Wie die US-amerikanische Weltraumüberwachung meldete, trat am Morgen des 9. Mai 2021 um etwa 4:15 Uhr MESZ die Kernstufe der Langer Marsch 5B, die vor einigen Tagen das Kernmodul der zukünftigen chinesischen Raumstation in einen niedrigen Erdorbit transportierte, wieder in die Atmosphäre ein.
Quelle: Marco Langbroek, spacecom.mil.
Wenige Minuten später fielen die nicht verglühten Überreste der Stufe laut Beobachtern bei den Malediven in den indischen Ozean. Dass keine Landmasse getroffen wurde, war, nach allem, was bekannt ist, lediglich ein Glücksfall: Überreste einer anderen Kernstufe der LM-5B gingen nach einem Start im Mai 2020 in der Elfenbeinküste nieder. Diese Inkaufnahme von Schäden ist leider kein Einzelfall für die chinesische Raumfahrt.
Im Normalfall würde ein solcher unkontrollierter Wiedereintritt keine besondere Gefahr darstellen, immerhin tritt ein Großteil aller in einen Orbit gelangten Satelliten und Oberstufen auf diese Art wieder in die Atmosphäre ein. Zumal man zur Vermeidung von Weltraumschrott heutzutage versucht, die Oberstufe nach einem Start in einer Umlaufbahn zu belassen (oder sogar gezielt in eine solche abzubremsen), die einen schnellen Wiedereintritt ermöglicht.
Die Kernstufe der Langer Marsch 5B ist jedoch mit einer Länge von 33 Metern, einem Durchmesser von 5 Metern und einer Leermasse von rund 20 Tonnen weitaus größer und schwerer als normale Oberstufen (wobei auch bei diesen vermehrt versucht wird, sie mittels gezielten Deorbit-Burns über unbewohnten Gebieten wiedereintreten zu lassen), weswegen auch entsprechend mehr Material auf der Erde ankommt. Üblicherweise wird in der Raumfahrt daher versucht, solch schwere Objekte gezielt abzubremsen und über wenig befahrenen Wasserflächen zum Wiedereintritt zu bringen.
Das letzte Objekt vergleichbarer Größe, das in die Erdatmosphäre eintrat war die Raumstation Mir im Jahr 2001. Um zu verhindern, dass ihre Trümmer Landmasse treffen und somit möglicherweise Schaden verursachen, wurde diese von einem angedockten Progress-Raumfrachter gezielt abgebremst, sodass die Überreste der Raumstation nun im Südpazifik ruhen.
Da die Langer Marsch 5B lediglich aus vier großen seitlichen Boostern und einer Kernstufe besteht, die die Nutzlast in eine Umlaufbahn bringt, gelangt letztere automatisch ebenfalls in einen Erdorbit. Bei anderen Raketen, wie zum Beispiel der Ariane 5, verbleibt die zentrale Stufe auf einer suborbitalen Bahn, während eine kleine Oberstufe den Einschuss der Nutzlast in den Orbit erledigt. Und so kam es schon nach dem Erststart der LM-5B im Mai 2020 zu einer ähnlichen Situation, die Kernstufe trat damals vor Afrika in die Erdatmosphäre ein, und einzelne Trümmerteile gingen über der Elfenbeinküste nieder. Im Anschluss verbreiteten sich in den sozialen Medien Bilder aus der Region, die ein weitgehend intaktes meterlanges Rohr zeigten, das an der Kernstufe der Langer Marsch befestigt gewesen war und in einer Siedlung landete.
Beim amerikanischen Space Shuttle stand man mit dem orangefarbenen Haupttank ebenfalls vor der Problematik, dass die Kraft der SSME genannten Haupttriebwerke diesen ebenfalls in eine Umlaufbahn hätten befördern können, was man allerdings dadurch vermied, dass dieser noch auf einer suborbitalen Bahn abgetrennt wurde, sodass sein Wiedereintrittspunkt im Voraus genau berechnet werden konnte. Den Einschuss der Raumfähre in die Umlaufbahn besorgten dann seitlich unterhalb des Leitwerks angebrachte OMS-Triebwerke (Orbital Maneuvering System).
Da bei der LM-5B auch in Zukunft keine zusätzliche Oberstufe zum Einsatz kommen soll, wird auch bei nachfolgenden Starts dieses Raketentyps, wie etwa der nächsten zwei Module der chinesischen Raumstation 2022, die Kernstufe gemeinsam mit der Nutzlast eine Umlaufbahn erreichen, gefolgt von einem Wiedereintritt in die Atmosphäre.
Abhilfe schaffen könnte eine Umkonstruktion der Stufe, mit der dafür gesorgt wird, dass sie sich beim Wiedereintritt in kleinere Fragmente zerlegt, die dann verglühen, sowie der Einsatz von weniger hitzebeständigen Materialien, wo dies möglich ist. Auch eine Ergänzung um ein System zum unmittelbaren Deorbiting nach Aussetzen der Nutzlast ist denkbar, was allerdings zur Reduzierung der Nutzlastkapazität der Rakete führen würde. Ob die Volksrepublik an derartigen Verbesserungen arbeitet, ist nicht bekannt.
Schäden durch herabfallende Raketenteile sind auch im Allgemeinen keine Seltenheit in der chinesischen Raumfahrt. Bedingt durch die Lage wichtiger Weltraumbahnhöfe im Inland landen Verkleidungen, Booster und Erststufen einiger Raketen auf der Landmasse entlang der Flugbahn der Rakete. In den betroffenen Gebieten kommt es dabei, bedingt durch zum Teil sehr große Zonen, in denen die Teile möglicherweise landen können, immer wieder auch zu Schäden an Gebäuden und Lebewesen.
Berichten aus China zufolge werden bei entsprechenden Starts Evakuierungsaufforderungen veröffentlicht. In welchem Maße diese die Menschen in den betroffenen Regionen erreichen, und ob Bereitschaft besteht, ihnen Folge zu leisten, ist nicht bekannt.
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