Klimaforschung: Und wenn es noch schlimmer kommt?

Erwarteter Temperaturanstieg von über zwei Grad Celsius spielt in der Klimaforschung eine zu geringe Rolle – Publikation aus Gießen, Potsdam und Cambridge. Eine Pressemitteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen 12. Mai 2022.

12. Mai 2022 – Obwohl mittlerweile ein deutlich stärkerer globaler Temperaturanstieg zu befürchten ist, beschäftigt sich die Klimaforschung offenbar noch immer zu stark mit dem so genannten Zwei-Grad-Ziel der internationalen Klimapolitik. Die Befürchtung, dass das eigentliche Thema damit eher verfehlt wird, äußert jetzt ein Forschungsteam der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), des Leibniz-Instituts für Astrophysik in Potsdam und der University of Cambridge in einem aktuellen Artikel des Fachmagazins „Earth’s Future“.

Vorkommen von Temperaturanstiegen in den verschiedenen IPCC Reports. Enthalten sind alle Arbeitsgruppenreports, Spezialreports und zusammenfassende Reports, die bis zum 11.04.2022 erschienen sind und in denen mehr als 10 Temperaturprognosen enthalten sind.
Occurrences of temperatures mentioned in the IPCC assessment reports over time. Includes all working group reports, special reports, and synthesis reports published until 11 April 2022 with more than 10 temperature mentions overall. (Bild: Florian Jehn)

Die Forschenden beziehen sich in ihrem Artikel auf die Berichte des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), für den regelmäßig Zehntausende von Fachartikeln ausgewertet werden und die den aktuellen Stand der Klimaforschung abbilden. Die Forschenden aus Gießen, Potsdam und Cambridge haben mittels automatisierter Textanalyseverfahren alle bisher erschienenen IPCC-Berichte durchleuchtet. Dabei zeigten die Ergebnisse einen klaren Trend: Die ersten vier Berichte (erschienen 1990-2007) befassen sich zur Hälfte mit einem Temperaturanstieg von über zwei Grad Celsius und zur anderen Hälfte mit einem niedrigeren Temperaturanstieg. Im fünften (2013) und sechsten (2021) Bericht steigt der Anteil an betrachteten Temperaturanstiegen von weniger als zwei Grad Celsius allerdings sprunghaft auf 60 beziehungsweise 80 Prozent an.

Das Autorenteam wirft die Frage auf, weshalb sich die Wissenschaft derzeit vor allem mit Projektionen beschäftigt, die von der angestrebten, begrenzten Erderwärmung ausgehen, während vieles darauf hindeutet, dass der Temperaturanstieg deutlich höher ausfallen dürfte. So geht etwa die International Energy Agency davon aus, dass die aktuell ergriffenen Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht dafür sorgen werden, dass der Anstieg geringer als 2,4 Grad ausfallen wird, aber es auch 2,8 Grad werden könnten. Dazu führt Erstautor Dr. Florian Ulrich Jehn vom Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der JLU aus: „Solange wir uns auf einen stärkeren globalen Temperaturanstieg zubewegen, sollte gerade dieser im Fokus der Forschung liegen.“

Publikation
Florian U. Jehn, Luke Kemp, Ekaterina Ilin, Christoph Funk, Jason R. Wang, Lutz Breuer: „Focus of the IPCC Assessment Reports Has Shifted to Lower Temperatures“, Earth’s Future, 06 May 2022
https://doi.org/10.1029/2022EF002876
https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2022EF002876

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