Kosmische Kollision erzeugt Neutrino

Beleg für die Verbindung zwischen einem IceCube-Neutrinoereignis und einer weit entfernten Radiogalaxie. Eine Information des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie, Bonn.

Quelle: Max-Planck-Institut für Radioastronomie.

IceCube Collaboration, MOJAVE, S. Britzen, & M. Zajaček
TXS 0506+056. Das Neutrino-Ereignis IceCube 170922A ist sehr wahrscheinlich im Wechselwirkungsbereich zweier Jetrichtungen in dieser fernen Galaxie entstanden.
(Bild: IceCube Collaboration, MOJAVE, S. Britzen, & M. Zajaček)

Das Neutrino-Ereignis IceCube 170922A, entdeckt mit dem IceCube-Neutrinoobservatorium am Südpol, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der aktiven Galaxie TXS 0506+056 in Verbindung gebracht werden, die in einer Entfernung von 3,8 Milliarden Lichtjahren liegt. TXS 0506+056 ist nur eine von zahlreichen aktiven Galaxien und es war zunächst rätselhaft, warum bis jetzt nur diese Galaxie ein von der Erde aus nachweisbares Neutrino erzeugt hat.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Silke Britzen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat hochaufgelöste Radiobeobachtungen von TXS 0506+56 aus den Jahren 2009 bis 2018, also bevor und nach dem Neutrino-Ereignis, untersucht. Das Team erklärt die verstärkte Neutrinoaktivität während eines früheren Neutrinoausbruchs und das mit IceCube nachgewiesene Neutrino durch einen kosmischen Zusammenstoß innerhalb der Galaxie. Das Aufeinandertreffen von Materie im Wechselwirkungsbereich des Jets in der Umgebung eines supermassereichen Schwarzen Lochs könnte zur Erzeugung der Neutrinos geführt haben.

Die Ergebnisse wurden am 2. Oktober 2019 in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht.

Am 12. Juli 2018 hat die IceCube-Kollaboration die Entdeckung des ersten hochenergetischen Neutrinos, IceCube-170922A, bekanntgegeben, das auf einen Ursprung in großer kosmischer Entfernung zurückgeführt werden konnte. Während der Ursprung in größerer Entfernung im Kosmos für Neutrinos schon lange Zeit vermutet wurde, ist dies das erste Mal, das die Herkunft eines Neutrinos aus einer fernen Galaxie bestätigt werden konnte. Die „Heimat“ des Neutrinos ist ein sogenannter aktiver galaktischer Kern („Active Galactic Nucleus“, AGN), eine Galaxie mit einem supermassereichen Schwarzen Loch als Zentralquelle. Ein internationales Forscherteam konnte nun den Entstehungsprozess für dieses Neutrino aufklären und fand den entsprechenden Vorgang zu einem Teilchenbeschleuniger auf der Erde: ein kosmischer Zusammenstoß von Materie aus Teilchenstrahlen oder Jets.

Aktive galaktische Kerne sind die energiereichsten Objekte in unserem Universum. Angetrieben durch supermassereiche Schwarze Löcher wird Materie auf die Zentralquelle akkretiert und Teilchenstrahlen bzw. Plasmaströme (sogenannte Jets) werden in den intergalaktischen Raum hinausgeschleudert. BL-Lac-Objekte (benannt nach dem Prototyp BL Lacertae im Sternbild Eidechse) bilden eine spezielle Klasse solcher AGN, bei denen der Jet zufällig in Richtung Erde ausgerichtet ist und die beobachtete Strahlung dominiert. Das Neutrino-Ereignis IceCube-170922A hat allem Anschein nach seinen Ursprung in dem BL-Lac-Objekt TXS 0506+056, einer Galaxie mit einer Rotverschiebung von z=0,34. Das entspricht einer Lichtlaufzeitentfernung von 3,8 Milliarden Lichtjahren. Untersuchungen der IceCube Collaboration von Archivdaten hatten zuvor Hinweise auf erhöhte Neutrino-Aktivität aus derselben Galaxie für die Zeit zwischen September 2014 und März 2015 ergeben.

Andere BL-Lac-Objekte zeigen Eigenschaften ganz ähnlich zu denen von TXS 0506+056. „Es war schon etwas rätselhaft, warum gerade diese Galaxie als Quelle für ein Neutrino-Ereignis identifiziert werden konnte“, erklärt Silke Britzen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), die Erstautorin der Veröffentlichung. „Wir wollten herausfinden, was TXS 0506+056 so speziell macht, um den Entstehungsprozess für Neutrinos zu verstehen und den Ort der Entstehung genauer zu lokalisieren. Dazu haben wir hochaufgelöste Radiobilder des Jets in dieser Quelle untersucht.“

Zu ihrer großen Überraschung fanden die Forscher eine nicht erwartete Wechselwirkung im Jet-Material von TXS 0506+056. Während das Plasma im Jet normalerweise gleichförmig in einer Art Strömungskanal fließt, scheint die Situation in dieser Galaxie anders zu sein. Das Team geht davon aus, dass sowohl die verstärkte Neutrinoaktivität während eines Neutrinoausbruchs in den Jahren 2014 und 2015 sowie das Einzelneutrino IceCube-170922A durch einen kosmischen Zusammenstoß innerhalb der Galaxie TXS 0506+056 erklärt werden können.

Diese kosmische Kollision kann zurückgeführt werden auf neu erzeugtes Jetmaterial, das auf einen älteren Jet auftrifft. Die stark gekrümmte Struktur des Jets in den Beobachtungen ist ein Beleg für eine solche Annahme. Eine weitere mögliche Erklärung ist die Kollision zweier Jets in der gleichen Quelle. In beiden Szenarien ist es die Kollision von Jetmaterial, die das Neutrino erzeugt.

Markus Böttcher von der North-West-Universität in Potchefstroom (Südafrika), ist Ko-autor der Veröffentlichung und hat die Modellrechnungen bzgl. Strahlung und Teilchenemission durchgeführt. „Die Kollision von Jetmaterial ist im Moment der einzige verfügbare Mechanismus, der die Entdeckung eines Neutrinos aus dieser Quelle erklären kann. Sie gibt uns auch wichtige Einsichten bzgl. des Jetmaterials und löst die lange bestehende Frage, ob die Jets eher aus leptonischem Material, also Elektronen und Positronen, oder aus hadronischem Material, also Elektronen und Protonen, oder aus einer Kombination von beidem bestehen. Zumindest ein Teil des Materials muss hadronisch sein, sonst hätten wir das Neutrino nicht entdeckt.“

Im Lauf der kosmischen Evolution unseres Universums scheinen Kollisionen von Galaxien recht häufig aufzutreten. Unter der Annahme, dass zwei miteinander kollidierende Galaxien beide ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum aufweisen, erzeugt die Kollision dieser Galaxien ein Paar von Schwarzen Löchern im Zentrum, das sich in immer geringer werdendem Abstand umkreist und schließlich miteinander fusioniert. Bei dieser Verschmelzung werden Gravitationswellen ausgesandt. Dieser Vorgang ist bei supermassereichen Schwarzen Löchern äquivalent zur Fusion wesentlich masseärmerer stellarer Schwarzer Löcher, deren Gravitationswellen mit den LIGO/VIRGO-Detektoren nachgewiesen werden konnten.

Aktive galaktische Kerne mit binären Schwarzen Löchern in einem geringen Abstand von nur wenigen Lichtjahren werden bereits seit langer Zeit gesucht. Sie dürften jedoch sehr selten und auch schwer zu identifizieren sein. Zusätzlich zum Nachweis der Kollision von Jetmaterie haben die Forscher auch Anzeichen für eine Präzession des zentralen Jets in TXS 0506+056 gefunden.

Dazu Michal Zajaček vom Zentrum für Theoretische Physik in Warschau, ein weiterer Ko-autor der Veröffentlichung: „Diese Präzession kann entweder durch ein binäres supermassereiches Schwarzes Loch erklärt werden oder aber durch den Lense-Thirring-Präzessionseffekt, wie von Einstein in der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Letzterer könnte wiederum durch ein zweites supermassereiches Schwarzes Loch in etwas größerem Abstand im Zentrum der Galaxie ausgelöst worden sein. Beide Szenarien führen zu einer Änderung in der Ausrichtung des Jets, wie wir sie auch beobachten.“

Christian Fendt vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie ist erstaunt: „Je näher wir an den Ursprung der Jets herankommen, desto komplizierter werden innere Struktur und Dynamik dieser Jets. Die binären Schwarzen Löcher erzeugen eine komplexe Struktur in dem ausgeworfenen Material, welches von den kosmologischen Modellen der Galaxienentstehung bei der Verschmelzung von Galaxien erwartet wird.“

Silke Britzen betont das wissenschaftliche Potential des Forschungsergebnisses: „Es ist phantastisch, dass wir die Erzeugung von Neutrinos durch detaillierte Analyse von Jets in Galaxien untersuchen können. Und es wäre wirklich ein Durchbruch, wenn mit unserer Veröffentlichung ein weiterer Kandidat für ein binäres Schwarzes Loch mit zwei Jets bestätigt werden könnte.“

Es scheint zum ersten Mal gelungen zu sein, die Kollision zweier Jets im Zentrum einer Galaxie auf Skalen von nur wenigen Lichtjahren zu bestätigen und die Entdeckung eines kosmischen Neutrinos auf eine Jetkollision zurückführen zu können.

Während TXS 0506+056 vielleicht nicht repräsentativ für die Klasse von BL-Lac-Objekten ist, könnte diese Quelle aber doch maßgeblich sein für die wiederholte Wechselwirkung des Materials zweier Jets und die dadurch hervorgerufene Erzeugung von Neutrinos.

Hintergrundinformation:
Das IceCube Neutrino-Observatorium wurde zur Erforschung des Kosmos tief im Eis der Antarktis errichtet. Mit Detektoren eines Volumens von einem Kubikkilometer Eis sucht IceCube nach nahezu masselosen Elementarteilchen, die als Neutrinos bezeichnet werden. Diese hochenergetischen Botschafter aus den Tiefen des Universums enthalten Informationen über einige der heftigsten astrophysikalischen Phänomene im Universum wie explodierende Sterne, Gammastrahlungsausbrüche, Schwarze Löcher und Neutronensterne.

MOJAVE (Monitoring Of Jets in Active galactic nuclei with VLBA Experiments) ist ein Langzeitprogramm zur systematischen Erfassung von Äderungen in der Gesamthelligkeit und Polarisation von Jets in Verbindung mit aktiven galaktischen Kernen (AGN) am Nordhimmel. Das Very Long Baseline Array (VLBA) umfasst ein Netzwerk von zehn Radioteleskopen, die von Socorro/New Mexico aus gesteuert werden und in einem interferometrischen Modus (Very Long Baseline Interferometrie, VLBI) miteinander verbunden sind.

BL-Lac-Objekte stellen eine besondere Unterklasse von aktiven galaktischen Kernen (AGN) dar. Als AGN wird ein kompakter Bereich im Zentrum bestimmter Galaxien bezeichnet, der eine wesentlich erhöhte Leuchtkraft in einem maßgeblichen Teil des elektromagnetischen Spektrums aufweist. Diese Leuchtkraft ist nichtthermischen Ursprungs und wird durch die Akkretion von Materie in der unmittelbaren Umgebung des zentralen supermassereichen Schwarzen Lochs erzeugt. Der Jet eines BL-Lac-Objekts ist geometrisch direkt auf den Beobachter gerichtet und zeigt demzufolge ein einzigartiges Radioemissionsspektrum.

Die Autoren der Originalveröffentlichung in “Astronomy & Astrophysics” sind Silke Britzen, Christian Fendt, Markus Böttcher, Michal Zajaček, Frederic Jaron, Ilya Pashchenko, Anabella Araudo, Vladimir Karas, und Omar Kurtanidze. Silke Britzen, die Erstautorin, und ebenso Michal Zajaček und Frederic Jaron haben eine MPIfR-Affiliation.

Neben dem MPIfR umfassen die Affiliationen der Ko-autoren das Max-Planck-Institut für Astronomie (Heidelberg), das Centre for Space Research (North-West University, Potchefstroom, Südafrika), das I. Physikalisches Institut der Universität Köln, das Zentrum für Theoretische Physik der polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, das Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität Bonn, das Astro Space Center des Physikalischen Instituts Lebedev in Russland, das Astronomische Institut und das Institut für Physik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag sowie das Abastumani-Observatorium in Georgien.

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