Konzept: Mit Luftschiffen über die Venus

Bei Missionen zur Planetenforschung steht oft der Mars im Vordergrund. Er ist der bislang am häufigsten mit Rovern und Orbitalsonden erforschte Planet. Der Mars ist für Forscher deshalb so interessant, weil man annimmt, dass auf ihm vor Milliarden von Jahren deutlich erdähnlichere und somit lebensfreundlichere Bedingungen herrschten. Doch er ist nicht der einzige interessante Ort im inneren Sonnensystem.

Ein Beitrag von Roman van Genabith. Quelle: NASA.

Die Venus, die auch der „Dunkle Zwilling“ genannt wird, was auf eine destruktive Entwicklung einer früher vermeintlich erdähnlicheren Welt anspielt, wäre ebenfalls ein interessantes Ziel für nähere Erkundungen. Ein Konzept für bemannte Missionen zur Venus wird derzeit von NASA-Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit dem Langley Research Center entwickelt.
Bemannte Flüge zum Mars werden bereits seit Längerem wiederholt diskutiert. Sie wären eine logische Fortsetzung der intensiven Erforschung des roten Planeten mit zahlreichen Sonden und Rovern. Ein Flug zum Mars gilt neben der Rückkehr zum Mond als wahrscheinlichstes und zugleich größtes Vorhaben für die Bemannte Raumfahrt in den nächsten Jahrzehnten.

Doch eine praktische Umsetzung liegt noch in weiter Ferne. Unter Anderem die Problematik der erhöhten Belastung durch solare und kosmische Strahlung über einen längeren Zeitraum bei interplanetaren Flügen stellt eine Herausforderung für Missionen in den tiefen Raum dar. Doch der Mars ist nicht das einzige denkbare Ziel für bemannte Missionen im inneren Sonnensystem.

NASA-Wissenschaftler haben ein Konzept für die bemannte Erforschung der Venus erarbeitet, wie das US-Magazin IEEE Spectrum berichtete.

NASA
Luftschiffe in der Atmosphäre der Venus
(Bild: NASA)

Hierfür ist ein kreativer Ansatz erforderlich, denn die Oberfläche der Venus ist mithin absolut lebens- sowie technikfeindlich. Dort herrschen Temperaturen von rund 500 Grad bei einem mittleren Druck von 92 Bar, das entspricht einem Druck in etwa 900 Metern Wassertiefe auf der Erde. Ein Betreten der Planetenoberfläche ist somit auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Stattdessen erforschten Dale Arney und Chris Jones vom NASA System Analysis and Concepts Directorate am Langley Research Center in Virginia, die NASA den Einsatz bemannter atmosphärischer Luftschiffe.

Sie würden in einer Höhe von rund 50 Kilometern über der Oberfläche fliegen, wo die Umweltbedingungen mit etwa 75 Grad bei einem Außendruck von einem Bar erträglicher sind. Ein Vorteil der größeren Sonnennähe der Venus ist die intensivere Sonneneinstrahlung, die dem solarbetriebenen, mit Helium gefüllten Luftschiff zugute kommt. Sie ist ungefähr 40% höher als auf der Erde und 240% höher als auf dem Mars. Zudem sind die Astronauten in der angepeilten Flughöhe innerhalb der Venusatmosphäre einem unbedenklichen Niveau kosmischer Strahlung ausgesetzt, das in etwa der Umgebungsstrahlung in Kanada entspricht. Ungeschützte Astronauten auf dem Mars würden einer Strahlenbelastung von 0.67 Millisievert am Tag ausgesetzt sein, was ungefähr die 40fache Dosis der Umgebungsstrahlung auf der Erde ist.

30 Tage mit Havoc
Ein weiterer Vorteil einer bemannten Mission zur Venus ist die geringere Entfernung zur Erde. Die Distanz der größten Annäherung liegt mit 38,9 Millionen Kilometern deutlich unter der geringsten Distanz zum Mars, die 55,4 Millionen Kilometer beträgt. Die Venusastronauten wären somit 110 Tage zur Venus unterwegs. Dort angekommen lägen dann 30 Tage an Bord des Luftschiffs vor ihnen. High Altitude Venus Operational Concept nennen die Forscher ihren Entwurf, der zunächst an einem robotisch gesteuerten Luftschiff getestet werden soll. Nach Beendigung des 30-tägigen Atmosphärenflugs beginnt der Rückflug, der mit rund 300 Tagen deutlich länger als die Anreise dauert.

Insgesamt wären die Astronauten rund 440 Tage im tiefen Raum. Das ist zwar eine lange Zeit, jedoch deutlich kürzer als eine mögliche bemannte Mission zum Mars, wie die Forscher hervorheben. Diese wäre nicht unter 500 Tagen darstellbar, realistischerweise müsse man jedoch mit einer Missionsdauer von 650 bis zu 900 Tagen rechnen. Im Falle eines gravierenden Störfalls nach der Ankunft müssten die Astronauten auf dem Mars ausharren, bis sich das nächste Rückkehrfenster einer ausreichenden Annäherung der Planeten öffnet.

Bei einer Mission zur Venus bestünde hingegen die einmalige Möglichkeit eines Missionsabbruchs und unverzüglichen Heimflugs direkt nach dem Eintreffen auf der Venus. Dies könnte zum Beispiel bei Problemen mit dem Luftschiff akut werden, ein Szenario, das mit Blick auf das hypothetische Missionsprofil nicht gänzlich unwahrscheinlich anmutet.

Nah des Äquators, wo die Atmosphäre relativ stabil ist, zirkulieren Windströmungen mit rund 100 m/s, die den Planeten in rund 110 Stunden vollständig umrunden. Die Eigenrotation ist mit einem Venustag von über einem Venusjahr Länge vernachlässigbar gering, mit eines der Rätsel in der Erforschung unseres sonnennäheren Nachbarn.

Für die Luftschiffbesatzung ist die Länge des Venustages weniger bedeutsam. Relevanter ist der Verlauf der äquatorialen Windströmungen. Der zirkulare 100 m/s-Strom verläuft von Süd nach Nord. Das Luftschiff wird also nach Süden steuern, so lange reichlich Solarenergie zur Verfügung steht und nach Norden schwenken, wenn die Einstrahlung zurückgeht und die Besatzung Energie sparen muss.

Während ihres Aufenthalts im Luftschiff wird es naturgemäß keine Außenaktivitäten geben. Die Besatzung wird sich in einem Habitat mit einem Volumen von 21 Kubikmetern aufhalten, das auf dem Space Exploration Vehicle basiert.

Das Luftschiff hat eine Nutzlastkapazität von erstaunlichen 70 Tonnen, davon verfallen allerdings 60 Tonnen auf die Aufstiegsstufe, ein mit einem zweistufigen Raketentriebwerk bestücktes Rückkehrfahrzeug, das unter dem Luftschiff vertäut ist. Es basiert auf der bereits existierenden, jedoch deutlich kleineren Pegasus-Rakete, die Satelliten unter Nutzung eines Trägerflugzeugs in den Orbit transportiert.

Viele Umstiege
Der Verlauf einer Mission, wie die NASA-Forscher sie skizziert haben, verliefe alles andere als trivial und beinhaltet zahlreiche Umstiege im planetennahen Raum. Zunächst starten die Astronauten mit einer Orion-Kapsel. Diese bringt sie in den Orbit, wo das zuvor unbemannt gestartete interplanetare Raumschiff wartet, das sie zur Venus bringt.

Im Venusorbit wartet bereits ein zweites Raumschiff, dass das Luftschiff transportiert hat. Die Astronauten wechseln in das andere Schiff und beginnen den Abstieg, während das interplanetare Schiff im Orbit verbleibt.

Die Eintrittssequenz ist anspruchsvoll. „Da auf der Oberfläche keine Landung möglich ist, wird dieser Teil der Mission extrem. In der Regel, wenn wir zum Beispiel von Missionen zum Mars sprechen, sprechen wir von EDL (Entry, descent and Landing“, verdeutlichen die Forscher. „In unserem Fall ist eine Landung ganz eindeutig gleichbedeutend mit einem dramatischen Fehlschlag. Wir sprechen also von EDI (Entry, Descent and inflation).“

Während des Abstiegs ist das Luftschiff mit nicht entfaltetem Auftriebskörper umgeben von einer Aeroshell und beginnt die Eintrittssequenz mit einer Geschwindigkeit von 7200 Metern/Sekunde. Während der nächsten sieben Minuten soll eine Planmäßige Verzögerung auf rund 450 m/s erfolgen, sowie ein Fallschirm zur weiteren Abbremsung entfaltet werden. Noch etwas später wird die Aeroshell abgeworfen und das Luftschiff setzt seinen Abstieg dann mit rund 100 m/s zunächst fort, während es sich auffaltet und das Traggas den Auftriebskörper aufbläht.

Schließlich vergrößert sich das Volumen und die daraus resultierende Tragkraft signifikant, sodass der redundante Fallschirm nicht mehr benötigt und abgeworfen wird. Bei einer Höhe von 50 Kilometern über Grund wird der Abstieg beendet.

Nach der 30-tägigen Venuserkundung besteigen die Astronauten eine kleine Rückkehrkapsel an der Spitze der Aufstiegsstufe, das Luftschiff wird separiert und die Astronauten kehren zum interplanetaren Raumschiff zurück. Mit diesem treten sie den rund 300 Tage dauernden Heimflug an. Im Erdorbit angekommen erfolgt ein letzter Umstieg in eine wartende Orionkapsel, mit der die Venusfahrer schließlich auf der Erde landen.

Ambitioniertes Vorhaben
Das HAVOC-Team hält sein Konzept für eine realistische Möglichkeit unseren heißen Nachbarn mit einer bemannten Mission zu erforschen, doch tatsächlich erfordert die Umsetzung teils Technologien, die nicht kurzfristig verfügbar sind. So ist es etwa auf die Block IIB, die große Konfiguration der neuen NASA-Schwerlastrakete SLS angewiesen, um die verschiedenen Missionskomponenten zu starten. Diese wird allerdings wahrscheinlich nicht vor Ende der 2020er fliegen.

Zudem birgt das Missionsprofil mit seinen zahlreichen Umstiegen von Raumschiff zu Raumschiff viel Raum für Komplikationen. Speziell das Kernstück der Mission, der Einsatz des Luftschiffs, ist beginnend mit dem kritischen Teil des Atmosphäreneintritts bis zum abschließenden Wiederaufstieg ein gewagtes Manöver ohne Präzedenzfall. Generell wurde das Konzept einer Landefähre und eines zurückbleibenden Mutterschiffs so seit den Apollomissionen nicht mehr geflogen.

Mission mit Potenzial
Ungeachtet der zahlreichen Herausforderungen halten die NASA-Forscher am wissenschaftlichen und raumfahrttechnischen Nutzen der Mission fest. Die Venus wurde seit Dekaden weitgehend ignoriert, mit Ausnahme der Venus Express-Mission der ESA, die unlängst nach acht ertragreichen Jahren zu Ende ging, Raumfahrer.net berichtete. Dabei ist sie in vielerlei Hinsicht ähnlich interessant wie der Mars. Auch auf der Venus dürften vor rund einer Milliarde Jahren deutlich andere Umweltbedingungen geherrscht haben. Ähnlich wie der Mars hat die Venus womöglich Wasser und eine wesentlich anders geartete, komplexere Atmosphäre besessen.

Die Gründe für die dramatischen Klimaveränderungen und den eingetretenen extremen Treibhauseffekt, aus dem die heißen Oberflächentemperaturen resultieren, sind noch nicht hinreichend verstanden. Eine Erforschung könnte durchaus wertvolle Erkenntnisse in Hinsicht auf die Klimaentwicklung auf der Erde liefern.

Zuletzt beschließen die Forscher ihre Konzeption mit einer wahrhaft visionären Idee interplanetarer Expansion. Die Venusatmosphäre sei in verschiedener Hinsicht ein recht annehmbarer Aufenthaltsort, womöglich sogar geeigneter für längere Aufenthalte als die Oberfläche des Mars. Die Forscher träumen von atmosphärischen Langzeithabitaten. Diese „Cloud Cities“ wären ein weiterer Schritt der Menschheit auf dem Weg ins Weltall.

Nach oben scrollen