Sie brachte nicht nur die ersten Sonden zum Mond, sie startete auch den ersten Menschen ins Weltall: Die Luna– und Wostok-Raketen waren Jahre lang eines der Arbeitspferde des sowjetischen Weltraumprogramms.
Ein Beitrag von Daniel Maurat.
Geschichte
Nach den Propaganda-Erfolgen der ersten Sputnik-Satelliten wollte man in der Sowjetunion weiter Erfolge verbuchen, um so auf dem damaligen technologischen Schlachtfeld des Kalten Krieges weiter den USA ein Schnippchen zu schlagen. Als nächstes logisches Ziel stellten dabei eine Reihe von kleinen, unbemannten Sonden zum Mond sowie ein bemannter Flug ins Weltall dar. Doch die R-7, im Westen als Sputnik bekannt, war nicht darauf ausgelegt, weder eine Sonde zum Mond noch ein bemanntes Raumschiff zu starten. Deswegen begann man im Konstruktionsbüro OKB-1 unter der Leitung des legendären Chefkonstrukteurs beziehungsweise später auch „Vater der sowjetischen Raumfahrt“ genannten Sergeji Koroljow die Entwicklung einer Drittstufe für die R-7, mit der die Rakete nun in der Lage sein sollte, die gesteckten Ziele zu erfüllen. Aber eines der damals größten Probleme war die fehlende Erfahrung von Zündungen einer Rakete im Weltraum (was man sowohl in den USA als auch in der UdSSR mit einer parallelen Bündelung der Raketenstufen, wie in der Atlas oder der R-7, zu umgehen versuchte). Nichtsdestotrotz beauftragte man am 20. März 1958 Koroljows OKB-1 mit der Entwicklung der Drittstufe. Und gerade einmal ein halbes Jahr später, am 23. September, startete die erste dieser neuen Raketen. Die Lösung des Problems der Zündung im Weltraum war so einfach wie genial: während die untere Stufe noch arbeitete, startete man bereits die Oberstufe, da noch durch den Schub der unteren Stufe ei Schub erzeugt wurde, der den Treibstoff am Boden der Oberstufe hält und so ein zuverlässiger Fluss des Treibstoff zum Triebwerk gewährleistet ist. Beide Stufen sind durch ein Gitter miteinander verbunden, das abgetrennt wird, sobald die untere Stufe ausgebrannt und die Oberstufe ihren Nominalschub erreicht hat. Darauf drücken die Abgase der Oberstufe die untere Stufe weg, welche zum Schutz einen konusförmigen Schild trägt. Diese Art von Stufentrennung wird mit der reffenden Bezeichnung „heiße Stufentrennung“ bezeichnet (die auch heute in den Nachfolgern, wie etwa der Sojus, eingesetzt wird).
Versionen
8K72 Luna
Die Luna (russ. Луна für Mond), in der Literatur auch als Wostok-L (russ. Восток Л) bezeichnet, sollte die ersten Raumsonden vom Typ Luna (daher der Name der Rakete) zum Mond bringen. Sie nutze dabei als erste Rakete die neue Oberstufe, um mit ihr die Nutzlast zum Mond zu bringen. Doch viele ihrer Starts schlugen fehl, da die neue Oberstufe noch eine Menge Kinderkrankheiten hatte, die ausgemerzt werden mussten. So kam es nur zu zwei Erfolgen und einem Teilerfolg, bei denen man die Sonden Luna / Lunik 1-3 startete. Luna 1 wurde zwar auf eine Transferbahn zum Mond geschickt, doch schlug sie nicht wegen eines Fehlers im Steuerungssystem wie geplant auf dem Mond ein, sondern flog in einem Abstand von etwa 6.000 km am Mond vorbei und wurde zur ersten Sonde die die Sonne umkreiste. Die zweite Sonde, Luna 2, eine Kopie von Luna 1, schlug dagegen erfolgreich auf dem Mond auf und verteilte verschiedene Embleme der Sowjetunion auf dem Mond. Und Luna 3 schließlich flog am Mond vorbei und schoss die ersten, wenn auch unscharfen Fotos von der Rückseite des Erdtrabanten.
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8K72 Wostok
Die Wostok (russ. Восток für Osten) war eine etwas überarbeitete Version der Luna, die für den Transport der gleichnamigen Wostok-Kapsel modifiziert wurde. Dabei wurde vor allem die Oberstufe verstärkt und man benutzte nun eine längere Nutzlastverkleidung. Sie war eigentlich nur eine Interimsversion zwischen der Luna und der Wostok K, die dann für den Start der bemannten Kapseln genutzt wurde. Sie wurde ausschließlich dazu genutzt, vier Testmodelle der neuen Wostok-Kapsel zu starten und zu testen und wurden als Korabl-Sputnik (russ. Корабл-Спутник für Schiffs-Satellit) bezeichnet. Im Westen wurden sie dagegen als Sputnik bezeichnet, um so den Westen nicht die Absichten der Starts zu verraten. Dabei gab es einen verheerenden Fehlschlag: der zweite Start am 28. Juli 1960 endete in einer Explosion, die von einem der Booster ausging. Dabei starben die zwei Hunde Lisischka und Chaika. Der wohl bekannteste Flug aber fand ab 19. August desselben Jahres, nur drei Wochen nach dem Fehlstart und dem Tod der Hunde, statt. An Bord waren die beiden Hunde Belka und Strelka und ihr Flug verlief zum Glück problemlos. Eine Randbemerkung dabei ist, dass Belka einige Zeit nach dem Flug Welpen zur Welt brachte und der damalige Generalsekretär der KPdSU und damit der mächtigste Mann der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, einen der Welpen, Puschinka, der Tochter von US-Präsident John F. Kennedy schenke (es heißt, dass sie auch heute noch Nachfahren dieses Welpen besitzt).
8K72K Wostok K
Die Wostok K (russ. Восток К) ist eine verbesserte und standardisierte Version der Wostok. Vor allem steigerte man den Schub des Oberstufen-Triebwerks, was auf Kosten der Brenndauer ging. Auch verwendete man als Basis die verbesserte Version der Sputnik, mit der der Satellit Sputnik 3 gestartet wurde. Zunächst wurden wieder Testversionen der Wostok-Kapsel vom Typ Korabl-Sputnik gestartet, mit der die Kapsel für den Flug verifiziert wurde. Ihre wohl berühmtester Einsätze waren die sechs bemannten Starts mit der Wostok-Kapsel, allem voran der Start am 12. April 1961, bei dem die Rakete die Kapsel Wostok 1 mit dem Kosmonauten Juri Gagarin als Besatzung zu seinem 108-minütigen historischen Flug startete. Später flogen mit der Rakete auch die Kosmonauten German Titov, Andrijan Nikolajew, Pawel Popowitsch, Waleri Bykowski und die erste Kosmonautin, Valentina Tereschkowa und wurden so zusammen mit Gagarin zu den ersten russischen Helden des Wettlaufes ins Weltall. Nach den Starts für das bemannte Wostok-Programm nutze man die Rakete vor allem zum Start der ersten Generation von sowjetischen Spionagesatelliten vom Typ Zenit 2, Grunde genommen eine Wostok-Kapsel mit Kamerasystemen in der Rückkehrkapsel, sowie Satelliten vom Typ Elektron zur Untersuchung des Van-Allen-Gürtels.
8A92 Wostok-2
Die Wostok-2 (russ. Восток-2) ist gegenüber der Vorgängerversionen modernisiert worden. Vor allem wurden die Triebwerke der Booster und der Erststufe verbessert sowie das Oberstufentriebwerk im Schub und der Brenndauer gesteigert. Sie diente ausschließlich für den Start von Zenit-2-Spionagesatelliten, die auf den Wostok-Kapseln basieren. Sie war die sowjetische Antwort auf die amerikanischen Spionagesatelliten vom Typ Keyhole 1-4 Corona, die mit Raketen vom Typ Thor Agena gestartet wurden.
8A92M Wostok-2M
Die Wostok-2M (russ. Восток-2М) ist die letzte Version der Wostok-Familie. Sie war nochmals eine standardisierte und verbesserte Version der Wostok 2. Sie startete vor allem zivile Satelliten, so etwa Wettersatelliten vom Typ Meteor, Erderkundungssatelliten der Resurs-Reihe, Satelliten der Interkosmos-Serie sowie das Gammastrahlen-Observatorium Astrofizika. Aber auch SIGINT-Satelliten (engl. Signals Intelligence für Signalabhörung), also Satelliten, die zum Abhören feindlicher Nachrichten dienten, vom Typ Tselina-D /-O starteten mit der Wostok-2M. Zu ihren letzen Nutzlasten zählten auch die beiden indischen Erderkundungssatelliten IRS 1A / B im Jahr 1991, also kurz vor dem Zusammenbruch der UdSSR.
Technik
Die Raketen der Wostok / Luna-Familie bestanden aus zwei Stufen:
- Die vier eingesetzten Booster glichen eigentlich den Booster der R-7-Rakete sowie der Sputnik und benutzen auch die Nummerierung der früheren Versionen mit Blok B, W, G, D (russ. Блок Б, В, Г, Д). Sie waren je 19 m lang, hatten einen maximalen Durchmesser von 2,68 m und wogen voll betankt 43,3 t. Je nach eingesetzte Version benutzte man als Triebwerk verschiedene Abwandlungen des NPO Energomash RD-107-Triebwerks. Bei den frühen Trägern nutze man das RD-107-8D74 mit einem Schub von 995,3 kN (im Vakuum) und einer Brenndauer von 120 Sekunden. Ab der Wostok-2 nutze man das verbesserte RD-107-8D74K-Triebwerk mit den gleichen Spezifikationen, also einem Schub von 995,3 kN (Vakuum) bei einer Brenndauer von 120 Sekunden, wobei das Triebwerk vereinfacht wurde und so die Zuverlässigkeit verbessert wurde. Bei allen Versionen nutze man als Treibstoff RP-1 (Kerosin) und als Oxydator LOX (flüssiger Sauerstoff).
- Die erste Stufe (auch Blok A, russ. Блок А) war zum großen Teil mit der R-7 identisch, hatte aber einen Abgasschild an der Spitze, um die eine Explosion des sich noch in der Stufe befindlichen Treibstoffes aufgrund der heißen Stufentrennung zu verhindern. Sie war dabei 28 m lang und hatte einen Durchmesser von 2,99 m. Genauso wie in den Boostern gab es zwei Varianten des benutzen NPO Energomash RD-108-Triebwerks. Zunächst nutze man das RD-108-8D75-Triebwerks mit einem Schub von 936,5 kN (Vakuum) bei einer Brenndauer von 320 Sekunden. Ab der Wostok-2 nutze man das RD-108-8D75K mit einem Schub von 940,4 kN und einer Brenndauer von 305 Sekunden. Als Treibstoff nutze man, wie in den Boostern, RP-1 und als Oxydator LOX.
- Die zweite Stufe mit dem Namen Blok E (russ. Блок Е) war die erste Oberstufe der R-7. Sie war für ihre Zeit eine revolutionäre Konstruktion, vor allem die Zündung im Vakuum und die elegante Lösung mit der „heißen Stufentrennung“. An sich war die Blok E 2,84 m lang und hatte dabei einen Durchmesser von 2,56 m, was ihr ein gedrungenes Aussehen gab. Das einzelne OKB Kosberg (später KBKhimAvtomatiki) RD-0105-Triebwerk mit einem Schub von 49 kN bei einer Brenndauer von 440 Sekunden. Ab der Wostok-K nutze man als Triebwerk das verbesserte KBKhimAvtomatiki RD-0109-Triebwerk mit einem gesteigerten Schub von 54,9 kN bei einer reduzierten Brenndauer von 365 Sekunden. Als Treibstoffkombination nutze man das auch in den Unterstufen bewähre Kombination aus RP-1 als Treibstoff und LOX als Oxydator. Eine der großen Nachteile der Stufe war aber, dass sie nicht auf Wiederzündbarkeit ausgelegt war, was die Nutzlastkapazität für höhere Umlaufbahnen schnell dramatisch sinken ließ und darüber hinaus ein Satellit nur direkt ohne Freiflugphase in den Orbit gebracht werden konnte.
Starts
Die Raketen der Wostok- / Luna-Familie starten insgesamt zwischen 1958 und 1991 insgesamt 167 Mal, wobei es 18 Fehlschläge und zwei Teilfehlschläge gab. Als Startrampe nutze man die schon von der R-7 genutzten legendären Startplattform 1, nach Gagarins Flug auch Gagarins Start genannt, sowie später auch von der Startrampe 31 in Tjuratam, besser bekannt als Baikonur. Darüber hinaus nutze man für Starts in einen polaren Orbit den Kosmodrom Plessetzk in der Nähe von Archangelsk in Nordrussland. Der ersten Start fand dabei am 10. Juni 1958 statt, mit der eine Attrappe der Blok E-Zweitstufe mitflog, um die Booster und die Zentralstufe zu testen. Den ersten richtigen Start gab es am 23. September 1958 mit einer Sonde vom Typ Luna 1, wobei der Träger versagte. Der letze Start fand dabei erst am 29. August 1991 statt.
Dabei sieht die Statistik für die verschiedenen Träger der Wostok-Familie folgender Maßen aus:
- Luna: 10 Starts, 7 Fehlstarts, Erstflug: 10. Juli 1958 , Letzter Flug: 16. April 1960
- Wostok: 4 Starts, 1 Fehlstarts, Erstflug: 15. Mai 1960 , Letzter Flug: 1. Dezember 1960
- Wostok-K: 13 Starts (6 bemannt), 2 Fehlstarts, Erstflug: 22. Dezember 1960, Letzter Flug: 10. Juli 1964
- Wostok-2: 45 Starts, 5 (+2) Fehlstarts, Erstflug: 1. Juni 1962 , Letzter Flug: 12. Mai 1967
- Wostok-2M: 95 Starts, 3 Fehlstarts, Erstflug: 28. August 1964 , Letzter Flug: 29. August 1991
Auswirkungen
Die Wostok ebnete für eine Reihe von russischen Raketen den Weg, so etwa der Molnija, der Wosschod oder der Sojus. Das bei ihr zum ersten Mal eingesetzte Prinzip der heißen Stufentrennung wird auch heute noch in der Sojus oder der Proton verwendet, um einige russische Beispiele zu nennen. Aber auch anderswo, so etwa in den amerikanischen Titan-Raketen oder den chinesischen Raketen vom Typ Langer Marsch. Auch ebnete sie mit den Starts der Wostok-Kapseln Russlands Weg in den Weltraum und mündete in den Programmen Wosschod oder Sojus. Auch die Starts der anderen Nutzlasten waren nicht nur elementar für das Militär, sondern auch für zivile Anwendungen wie der Wettervorhersage oder auch von wissenschaftlichen Anwendungen.
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