Kosmische Linsen liefern unabhängige Messung für die Ausdehnung des Universums

Neuer Wert der Hubble-Konstante bestätigt Diskrepanz in der Expansionsrate des Universums. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik.

Quelle: Max-Planck-Institut für Astrophysik.

Jede dieser Momentaufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops zeigt vier verzerrte Bilder eines Hintergrund-Quasars, die den zentralen Kern einer massereichen Galaxie im Vordergrund umgeben. Die Mehrfachbilder des Quasars werden durch die Schwerkraft der Vordergrundgalaxie erzeugt, die wie eine Linse wirkt, indem sie das Licht des Quasars aufgrund des sogenannten Gravitationslinseneffekts verzerrt. Quasare sind extrem weit entfernte, helle kosmische Objekte, die von aktiven schwarzen Löchern angetrieben werden. Die Lichtstrahlen von jedem der vier abgelenkten Quasarbilder nehmen einen leicht unterschiedlichen Weg durch das All, um die Erde zu erreichen. Die Astronomen machen sich das Flackern im Licht des Quasars zunutze, wenn sein Schwarzes Loch Materie verschlingt, was es ihnen erlaubt, die Zeitverzögerungen zwischen den einzelnen Quasarabbildungen zu messen. Diese Zeitverzögerungsmessungen helfen den Astronomen die Hubble-Konstante zu berechnen, ein Wert dafür, wie schnell das Universum wächst. (Bild: NASA, ESA, S.H. Suyu, and K.C. Wong)
Jede dieser Momentaufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops zeigt vier verzerrte Bilder eines Hintergrund-Quasars, die den zentralen Kern einer massereichen Galaxie im Vordergrund umgeben. Die Mehrfachbilder des Quasars werden durch die Schwerkraft der Vordergrundgalaxie erzeugt, die wie eine Linse wirkt, indem sie das Licht des Quasars aufgrund des sogenannten Gravitationslinseneffekts verzerrt. Quasare sind extrem weit entfernte, helle kosmische Objekte, die von aktiven schwarzen Löchern angetrieben werden. Die Lichtstrahlen von jedem der vier abgelenkten Quasarbilder nehmen einen leicht unterschiedlichen Weg durch das All, um die Erde zu erreichen. Die Astronomen machen sich das Flackern im Licht des Quasars zunutze, wenn sein Schwarzes Loch Materie verschlingt, was es ihnen erlaubt, die Zeitverzögerungen zwischen den einzelnen Quasarabbildungen zu messen. Diese Zeitverzögerungsmessungen helfen den Astronomen die Hubble-Konstante zu berechnen, ein Wert dafür, wie schnell das Universum wächst. (Bild: NASA, ESA, S.H. Suyu, and K.C. Wong)

Mitglieder des H0LiCOW-Teams unter der Leitung von Sherry Suyu am Max-Planck-Institut für Astrophysik und der Technischen Universität München nutzten eine Reihe von Teleskopen und eine von bisherigen Methoden völlig unabhängige Technik, um die Ausdehnungsrate des Universums zu messen, die sogenannte Hubble-Konstante. Das Ergebnis der Forscher bestätigt eine bislang nicht erklärbare Diskrepanz zwischen Messungen der Expansionsrate aufgrund von Beobachtungen des lokalen Universums einerseits und aus der Hintergrundstrahlung im frühen Universum andererseits. Die neue Studie macht es damit wahrscheinlich, dass neue Theorien notwendig sein könnten, um diese Diskrepanz zu erklären.

Die Kenntnis des genauen Wertes der Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums ist wichtig für die Bestimmung von Alter, Größe und Schicksal des Kosmos. Dieses Rätsel zu entschlüsseln, ist derzeit eine der größten Herausforderungen der Astrophysik. Der jetzt veröffentliche, neueste Wert für die Hubble-Konstante stellt die bisher präziseste Messung mit Hilfe des Gravitationslinseneffekts dar, bei dem eine Vordergrundgalaxie durch ihre Schwerkraft wie eine riesige Vergrößerungslinse wirkt und das Licht von Hintergrundobjekten verstärkt und verzerrt.

Das Team von Astronomen, das die neue Messung der Hubble-Konstante durchgeführt hat, nennt sich H0LiCOW (H0 Lenses in COSMOGRAIL’s Wellspring). COSMOGRAIL ist die Abkürzung für Cosmological Monitoring of Gravitational Lenses, ein großes internationales Projekt, dessen Ziel die regelmäßige Beobachtung von Gravitationslinsen ist. „Wellspring“ bezieht sich auf das reichliche Angebot an Quasar-Linsen-Systemen. Für seine jüngsten Messungen nutzte das Team neue Daten des Weltraumteleskops Hubble sowie des 2,2m-Teleskops der ESO/MPG und dem ESO VLT in Chile, Weitfeldaufnahmen des Dark Energy Survey und hochauflösende Aufnahmen mit der Adaptiven Optik des Keck-Observatoriums.

Die H0LiCOW Ergebnisse und andere neuere Messungen deuten auf eine schnellere Expansion im lokalen Universum hin, als aufgrund der Beobachtungen des ESA-Planck-Satelliten erwartet wurde, die unseren Kosmos vor mehr als 13 Milliarden Jahren zeigen. Die Kluft zwischen den beiden Werten hat wichtige Auswirkungen auf das Verständnis der physikalischen Parameter, die unserem Universum zugrunde liegen. Neue physikalische Erkenntnisse sind möglicherweise erforderlich, um die Diskrepanz zu erklären.

„Wenn diese Ergebnisse nicht übereinstimmen, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass wir noch nicht vollständig verstehen, wie sich Materie und Energie im Laufe der Zeit entwickelt haben, besonders in frühen Zeiten“, sagt H0LiCOW-Teamleiterin Sherry Suyu vom Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in Deutschland, der Technischen Universität München und dem Academia Sinica Institute of Astronomy and Astrophysics in Taipeh, Taiwan.

Die Forscher errechneten einen Wert für die Hubble-Konstante von 73 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec (mit 2,4% Unsicherheit). Die Messung des Teams liegt nahe an dem Wert von 74, den das SH0ES-Team (Supernova H0 for the Equation of State) berechnet hat. Das SH0ES-Ergebnis basiert auf der Messung der Entfernungen zu erdnahen und erdfernen Galaxien, wobei zuerst variable Sterne, die Cepheiden, und bei größeren Distanzen Supernovae als Messlatten zu den Galaxien verwendet werden. Die neue H0LiCOW-Studie kommt nun unabhängig von dieser traditionellen „Kosmischen Entfernungsleiter“-Technik zum nahezu gleichen Ergebnis. Die SH0ES- und H0LiCOW-Werte unterscheiden sich beide deutlich vom Ergebnis des Planck-Teams von 67, was die Spannung zwischen den Messungen der Hubble-Konstanten im heutigen Universum und dem auf Beobachtungen des frühen Universums basierenden Vorhersagewert verstärkt.

„Während unsere ersten Ergebnisse bereits auf solch einen hohen Wert der Hubble-Konstante hindeuteten, können wir nun sicher sein, dass es tatsächlich einen systematischen Unterschied zwischen den Werten in der Früh- und Spätphase des Universums gibt“, erklärt Suyu. Stefan Taubenberger, ein Mitglied des H0LiCOW-Teams am MPA ergänzt: „Unser H0LiCOW-Wert ist signifikant höher als der Planck-Wert (wissenschaftlich gesprochen: mit einer Signifikanz von mehr als 3 Sigma) und in Kombination mit der SH0ES-Messung wird die Signifikanz noch größer“.

Seit 2012 sammelt das H0LiCOW-Team Daten und verfügt inzwischen über Hubble-Aufnahmen und Zeitverzögerungsmessungen für 10 Quasare, deren Licht durch vorgelagerte Linsengalaxien gebrochen und mehrfach abgebildet wird. Das Team wird in Zusammenarbeit mit weiteren Forschern auch in Zukunft nach neuen Gravitationslinsen-Quasaren suchen und diese systematisch beobachten. Das Ziel des Teams ist es, 30 weitere Linsensysteme zu beobachten, um die Unsicherheit in der Messung der Hubble-Konstante auf 1% zu reduzieren.

Originalveröffentlichung:

K. C. Wong, S. H. Suyu, G. C.-F. Chen, et al.

H0LiCOW XIII. A 2.4% measurement of H0 from lensed quasars: 5.3σ tension between early and late-Universe probes

accepted for publication by MNRAS

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