Im Frühjahr 2003 startet Europa erstmals zum Mond und erprobt dabei gleichzeitig ein neues und innovatives Antriebskonzept.
Autor: Karl Urban, bearbeitet von Star-Light. Quelle: ESA.
Mit SMART-1 schickt die Europäische Raumfahrtagentur ESA einen kaum kühlschrankgroßen Flugkörper auf die 17-monatige Reise zum Erdtrabanten. Die Mondsonde dient vor allem der Erprobung eines richtungsweisenden Antriebskonzepts für künftige interplanetare Missionen der ESA. Außerdem soll die Zusammensetzung des Mondgesteins mit speziell dafür entwickelten Spektrometern analysiert werden.
Mit SMART-1 bringt die ESA die erste einer Reihe von kleineren Missionen auf den Weg, die Lösungen und Technologien für umfassendere wissenschaftliche Flüge in der Zukunft ausloten sollen, denn SMART steht für „Small Missions for Advanced Research in Technology“. Im wissenschaftlichen Programm der ESA flankieren die flexiblen sowie kostengünstigen SMART-Vorhaben die zentralen Großprojekte und sollen diese vorbereiten helfen. Die kaum 350 kg schwere SMART-1-Sonde wird von einer Ariane-5 im Erdorbit ausgesetzt. Den Mond erreicht sie dann mit Hilfe des permanenten Schubs eines speziellen elektrischen Antriebs. Diese auch Ionentriebwerke genannten Systeme können für die weitere Erforschung unseres Sonnensystems ungeahnte Perspektiven eröffnen.
Mit dem Ionentriebwerk zum Mond
Während herkömmliche Raketentriebwerke chemischen Treibstoff verbrennen, um Schub zu erzeugen, arbeitet das Ionentriebwerk von SMART-1 mit Strom, der über die bordeigenen Solarpaddeln erzeugt wird. Mit der so gewonnenen elektrischen Energie werden Gasatome ionisiert: Den Atomen werden dabei negativ geladene Elektronen entrissen, so dass positiv geladene Teilchen – die Ionen – übrig bleiben. Ein Magnetfeld beschleunigt diese elektrisch geladenen Teilchen, die sich dann mit hoher Geschwindigkeit von dem Flugkörper weg bewegen und so die SMART-Sonde vorantreiben. Als Treibstoff wird also nur ein Gas, meist verwendet man Xenon, benötigt. Die „Ionenschleudern“ haben einen weit höheren Wirkungsgrad als chemische Triebwerke, so daß sie mit wesentlich weniger Treibstoff auskommen. Denn die geladenen Teilchen erreichen das Zehnfache der Geschwindigkeit, mit der die Verbrennungsgase herkömmlicher Raketenantriebe aus den Düsen strömen.
Im Visier: Merkur und Sonne
Die Bedeutung von Ionentriebwerken hängt mit ihrem hohen Wirkungsgrad zusammen, der Missionen möglich macht, die bislang nicht zu realisieren waren. So soll SMART-1 ein Verfahren zur Bahnänderung erproben, das den Ionenantrieb der Sonde und die Schwerkraft des Mondes ausnutzt. Ein Verfahren, das bei der 2012 startenden BepiColombo-Mission zum Planeten Merkur, eine zentrale Rolle spielen soll.
„Ein chemischer Antrieb erlaubt nur einen Vorbeiflug an dem Planeten oder bestenfalls das Einschwenken in eine sehr weite Umlaufbahn. Will man jedoch die Sonde in einen niedrigen Orbit um den Merkur bringen, so dass man den Planeten auch wirklich beobachten kann, dann geht das nur mit einem elektrischen Antrieb“ erläutert Giuseppe Racca, der SMART-1-Projektleiter.
Neben BepiColombo wird auch der Solar Orbiter, den die ESA etwa zur gleichen Zeit auf die Reise schicken will, mit einem elektrischen Antrieb ausgestattet. Die Sonnensonde soll mit Hilfe ihres Ionenantriebs in eine stark geneigte polare Umlaufbahn um unser Zentralgestirn einschwenken, die eine genauere Beobachtung ihrer Pol-Regionen erlaubt. Da diese ionengetriebenen Raumsonden weniger Treibstoff benötigen, steht an Bord mehr Platz für wissenschaftliche Instrumente zur Verfügung. Und mit der zunehmenden Miniaturisierung technologischer Komponenten werden auch die Instrumente kleiner. Dies wiederum erlaubt die Konstruktion kleinerer, leichterer und damit noch effizienterer Flugkörper.
„Solar-elektrische Antriebstechnik ebnet daher den Weg für die Erkundung der inneren Bereiche unseres Sonnensystems“, betont Giuseppe Racca, „weil man dort die unerschöpflichen Energien der Sonne anzapfen kann.“
Und dann der Sternenraum
In den äußeren Regionen unseres Systems, wo das Licht der Sonne schwächer ist, müssen ionengetriebene Raumsonden andere Stromquellen nutzen, beispielsweise bordeigene Kernreaktoren. Deshalb wären nach Raccas Auffassung elektrische Antriebe dieser Art der nächste logische Schritt in der Technologie-Entwicklung: „Sie könnten uns bis zum Kuiper-Gürtel und noch weiter hinaus bringen“.
Der Kuiper-Gürtel, der sich jenseits der Pluto-Bahn erstreckt, ist für viele Wissenschaftler das Traumziel einer Mission. Es gibt dort Kometen, die seit Entstehung des Sonnensystems unbehelligt ihre Bahn ziehen. Und jenseits dieser Kometen öffnet sich der noch weitgehend unbekannte interstellare Raum, für Astronomen ein lockendes Forschungsziel. Durch elektrische Antriebe könnte eine solche Mission in greifbare Nähe rücken, weil ein Ionentriebwerk lange Zeit ununterbrochen laufen und so kontinuierlich beschleunigen kann. Damit erweist sich ein derartiges Antriebskonzept jedem chemischen Triebwerk weit überlegen.
Guiseppe Racca ist sich sicher: „Solar- und nukleargespeiste elektrische Antriebe eröffnen uns die Möglichkeit, bei der Erforschung unseres Sonnensystems völlig neue Wege zu beschreiten“.