Kommerzieller Frachttransport – Die zweite Runde

Um die internationale Raumstation ISS weiterhin mit Fracht zu versorgen, setzt die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA erneut auf kommerzielle Anbieter. Zahlreiche private Raumfahrtunternehmen haben bereits Vorschläge für diese zweite Runde des kommerziellen Frachttransportes eingereicht.

Ein Beitrag von Martin Knipfer. Quelle: NASA, SpaceNews, AviationWeek, Sierra Nevada Corporation, House Subcomitee for Science, TASS.

Kommerzieller Frachttransport- wo steht die NASA heute?
Die Versorgung der Internationalen Raumstation ISS mit wichtigen Versorgungsgütern wie Nahrung, Wasser und vielem Weiteren- das war auf Seiten der USA lange Zeit Aufgabe des Space Shuttles. Doch als der Raumtransporter eingestellt wurde, musste ein kostengünstiger Nachfolger her. Den fand die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA auch tatsächlich, und zwar bei privaten Raumfahrtfirmen. Der Unterschied zu dem bisherigen Modell bei der Versorgung der Raumstation war es, dass die Unternehmen nun nicht mehr nur die Raumschiffe herstellten, sondern auch die Missionen in Eigenregie durchführten. Die NASA kaufte also nicht mehr das Raumschiff, sondern nur noch die Dienstleistung (nämlich den Transport von Fracht). Zunächst mussten die Raumtransporter jedoch entwickelt werden, wofür die NASA den Unternehmen SpaceX und Rocketplane Kistler zwei Aufträge vergeben hatte. Doch anfangs verlief nicht alles wie geplant: Kistler geriet in finanzielle Schieflage, sodass dieser Firma der Auftrag entzogen wurde. Stattdessen erhielt das etabliertere Unternehmen Orbital Sciences den Auftrag. Dann konnte 2012 ein historischer Moment stattfinden: Das erste kommerzielle Raumschiff flog zur Internationalen Raumstation. Es handelte sich dabei um den Dragon von SpaceX, 2013 folgte Cygnus von Orbital. Mehrere Tonnen Fracht wurden seitdem bereits zur ISS befördert. Dieses Modell des kommerziellen Frachttransportes hat sich als zuverlässig und -vor allem in Anbetracht der enormen Kosten des Space Shuttles- kostengünstig erwiesen.

SpaceX
Dragon während CRS-5.
(Bild: SpaceX)

SpaceX hat mittlerweile fünf Versorgungsmissionen erfolgreich zur ISS gestartet. Ihr Raumschiff, genannt Dragon, ist als Rückkehrkapsel ausgelegt, die nicht einfach beim Wiedereintritt in der Erdatmosphäre verglüht, sondern auf der Erde mithilfe von Fallschirmen im Ozean landet. Des Weiteren existiert ein sogenannter Trunk, der nicht unter Druck steht und in der Atmosphäre verglüht. Sowohl die Rückkehrkapsel als auch der Trunk sind zusammen mit über 6 Tonnen Fracht beladen. Dragon startet auf einer Trägerrakete vom Typ Falcon 9 1.1, die sich vor allem durch ihre niedrigen Kosten auszeichnet. Die letzte Mission von Dragon fand im Januar statt, nun soll der nächste Flug mit der Bezeichnung CRS-6 (Commercial Resupply 6) folgen. Diese Mission wird vermutlich Mitte April starten. Als sicher gilt es, dass erneut eine Landung der ersten Raketenstufe auf einer Seeplattform angestrebt wird. Insgesamt 15 Versorgungsflüge sollen im Rahmen des kommerziellen Frachttransportes mit Dragon durchgeführt werden.

Cygnus wird mithilfe des Roboterarms der Station an der ISS angedockt.
(Bild: NASA TV)

Orbital hat dagegen mit einem herben Rückschlag zu kämpfen: Nach Testflügen und zwei operationellen CRS-Missionen explodierte im Herbst 2014 spektakulär die Trägerrakete für CRS-3 mitsamt dem Cygnus-Transporter. Dieser Raumtransporter ist besteht aus einem zylinderförmigem Modul, in dem die Fracht untergebracht ist, und einem Servicemodul, das diesen Frachtbehälter mit Energie und Weiterem versorgt. Genauso wie Dragon wird Cygnus mithilfe des Roboterarms an der Raumstation angedockt, Cygnus verglüht jedoch nach Ende der Mission in der Erdatmosphäre, um Abfall zu entsorgen, der vorher an Bord geladen wurde. Die Trägerrakete von Cygnus heißt Antares, ihre Komponenten stammen von vielen verschiedenen Zulieferen. Die AJ-26 Triebwerke etwa wurden ursprünglich für die russische Mondrakete N-1 produziert und werden nun in der ersten Stufe der Antares eingesetzt. Auch wenn die genaue Unfallursache noch unklar ist, gelten diese etwa 40 Jahre alten Triebwerke als wahrscheinliche Fehlerquelle. Deshalb soll in der Antares zukünftig das zuverlässigere RD-181 Triebwerk zum Einsatz kommen, der Erstflug dieser „Antares 2“ ist für Anfang 2016 geplant. In der Zwischenzeit soll trotzdem ein Versorgungsflug von Cygnus stattfinden, und zwar mithilfe der Atlas V 401. Eine weitere Atlas-V existiert als Reserve (falls der Flug der „neuen“ Antares nicht rechtzeitig stattfinden kann), insgesamt sind acht Versorgungsflüge geplant.

Kommerzieller Frachttransport- Wie geht`s weiter?
Der kommerzielle Frachttransport zur ISS war bis jetzt ein großer Erfolg. Da durch die jetzigen Verträge der Versorgung der ISS nur etwa bis Ende 2017 gewährleistet wird, soll bald eine zweite Runde des Modells beginnen: Im Rahmen von CRS-2 (Commercial Resupply Services 2) soll bis mindestens 2020 die ISS weiterhin mithilfe von kommerziellen Anbietern versorgt werden. Dazu sollen mindestens sechs Missionen von mindestens einem Anbieter durchgeführt werden. Zu diesem Zweck hat die NASA US-amerikanische Raumfahrtunternehmen gebeten, Vorschläge für Frachtmissionen einzureichen. Eine Auswahl der entsprechenden Vorschläge mitsamt der Verleihung der Verträge ist gegenwärtig für Juni geplant. Die bisherigen Firmen SpaceX und Orbital haben bereits Angebote unterbreitet, doch es existieren noch weitere ernsthafte Konzepte:

1. Sierra Nevada Corporation

Eine Grafik des Dream Chasers, wie er bei CRS-2 eingesetzt werden soll.
(Bild: Sierra Nevada Corporation)

Sierra Nevada Corporation (SNC) bietet ihren Dream Chaser-Raumgleiter für den kommerziellen Frachttransport an. Die Entwicklung dieses Raumschiffes hat bereits im Rahmen des kommerziellen Crewtransportes begonnen, SNC kam jedoch nicht in die nächste Runde. Trotzdem soll Ende dieses Jahres ein Gleittest einer Testversion stattfinden, auch der Bau des ersten Dream Chasers, der ins All fliegen soll, geht weiter. Der Dream Chaser für den kommerziellen Frachttransport ist ein Raumgleiter mit klappbaren Flügeln und mit einem Frachtmodul mit Solarzellen, das nicht druckbeaufschlagt sein wird und in der Erdathmosphäre verglüht. Insgesamt können bis zu 5.500 kg Fracht befördert werden. Der Dream Chaser kann auf einer Vielzahl von Trägerraketen innerhalb der Nutzlastverkleidung gestartet werden. Nach der Mission landet er wie ein gewöhnliches Flugzeug auf einer Landebahn und kann erneut verwendet werden. Als weitere Vorteile gibt SNC an, dass keine giftigen Treibstoffe eingesetzt werden und die G-Kräfte, die beim Wiedereintritt auf die Fracht wirken, relativ gering sind. Jedoch werden die Entwicklungskosten für dieses relativ komplexen Systems wohl ziemlich hoch sein, sodass dem Dream Chaser nur geringe Chancen auf einen CRS-2 Vertrag angerechnet werden.

2. Boeing

Der CST-100 nähert sich der ISS- Illustration
(Bild: Boeing)

Boeing möchte ihren CST-100 (Crew Space Transport 100) auch für CRS-2 anbieten. Dieses Raumschiff, das aus einem kapselförmigen Rückkehrmodul und einem zylinderförmigen Servicemodul besteht, wird momentan bereits für den Transport von Astronauten zur ISS entwickelt. Dafür erhielt Boeing vergangenen September einen milliardenschweren Auftrag von der NASA, 2017 sollen die ersten Testflüge stattfinden. Für den Transport von Fracht wird die Innenausstattung der Kapsel entfernt, die nun nicht mehr benötigt wird (wie Sitze, die Monitore, …), und durch Vorrichtungen für den Transport von mehr als 2.500 kg Fracht ersetzt. Aus dem Servicemodul werden Tanks und Triebwerke entfernt, die beim Crewtransport für einen Startabbruch bei einem Notfall benötigt wurden, sodass dort nun Fracht transportiert werden kann, die nicht unter Druck stehen muss. Somit ähnelt der Fracht-CST-100 dem derzeit eingesetztem Dragon, jedoch hat Boeings Raumschiff einen Vorteil: Die Rückkehrkapsel landet nicht im Wasser, sondern mithilfe von Fallschirmen und Airbags auf Land. So kann die Fracht schneller geborgen und die Kapsel leichter für weitere Flüge erneut verwendet werden. Da die Entwicklung des CST-100 bereits im Rahmen von dem kommerziellen Crewtransport finanziert und gedeckt wird, könnte Boeing den Frachttransport mit dem CST-100 kostengünstig anbieten.

Boeing
Der erste Spatenstich für den Zugangsturm am Startplatz SLC-41.
(Bild: Boeing)

Boeing macht stetig Fortschritte bei der Entwicklung ihres CST-100s. An dem Startplatz für die Atlas V wurde mit der Konstruktion eines Zugangsturms begonnen, mithilfe dem die Astronauten in das Raumschiff einsteigen können. Die OPF-3 (Orbiter Processing Facility 3, eine ehemalige Hangar für das Space Shuttle) wird momentan für die Produktion des Raumschiffs umgebaut, mehrere dutzend Einzelteile für eine Druckkabine des Raumschiffs, die strukturellen Belastungstests ausgesetzt werden soll, sind bereits angekommen. Erste integrierte Testläufe der Avionik, der Steuerungselektronik des Raumschiffs, werden genauso wie zusätzliche Windtunnel- und Airbagtests momentan durchgeführt, bald wird zudem der Raumanzug für die Astronauten des CST-100 vorgestellt. Auch werden bereits die ersten Einzelteile der Trägerraketen für die Testflüge in einer Fabrik in Decatur, Alabama, gefertigt.

3. Lockheed Martin

Lockheed Martin
Die Jupiter/Exoliner-Kombination.
(Bild: Lockheed Martin)

Den wohl innovativsten Ansatz, um im Rahmen von CRS-2 Fracht zur ISS zu befördern, stellte das Raumfahrtunternehmen Lockheed Martin vor. Ihr System nennt sich Jupiter/Exoliner. Es besteht zum Einem aus dem Antriebsmodul Jupiter, das auf dem Satellitenbus der Raumsonde MAVEN basiert und einen Roboterarm hat. Zum Anderem ist oberhalb von Jupiter das Exoliner-Frachtmodul angebracht. Exoliner verfügt über Treibstofftanks, mit denen das Antriebsmodul aufgetankt werden kann, Vorrichtungen zum Transport von nicht-druckbeaufschlagter Fracht und ein mit Luft gefülltem Frachtmodul. Dieses Frachtmodul mit einem Durchmesser von 4,6 Metern basiert auf dem des europäischen Raumtransporters ATV und soll von dem Unternehmen Thales Alenia in Italien gebaut werden. Trägerrakete soll ebenfalls die Atlas V sein. Insgsamt können mit Exoliner 6.500 kg Fracht transportiert werden: 5.000 kg stehen unter Druck, 1.500 nicht.

Lockheed Martin
Jupiter/Exoliner docken an der ISS an.
(Bild: Lockheed Martin)

Nachdem die erste Mission von Jupiter und Exoliner abgeschlossen ist, startet ein weiteres Exoliner-Modul. Dieses nähert sich der alten Jupiter/Exoliner-Kombination an. Nun wird das alte Exoliner-Modul auf die Centaur-Oberstufe der Atlas aufgesetzt und der neue Exoliner auf das Jupiter-Antriebsmodul. Die Exoliner wurden mithilfe des Roboterarms von Jupiter getauscht, die Oberstufe sorgt für einen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre des alten Moduls. Die darauffolgenden Missionen laufen ebenfalls auf diese Art und Weise ab: Altes Exoliner-Modul mit Oberstufe entsorgen, neues Exoliner-Modul mitsamt Fracht mithilfe von Jupiter zur ISS befördern. Das Jupiter-Antriebsmodul bleibt also immer im All, es wird lediglich durch die Treibstofftanks des Exoliners betankt. Ein großer Vorteil dieses Systems ist es, dass wichtige und teure Elemente -wie etwa der Roboterarm- in Jupiter integriert werden können und so nur ein einziges Mal gebaut werden müssen. Außerdem können Jupiter und Exoliner nach der Lieferung von Fracht zur ISS und vor dem Tausch der Module mehrere Monate lang im freiem Flug Experimente durchführen, die Erde beobachten und kleine Satelliten aussetzen. Des Weiteren können Jupiter und Exoliner nicht nur im niedrigem Erdorbit eingesetzt werden, sondern auch als Wohnhabitat für Flüge zum Mond, Asteroiden oder sogar zum Mars.

Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:

Nach oben scrollen