Lässt sich der Urin von Astronauten besser nutzen, wenn sie auf längerer Mission im Weltall unterwegs sind? Forscher entwickeln ein spezielles Kompostierverfahren, das Stoffkreisläufe schließt, mit seinen Düngemitteln Tomaten ernährt und nebenbei auch ganz irdische Probleme lösen kann. Ein Bericht von Kai Dürfeld für die Helmholtz-Gemeinschaft, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Quelle: Kai Dürfeld.
Von außen betrachtet, sieht der Satellit Eu:CROPIS unspektakulär aus: eine Tonne, 100 Zentimeter im Durchmesser und 110 Zentimeter hoch, dazu vier Solarpaneele. Interessant wird es unter seiner silbrig glänzenden Haut: Dort finden in zwei Mini-Gewächshäusern Experimente statt, die für künftige Weltraummissionen eine entscheidende Bedeutung bekommen könnten. Seit Mitte Dezember 2018 kreist der Satellit inzwischen um die Erde, beobachtet von Wissenschaftlern aus mehreren deutschen Forschungsinstituten.
„Darüber, dass wir für lange Missionen im All unsere Nahrungsmittel vor Ort erzeugen müssen, sind sich die Kollegen einig“, sagt Jens Hauslage vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Wie die organischen Abfälle dann aber recycelt werden sollen, darüber hat sich kaum jemand Gedanken gemacht.“ Hauslage ist wissenschaftlicher Leiter der Eu:CROPIS-Mission – und will mit seinen Kollegen herausfinden, ob im Weltraum ein ähnlicher Kreislauf funktioniert wie auf der Erde. Dort wird totes Material zersetzt und umgewandelt und steht dann der nächsten Pflanzengeneration als natürlicher Dünger wieder zur Verfügung. „Dafür brauchen wir die Funktionalität des Bodens“, erklärt Hauslage, „aber das geht im Weltraum nicht so einfach. Wir können auf der ISS keinen Komposthaufen betreiben.“
„Die Tomaten sind für uns nichts weiter als ein Biosensor. Wir haben uns für sie entschieden, weil sie mit ihrer roten Farbe für die 16 Kameras sehr gut zu sehen sind.“
Eine mögliche Lösung ist der Filter, den die Forscher „C.R.O.P“ genannt haben und der dem Satelliten auch seinen Namen gegeben hat: „Combined Regenerative Organic Food Production“ heißt er ausgeschrieben, und Fachmann Hauslage bezeichnet ihn als „Rieselfilter“. Er imitiert den Boden auf der Erde und stellt die recycelten Nährstoffe – quasi den Kompost – in flüssiger Form bereit. So sollen dann in einem zweiten Schritt im Weltraum Tomaten wachsen. „In manchen Berichten hieß es, wir würden Tomaten im Weltall züchten“, sagt Jens Hauslage. „Dabei sind die Tomaten für uns nichts weiter als ein Biosensor. Wir haben uns deshalb für sie entschieden, weil sie mit ihrer roten Farbe für die 16 Kameras sehr gut zu sehen sind.“ Im Mittelpunkt seines Interesses steht der künstliche Urin, der im Filter verarbeitet wird – und generell die Frage, wie biologische Systeme unter veränderten Schwerkraftbedingungen zurechtkommen.
Antworten darauf sucht auch Michael Lebert. Er lehrt Zellbiologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und verantwortet mit seinem Team die zweite wichtige Aufgabe an der Eu:CROPIS-Satellitenmission: Mit an Bord sind winzige Organismen, denen beim Wachstum der Tomaten eine besondere Rolle zukommt. Wenn die Tomaten keimen, übernehmen Einzeller die Versorgung mit Sauerstoff – sie betreiben Photosynthese. Außerdem entgiften sie bei Bedarf das System, denn hin und wieder kann es passieren, dass sich im C.R.O.P.-Filter zu viele Ammoniumionen anhäufen. Für die Pflanzen wäre das nicht besonders gesund. Die eingesetzten Einzeller hingegen fressen Ammonium sehr gern.
„Euglena gracilis“ heißen die Winzlinge, die Michael Lebert für die Experimente verwendet – besser bekannt als Augentierchen. „Wir finden bei Euglena zu einer Hälfte pflanzliche und zur anderen Hälfte tierische Gene“, erklärt Lebert. „Dieser Organismus betreibt zwar Photosynthese, ist aber keine Alge. Andererseits kann er sich wie eine tierische Zelle auf einer Oberfläche bewegen.“ Bereits seit er in Marburg botanische Physiologie studiert hat, ist Lebert von den kleinen Organismen fasziniert. Ganz besonders beschäftigt ihn dabei die Frage, wie sie sich unter veränderten Schwerkraftbedingungen verhalten. Denn während sich Faktoren wie die Zusammensetzung der Atmosphäre, die Intensität des Sonnenlichts oder die Beschaffenheit des Bodens über die Epochen der Erdgeschichte hinweg geändert haben, ist die Gravitation der einzig konstante Reiz, der das Leben seit Jahrmilliarden beeinflusst. Wie seine Augentierchen auf den Wegfall dieses Reizes reagieren, haben Lebert und sein Team schon auf Parabelflügen und mit Experimenten auf der ISS untersucht. Nun folgen die Schwerkraftbedingungen von Mond und Mars, den wahrscheinlichsten Zielen bemannter Raumfahrt in den kommenden Jahren. Der Satellit Eu:CROPIS ist der erste Satellit, in dem künstliche Schwerkraft erzeugt wird. Dazu dreht er sich um seine eigene Achse. Während im Zentrum des Satelliten weiterhin Schwerelosigkeit herrscht, nimmt die Schwerkraft in Richtung Außenwand zu.
Zuerst sollen für sechs Monate die Bedingungen auf dem Mond simuliert werden, danach weitere sechs Monate die auf dem Mars. Um zu ergründen, wie ihre Schützlinge darauf reagieren, hat sich die Erlanger Arbeitsgruppe einiges ausgedacht. „Wir beobachten die Oberfläche des Euglena-Tanks mit einem Linienscanner“, erzählt Lebert. Dazu wird die Zellsuspension von der Seite angeleuchtet. Dann werden die Pumpen ausgeschaltet. Diese wälzen den Inhalt des Tanks normalerweise um. Denn Euglenen neigen dazu, sich festzusetzen und darunter würde die Entgiftungsarbeit leiden. Ohne diese sanfte, aber stete Strömung verteilen sich die Augentierchen an den Stellen, wo ihnen die Schwerkraft zusagt. Diese Ansammlungen streuen und absorbieren das Licht anders. Der Linienscanner nimmt diese Signale auf und die Wissenschaftler können erkennen, welche Schwerkraftwerte die Einzeller mögen und welche sie nicht mehr wahrnehmen können.
„Ich persönlich finde aber die genetischen Untersuchungen am spannendsten“, sagt Michael Lebert. „Dazu haben wir eine Analyseeinrichtung entwickelt, mit der wir Veränderungen an bis zu 500 Genen der Augentierchen beobachten können. Uns interessiert ja, was die Organismen gerade herstellen.“ Dazu haben sie ein aufwendiges Verfahren entwickelt, mit dem es erstmals gelingt, solche Untersuchungen im Weltall vorzunehmen. Ganz anders lief die Konstruktion des C.R.O.P.-Filters. Sein Herzstück ist Lavagestein, in dem verschiedenste Mikroorganismen leben, die den künstlichen Urin aufspalten sollen. „Beim typischen ingenieurtechnischen Ansatz würde man einzelne Organismen gezielt auswählen und unter sterilen Bedingungen einsetzen“, erklärt DLR-Forscher Jens Hauslage. „Von denen wird dann erwartet, dass sie miteinander kooperieren und ein biologisches System ermöglichen.“
„Mit C.R.O.P. eliminieren wir einen Problemstoff und gewinnen auf biologischem Wege ein hochwertiges Düngemittel“
Dass dieser Ansatz gelingt, sei allerdings unwahrscheinlich. Aus eigener Erfahrung weiß der Gravitationsbiologe: „Entweder haben wir ein funktionierendes System, das wir aber nicht 100-prozentig verstehen. Oder wir haben eines mit wohldefinierten Organismen, das dann aber meist nicht funktioniert“, erklärt Hauslage.
Deshalb hatte es für ihn oberste Priorität, einen geeigneten Lebensraum anzubieten – welche Mikroorganismen genau sich darin ansiedeln, hat er ihnen selbst überlassen. „Die erste Community haben wir mit einem Löffel Gartenerde eingeimpft. Die Organismen, die sich in diesem Habitat wohlfühlen, haben sich vermehrt und letztlich auch durchgesetzt.“
Ihren Spezialfilter können die Wissenschaftler inzwischen auch auf der Erde einsetzen. „Irgendwann meinte ein Kollege: ‚Warum schütten wir denn nicht mal Gülle auf den Filter?'“, erinnert sich Jens Hauslage. Das häufige Problem der Überdüngung von Feldern und der Emission von Ammoniak könnte sich mit dem C.R.O.P.-Filter lösen lassen: In mehreren Testserien konnte er 100-prozentigen Urin und 100-prozentige Gülle zu einem nitratreichen und gut lagerfähigen Salz verstoffwechseln. „Ich spreche gern von einer Veredlung der Gülle“, sagt der DLR-Forscher. „Denn mit C.R.O.P. eliminieren wir einen Problemstoff und gewinnen auf biologischem Wege ein wirklich hochwertiges Düngemittel.“Auch Medikamentenrückstände können die Mikroorganismen aus dem Filter wirkungsvoll abbauen.
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