Ein Ingenieur des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA hat ein System von Flugrouten durch unser Sonnensystem entwickelt, das durch geschickte Ausnutzung der Gravitationsverhältnisse erhebliche Treibstoffeinsparungen beim Flug durch den interplanetaren Raum ermöglicht.
Ein Beitrag von Michael Stein, bearbeitet von Star-Light. Quelle: NASA.
Schon seit den Anfängen der interplanetaren Raumfahrt macht man sich bei der Planung von Flugrouten für Raumsonden durch unser Sonnensystem die Schwerkraft zunutze, um Richtung und Geschwindigkeit von Raumfahrzeugen auf ihrem Weg zum Ziel durch nahe Vorbeiflüge an Planeten und Monde zu ändern. Diese so genannten „Swing-by-Manöver“ sparen oft enorme Mengen von Treibstoff, was entweder Kostenersparnisse durch Gewichtsreduzierung (= Verwendung kleinerer und kostengünstigerer Raketen) oder aber längere Missionszeiten durch größere Treibstoffreserven bei der Zielankunft ermöglicht. So konnte beispielsweise die auf einem polaren Orbit um die Sonne kreisende Raumsonde Ulysses nur mit Hilfe der Gravitation des Jupiters die Bahnebene der Erde verlassen.
Der am Jet Propulsion Laboratory (JPL) beschäftigte Ingenieur Martin Lo hat nun ein System von Interplanetary Superhighways erarbeitet, was auf deutlich komplexere und raffiniertere Weise die Gravitationsfelder im Sonnensystem ausnutzt: Während bei der bisher üblichen Berechnung „einfacher“ Swing-by-Manöver nur das Schwerefeld eines Himmelskörpers berücksichtigt wurde, bezieht Lo in seine Berechnungen auch die gravitativen Wirkungen der Sonne auf die Planeten und der Planeten auf ihre Monde mit in die Berechnungen ein. Geht man so vor dann offenbart sich sehr schnell, dass Gravitationskräfte aus verschiedenen Richtungen auf ein Raumfahrzeug einwirken und sich verstärken, abschwächen oder sogar gegenseitig aufheben können. Lo hat nun eine Vielzahl von Gebieten berechnet, an denen sich die verschiedenen Gravitationskräfte gegenseitig annähernd neutralisieren, die zusammengenommen Pfade durch die Gravitationsfelder bilden – die von Lo so genannten Interplanetary Superhighways.
Zu jedem Planeten und jedem Mond unseres Sonnensystems gehören fünf Punkte im Weltraum, an denen die Gravitationskräfte dieses Himmelskörpers mit denen der anderen Himmelskörper ausbalanciert sind. Raumfahrzeuge können sich dauerhaft in einem Orbit um diese so genannten Lagrange’schen Punkte L1 bis L5 bewegen und benötigen dabei nur sehr geringe Treibstoffmengen für gelegentliche Kurskorrekturen. Lo hat nun alle möglichen Flugbahnen durch die Lagrange’schen Punkte berechnet und damit ein System „interplanetarer Autobahnen“ erstellt. Seine Theorie hat er zusammen mit Kathleen Howell, einer Professorin für Aeronautik und Astronautik an der Purdue University (Indiana, USA), in ein Tool zur Berechnung von Missionsverläufen namens „LTool“ umgesetzt.
Die erste Mission, bei der seine Berechnungen zum Einsatz gekommen sind, ist die zurzeit laufende Genesis-Mission der NASA, die um den Lagrange-Punkt L1 kreisend Partikel des „Sonnenwindes“ auffangen und am Ende der Mission zurück zur Erde bringen soll. Nach der Ankunft beim L1-Punkt soll die Raumsonde ihn fünf Mal umkreisen, anschließend von alleine den Orbit verlassen und an der Erde vorbei zu dem auf der gegenüberliegenden Seite unseres Planeten liegenden Lagrange-Punkt L2 fliegen, um von dort aus schließlich zur Erde zurückzukehren und einen Behälter mit der Sonnenwind-Probe über der Wüste von Utah (USA) abzuwerfen. „Genesis würde in einer perfekten Welt [für diese Manöver] keinen Treibstoff benötigen“, so Lo. „Aber da wir die vielen Variablen, die während der Mission auftreten, nicht kontrollieren können müssen wir einige [Kurs-]Korrekturen vornehmen, während Genesis seine Runden um einen der Lagrange-Punkte der Erde vollendet. Die Treibstoffersparnisse führen zu einer besseren und billigeren Mission.“
Ein weiterer Vorteil, den das von den beiden Forschern entwickelte „LTool“ mit sich bringt, ist die drastisch verkürzte Berechnungszeit des Missionsverlaufs für alle Missionen, deren Ziel ein Lagrange-Punkt ist. „Die Flugbahn von Genesis zu entwerfen benötigt mit traditionellen Methoden acht Wochen, aber nun können wir eine neue Flugbahn in weniger als einem Tag entwerfen – wir haben eine komplette Mission in einer Woche redesigned“, erläutert Lo. Eine mögliche Verwendung der Ergebnisse seiner theoretischen Überlegungen sieht Lo selbst in wissenschaftlichen Plattformen, die rund um einen der Lagrange-Punkte des Mondes stationiert werden könnten. Da sie sich auf den Interplanetary Superhighways befinden könnten Raumfahrzeuge die Forschungsplattformen einfach erreichen, um dort Wartungs- und Reparaturarbeiten durchzuführen.
Tatsächlich nutzen nicht nur Raumfahrzeuge den Interplanetary Superhighway: Auch Asteroiden und Kometen reisen entlang dieser Routen. Wissenschaftler vermuten sogar, dass der Asteroid, dessen Einschlag auf der Erde vor rund 65 Millionen Jahren das Ende der Dinosaurier herbeigeführt hat, sich auf einer Flugbahn wie die Genesis-Raumsonde bewegt hat. Ein Iridium-Vorkommen an der Einschlagsstelle belegt eine relativ geringe Geschwindigkeit des Asteroiden beim Auftreffen auf die Erde. Und genau das, so Lo, würde man von einem Asteroiden auf dem Interplanetary Superhighway erwarten.