bleibt dagegen zunächst erhalten. Bei den in Äquatornähe auftretenden Oberflächentemperaturen sublimiert allerdings nicht nur das ’normale‘ sondern auch das ‚halbschwere‘ Wasser und wird dabei in der Atmosphäre freigesetzt.
„Das Eis in den Polkappen hingegen verdampft nie vollständig. Im Verlauf eines Jahres reichert sich dort deshalb Deuterium an“, so Dr. Hartogh weiter.
Einstmals 20 Millionen Kubikkilometer Wasser
„Unsere Untersuchungen liefern eine zuverlässige Schätzung, wie viel Wasser einst auf dem Mars vorhanden war, und zwar indem wir bestimmt haben, wie viel Wasser in den Weltraum verloren ging“, erläutert Geronimo L. Villanueva, der Leiter des Teams. „Mit dieser Arbeit können wir die Geschichte des Wassers auf dem Mars besser verstehen.“
Die neuen Ergebnisse zeigen, dass das Niederschlagswasser in der Nähe der Polarregionen des Mars im Vergleich zum Meerwasser auf der Erde um den Faktor Sieben mit Deuterium angereichert war. Um solch ein hohes Anreicherungslevel zu ereichen, muss der Mars in den vergangenen vier Milliarden Jahren ein Wasservolumen verloren haben, welches etwa 6,5 mal größer ausfällt als das momentane Volumen der dort befindlichen Polkappen. Den für die Ermittlung dieses Wertes erforderlichen ‚urzeitlichen‘ Vergleichswert entnahmen die Wissenschaftler aus verschiedenen auf der Erde aufgefundenen Mars-Meteoriten, welche sich bereits vor Milliarden von Jahren von ihrem Mutterplaneten lösten und anschließend auf die Erde stürzten. In dem in diesen Meteoriten enthaltenen Wasser sind die ursprünglichen Isotopenverhältnisse auf dem Roten Planeten konserviert. Das Gesamtvolumen des einstmals auf dem Mars befindlichen Wassers muss demzufolge einen Wert von mindestens 20 Millionen Kubikkilometern erreicht haben.
Laut dieser Studie hätte der frühzeitliche Mars demzufolge vor vier Milliarden Jahren über genügend Wasser verfügt, um die komplette Oberfläche mit einer 140 Meter in die Tiefe reichende Schicht aus Wasser zu bedecken. Allerdings ist es deutlich wahrscheinlicher, dass sich diese Wassermengen in einem einzigen Bereich zu einem Ozean vereinte, welcher – angesichts der Topografie der heutigen Marsoberfläche – mehr als die Hälfte der nördliche Hemisphäre des Mars bedeckte und der dabei in manchen Regionen eine Tiefe von mehr als 1,6 Kilometern erreichte. Ein frühzeitlicher Mars-Ozean an dieser Stelle hätte dabei rund 19 Prozent der Planetenoberfläche bedeckt. Zum Vergleich: der Atlantische Ozean nimmt dagegen ’nur‘ etwa 17 Prozent der Oberfläche der Erde ein.
Dieses ehemalige Vorhandensein eines Ozeans im Bereich der heutigen, den Nordpol umfassenden Tiefebene Vastitas Borealis und der angrenzenden Regionen Arcadia Planitia, Acidalia Planitia und Utopia Planitia wurde bereits früher vorgeschlagen – konnte aber bisher nicht definitiv nachgewiesen werden. Allerdings deuten diverse Untersuchungen darauf hin, dass sich dort offenbar signifikante Mengen an Wassereis im Untergrund konzentrieren.
Der Mars – eventuell noch länger ‚lebensfreundlich‘ als bisher gedacht?
Erst im Frühjahr 2013 führten die Untersuchungen des von der NASA betriebenen Marsrovers Curiosity zu dem Schluss, dass auf unserem Nachbarplaneten einstmals Bedingungen vorherrschten, welche prinzipiell die Entstehung von primitiven biologischen Lebensformen begünstigt haben könnten (Raumfahrer.net berichtete). Eine dieser Voraussetzungen beinhaltet das langfristige Vorhandensein von flüssigem Wasser auf dessen Oberfläche.
„Wenn der Mars so viel Wasser verloren hat, dann gab es höchstwahrscheinlich länger Wasser auf der Oberfläche, als bisher angenommen wurde, was darauf hindeutet, dass er auch länger bewohnbar war“, ergänzt Dr. Michael Mumma, ein ebenfalls an dieser Studie beteiligten Wissenschaftler. Möglicherweise verfügte der Mars einstmals sogar über noch mehr Wasser, von dem sich in der Zwischenzeit ein nicht unwesentlicher Teil unter der Planetenoberfläche abgelagert haben könnte. In der fortdauernden Suche nach diesen bisher unentdeckten ‚Untergrundwasser‘-Reservoirs könnten sich die von dem Team um Geronimo L. Villanueva erstellten Karten zukünftig als sehr nützlich erweisen, da sie neben den Daten über das aktuelle D/H-Verhältnis auch Informationen über Mikroklimata und im Laufe der Zeit erfolgte Veränderungen im Gehalt des Niederschlagswassers aufzeigen.
Ulli Käufl von der europäischen Südsternwarte, welcher für den Bau eines der bei dieser Studie verwendeten Instrumente verantwortlich war, fügt hinzu: „Ich bin abermals überwältigt, welche Leistungsfähigkeit astronomische Teleskope in Bezug auf die Möglichkeit der Untersuchung anderer Planeten von der Erde aus haben: Wir haben einen ehemaligen Ozean in einer Entfernung von 100 Millionen Kilometern gefunden!“
Die hier kurz vorgestellten Ergebnisse von Geronimo L. Villanueva et al. wurden am 5. März 2015 unter dem Titel „Strong water isotopic anomalies in the Martian atmosphere: Probing current and ancient reservoirs“ in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
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