Seit über 10 Jahren sorgt die ESA mit ihrem Technologietransfer-Programm (TTP) dafür, dass für die Raumfahrt entwickelte Lösungen den Weg in unser tägliches Leben finden.
Ein Beitrag von meiklampmann. Quelle: ESA.
Neben Entwicklungen im Bereich Software, Elektronik und technische Anwendungen sind es besonders Werkstoffe, die sich für einen Transfer Richtung Erde anbieten. Kohlenfaserkunststoffe in Industrierobotern, hochisolierende Polymerfolien in Computertomografen, hochmoderne Schutzanzüge für Taucher, Piloten und Feuerwehrmänner – all diese Produkte haben ihren Ursprung im All.
Metalle mit Langzeitgedächtnis
Unter Federführung der ESA fanden zwei große Veranstaltungen zum Technologietransfer-Programm in Großbritannien und Frankreich statt. Im Mittelpunkt standen dabei intelligente Werkstoffe, so genannte „Smart Materials“, und der Transfer von Know-how im Textilbereich.
Zu den intelligenten Materialen, auf die man im Rahmen des Europäischen Weltraumprogramms setzt, zählen die Formgedächtnis-Legierungen (FGL). FGL-Werkstoffe können gedehnt und verformt werden, behalten dabei aber ihre ursprüngliche Form gewissermaßen im Hinterkopf. Wird das Material später auf eine bestimmte Temperatur erhitzt, so erinnert es sich an seine Ausgangsform und nimmt diese wieder an. Derart programmierte Bauteile können im All eingesetzt werden, um beispielweise die Solarpaneele eines Raumflugkörpers zu entfalten.
Eine neue FGL-Applikation wird 2003 mit der ESA-Mission Rosetta auf die Reise zum Kometen Wirtanen gehen. Die FGL-Komponente ist es ein Bauteil des Rosetta-Instruments Ptolemy zur Untersuchung der Kometengase.
„Ein Helliumstrom soll die Gasproben vom Kometen Wirtanen durch die verschiedenen Teile des Ptolemy-Instruments blasen. Das Helium wird in zwei Tanks gelagert, die sofort nach Abfüllung hermetisch versiegelt werden, um den Heliumverlust auf dem langen Flug möglichst gering zu halten“, erläutert Martin Whalley vom britischen Rutherford Appleton Laboratory, das dieses Bauteil entwickelt hat. „Wird das Helium gebraucht, dann wird am Ende des betreffenden Tanks ein zerbrechlicher Stift gekappt. Das öffnet den Tank und das Helium strömt ins Messinstrument.“
Wenn Rosetta den Kometen Wirtanen im Jahr 2011 erreicht, hat die ESA-Sonde einen achtjährigen Trip durch das Sonnensystem hinter sich. Es war daher wichtig, ein simples , aber extrem zuverlässiges System zu entwickeln, das die Tanks exakt zum gewünschten Zeitpunkt öffnet. „Wir haben uns für ein Schaltelement auf FGL-Basis entschieden. Das FGL-Bauteil ist eine passive Komponente, die bei Erwärmung ihre Form ändert und dabei Kraft freisetzt. Außerdem ist sie klein und wiegt fast nichts. Für unser Problem also die ideale Lösung“, so Whalley.
Gesundheit durch Gedächtnislegierungen
Aber auch auf der Erde werden Formgedächtnis-Legierungen inzwischen in den verschiedensten Bereichen angewandt. Ein Einsatzgebiet ist die Medizin. So können beispielweise FGL-Drähte die Heilung von Knochenbrüchen beschleunigen. Und auch in der Kieferorthopädie rückt man krummen Zähnen mit Formgedächtnis-Legierungen zu Leibe. Das Material wird zu Zahnspangen verarbeitet, die dann kontrollierten Druck auf bestimmte Zähne oder Zahngruppen ausüben. Die FGL-Spange hat den entscheidenden Vorteil, dass durch die ganz gezielte Krafteinwirkung Fehlstellungen der Zähne bis zu zweieinhalb Mal schneller behoben werden als bei der herkömmlichen Behandlung.
Textiltechnik aus dem All
Textillien begegnen uns nicht nur als T-Shirt und Sonntagsanzug, sondern vor allem als hochentwickelte technische Textillien, die unter anderem im Auto- und Flugzeugbau verwendet und zu Schutz-, Sport- und Freizeitbekleidung verarbeitet werden. Diese High-Tech-Gewebe, deren Marktanteil ständig wächst, haben viele Eigenschaften: Sie sind schwer entflammbar, hitzebeständig, schnittfest, wasserabweisend, antibakteriell, fungizid, elektrisch, leitfähig usw.
Ein der des ESA-Technologietransfer-Programms ist es, größere Synergien im Textilbereich zu organisieren. „Zahlreiche Technologien aus der Raumfahrt konnten bereits erfolgreich auf terrestrische Anwendungen übertragen werden, aber es stehen noch viele andere Technologien bereit. Wir möchten diesen Prozess weiter voranbringen und Designer, Textilhersteller, Bekleidungsanbieter und Experten für Raumfahrttechnologie zusammenbringen, um neue Anwendungen für den Einsatz in der Textilindusrie zu erarbeiten“, so Pierre Brisson, der Leiter der ESA-Transferprogramms.