Das waren noch Zeiten: In den Endsechzigern bis in die achtziger Jahre war die weltgrößte Flugzeugschau in Le Bourget bei Paris DER Schauplatz für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Heute fliegt jeder für sich alleine. Meint Andreas Weise in eigener, subjektiver Betrachtung.
Ein Beitrag von Andreas Weise. Quelle: Kommentar nach Ausstellungsbesuch. Vertont von Peter Rittinger
Es gab nicht nur Fachbesuchertage für einen eingeschränkten elitären Kreis. Dem einfachen Normalbesucher, der nicht unbedingt in der Lage war, eines der ausgestellten Flugzeuge zu erwerben, wurde seinerzeit eine Menge geboten. Brot und Spiele wolle man meinen.
Das Werben um den „normalsterblichen Besucher“, der nach dem Staunen über die technischen Errungenschaften jener Zeit dann zurück in sein alltägliches Leben ging, hatte tiefere Gründe. Die Ausstellung in Paris war auch eine Leistungsschau der sich damals gegenüberstehenden Systeme.
Die UdSSR bot alles auf, um die Vorzüge ihres Systems dem westlichen Publikum schmackhaft zu machen. Unvergessen sind die Präsentation der Wostok-Trägerrakete (1967), des Überschallpassagierflugzeuges TU-144 und des weltgrößten Hubschraubers W-12 (1971). Es folgten Sojus-Apollo (1973), Raumstation Salut-6 (1979) und Raumgleiter Buran (1989).
Aber auch der Westen zeigte alles, was das breite Publikumsherz begehrte. Klar, es ging bei den Präsentationen auch um die Akzeptanz der Steuer zahlenden Bevölkerung.
Nach der Beendigung des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion mitsamt des Ostblocks war man auf Selbstfindung. Für den Zuschauer war das eine tolle Zeit. Geradezu freundschaftlich flogen Amerikaner, Westeuropäer zusammen mit Russen unter den staunenden Blicken des Publikums in den Flugschauen.
Und heute, 2015, in Paris?
Die Organisatoren hatten wirklich alles aufgeboten, um dem Publikum ein unvergessliches Erlebnis zu bieten. Mir persönlich ist sehr positiv aufgefallen, wie man zum Beispiel vom Flughafen Charles de Gaulle, freundlich und mit viel französischen Charme, zum Ausstellungsgelände geleitet wurde. Stress- und kostenfrei, versteht sich.
Auf dem Gelände angekommen fragen meine mitreisenden Freunde zweimal, ob in den (nur) 14 Euro Eintrittspreis auch alles Notwendige enthalten wäre. Natürlich! Inklusive Museumsbesuch der Luft- und Raumfahrt auf dem Gelände. Auch ansonsten war ein Großaufgebot an freundlichem Service-Personal angetreten. Ja, das fiel wirklich auf. Leider hatte der Veranstalter aber nicht den Einfluss auf das Ausstellerverhalten.
Es hatte den Eindruck, dass die Messe nach den Fachbesuchertagen beendet war. In der Presse waren gigantische Vertragsabschlusszahlen von Airbus und Boeing zu lesen. Das Rennen um den finanzpotenten Kunden war gelaufen. Und so wurde das große Fluggerät teilweise abgezogen. Boeings neuste 787 und der Sukhoi Superjet-100 waren schon auf dem Heimflug, als am Freitag der normale Besucher das Flugfeld stürmte. Und der bekam folgendes zu sehen: Das rein französische Kampfflugzeug Rafale und einen chinesisch-pakistanischen Jet. Eurofighter, aber auch Sukhoi oder MiG waren erst gar nicht angereist.
Während auf der ILA 2014 in Berlin noch ein Riesentransportflugzeug vom Typ AN-124 daran erinnerte, dass so manche Bundeswehrtruppenverlegung ohne russischen Transportmaschinen gar nicht möglich gewesen wäre, war von den Russen in Paris auf dem Vorfeld weit und breit nichts zu sehen. Diese beschränkten sich in den Hallen auf zugegeben gut gemachte Computeranimationen und Hochglanzprospekte.
Von den großen Namen aus Sowjetzeiten war nur der ukrainische Flugzeugbauer Antonow übrig geblieben, der sein nagelneues Transportflugzeug AN-178 an den Käufer bringen wollte. Die Firma kämpft ums Überleben, ist doch der Hauptabnehmer ihrer Produkte, Russland, als Kunde de-facto nicht mehr existent. Damit durfte auch das seit über 20 Jahren schleichende Projekt des Transportflugzeuges AN-70 endgültig den Todesstoß bekommen haben. Vor zwei Jahren flog diese noch „gegen“ den europäischen Konkurrenten Airbus A400M in Le Bourget in der Publikumsvorführung. Jetzt, 2015, hatte der A400M die Show ganz für sich alleine.
Der einzige wirklich große Hingucker war ein Airbus A350 von Qatar-Airways. Warum nun diese zuschauerunfreundliche Entwicklung? Zum einen wird Russland wegen der Ukraineproblematik systematisch ausgegrenzt. Andererseits hat aber auch Russland kein Interesse, sich in die Karten schauen zu lassen.
Vielleicht glaubt man auch, in Paris nicht unbedingt die Käufergruppe zu finden, die man für seine Produkte sucht. Also spart man sich die kostspielige Reise. In zwei Monaten auf der Gegenveranstaltung, der MAKS in Moskau, wird garantiert dann alles gezeigt, was Russland in Sachen Luft- und Raumfahrt so zu bieten hat. Und die großen westlichen Hersteller haben den Markt unter sich aufgeteilt. Sie haben volle Auftragsbücher und brauchen im Moment nicht um die Gunst des kleinen Mannes buhlen.
Die einzige, seit Jahren für das Publikum konstante Größe ist … die US Air Force (!). Egal, ob ILA oder Le Bourget: Die amerikanische Luftmacht ist präsent. Zwar ist nicht anzunehmen, das von den gezeigten Maschinen, wie A10, F15 oder F16 dort auch nur eine zum Verkauf steht. Aber man gibt sich publikumsnah. Man ist eben auf Imagepflege orientiert und lässt sich das auch etwas kosten. Ob die Amerikaner auch nach Moskau auf die MAKS anreisen, wie vor vier Jahren, bleibt allerdings anzuzweifeln.
Das Thema Raumfahrt lud auch nicht zu Begeisterungsstürmern ein. Zuerst stand ein Besuch am russischen Gemeinschaftsstand an. Prospektmaterial und Modelle waren augenscheinlich die selben, wie ein Jahr zuvor auf der ILA in Berlin. Die Raketenmodelle von Sojus, Angara, Proton und Co. hatte man, gefühlt schon Jahre, vorher gesehen. Kaum gesprächig waren die Damen an den Ständen. Man war äußerst freundlich, aber wenig aussage-willig. Es gab einfach nichts Neues zu berichten. Hier verfestigte sich der Eindruck, man war nur aus Höflichkeitsgründen anwesend. Die eigentlichen heißen News werden bestimmt für die MAKS im August aufgehoben – hofft der Besucher.
Im ESA-Pavilion ging es ebenfalls relativ ruhig zu. Philae war hier einer der „Stars“ – wie konnte es anders sein?! An der Decke hing ein kleines, fast mickriges, Modell der Orion-ATV-Kombination. Der Ariane 6 wurde eine Plakatfläche inklusive eines 1:20 Modells gewidmet. Nein, so sieht es nicht nach Aufbruchstimmung in eine neue raketen- und raumfahrttechnische Zukunft aus. Prof. Jan Wörner als neuer ESA-Chef wird es schwer haben, emotionalen Schwung, auch beim Steuerzahler, hinein zu bringen.
Mit einem Objekt versuchte man dann dennoch doch zu punkten. Vor der Halle war unter freiem Himmel der IXV-Versuchsflugkörper nach seinem erfolgreichem Flug ausgestellt. Eine etwas detailliertere Erläuterung, was es mit dem etwas unförmiges Ding auf sich hat, wäre wünschenswert gewesen.
Das DLR fand man auf dem Gemeinschaftsstand des BDLI (Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V). Hier war neben Philae das optische Prunkstück ein Modell des SpaceLiner. Ein DLR-Entwurf für ein ballistisches interkontinentales Luftverkehrssystem. Ein sehr interessantes Konzept, das aber erst in fernerer Zukunft verwirklicht werden könnte, zumal man die entsprechenden Geldgeber noch nicht gefunden hat. Doch was wird die nahe Zukunft bringen? Nun, es war eben nicht das Heimspiel des DLR, so wie auf der ILA.
Fazit zum Thema internationale Raumfahrt in Le Bourget: Man feiert die erreichten Erfolge. Das ist auch gut so und völlig richtig. Aber die Visionen, der Schub nach vorn, der war nicht zu spüren. Weder bei Ariane 6 noch bei anderen Projekten. Und die russische Präsenz bestand darin, das sie vorhanden war. Alles in allem war es für einen interessierten raumfahrtbegeisterten Amateur sehr ernüchternd.
Trösten konnte da ein kurzer Besuch im französischen Museum für Luft- und Raumfahrt auf dem Gelände. Sehr empfehlenswert! Aber erstens ist dort die Vergangenheit ausgestellt. Und zweitens muss man dazu nicht extra zur größten Luft- und Raumfahrtmesse anreisen. Der Besuch dort ist das ganze Jahr über möglich.
In Le Bourget war die Zukunft nicht so richtig zu entdecken. Warten wir die MAKS in Moskau im August ab. Vielleicht sieht man dort mehr. Vielleicht …
Andreas Weise