Europa legt die Prioritäten für die Zukunft der Teilchenphysik fest. Teilchenphysik in Deutschland lieferte wichtige Impulse. Eine Pressemeldung des Komitees für Elementarteilchenphysik (KET).
Quelle: Komitee für Elementarteilchenphysik (KET)
Die Gemeinschaft der Teilchenphysikerinnen und Teilchenphysiker in Deutschland begrüßt die heute vom CERN-Rat verabschiedete Aktualisierung der Zukunftsstrategie der Teilchenphysik in Europa. Die neue Strategie ist eine wichtige Weichenstellung für die zukünftige Forschungsausrichtung des CERN, dem weltweit führenden Labor für Teilchenphysik, und damit auch für die Arbeit vieler Wissenschaftler*innen in Deutschland und Europa.
CERN bündelt die Forschung in der europäischen Teilchenphysik und kann so seit vielen Jahren weltweit einzigartige internationale Forschungsprojekte realisieren, die in der Vergangenheit zu bahnbrechenden Entdeckungen führten. Auch wichtige Anwendungen haben ihren Ursprung in der Grundlagenforschung des CERN.
Das jüngste Projekt, der seit 2009 im Betrieb befindliche größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider (LHC), führte im Jahr 2012 zur Entdeckung des Higgs-Teilchens. Viele der Eigenschaften dieses völlig neuartigen Teilchens, das das gesamte Universum durchdringt und den Elementarteilchen Masse verleiht, sind aber noch immer ungeklärt. Daher haben die Wissenschaftler*innen auch die genaue Vermessung des Higgs-Teilchens als die erste Priorität der nächsten Jahre definiert.
Wichtige Erkenntnisse erhofft man sich zunächst vom LHC, der in den kommenden Jahren nochmals zu stärkeren Intensitäten ausgebaut wird und neben der Untersuchung des Higgs-Teilchens ein weltweit einzigartiges und breit gefächertes Physikfeld erschließt. Die Wissenschaftler*innen schlagen darüber hinaus auch den Bau einer „Higgs-Fabrik“ vor. Hierbei handelt es sich um einen neuen Beschleuniger, der anders als der LHC nicht Protonen, sondern Elektronen und ihre Antiteilchen, Positronen, miteinander kollidieren lässt. An diesem Beschleuniger lässt sich das Higgs-Teilchen mit höchster Präzision untersuchen, die es dann ermöglicht, grundlegende Erkenntnisse über das Verständnis der fundamentalen Bausteine des Universums zu gewinnen. Die Physikerinnen und Physiker erhoffen sich hierdurch auch neue Einblicke in das Verständnis der Dunklen Materie, sowie der bislang unverstandenen Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie, die ultimativ zur Vereinigung der physikalischen Grundkräfte führen könnten.
„Eine Zukunftsdiskussion, wie sie in den letzten Jahren in unserem Feld in Europa stattgefunden hat, ist für eine Wissenschaftsdisziplin überaus gesund“, sagt Ulrich Uwer, Physik-Professor an der Universität Heidelberg und Vorsitzender des Komitees für Elementarteilchenphysik. „Es ist wunderbar zu sehen, wie sich am Ende aufgrund wissenschaftlicher Argumente – auch über verschiedene Länder und Interessensgruppen hinweg – klare Prioritäten herauskristallisieren. Dieser Konsens ist die Voraussetzung, um in Europa und weltweit gemeinsam mit neuen herausfordernden Projekten unser Universum besser zu verstehen.“
Die neue Strategie unterstreicht aber auch Europas Führungsanspruch beim Vorstoß zu den höchsten Energien und damit zur Entdeckung neuer bahnbrechender physikalischer Phänomene. Aufbauend auf den Erfahrungen des LHC soll Europa in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen aus aller Welt an einer Machbarkeitsstudie für einen Protonen-Teilchenbeschleuniger bei höchsten Energien, der eines Tages den LHC-Ringbeschleuniger als Entdeckungsmaschine ablösen könnte, arbeiten.
Innovative und verbesserte Technologien sind die Voraussetzungen, diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Eine wichtige Priorität der neuen Strategie ist deshalb auch die Intensivierung der Entwicklung grundlegend neuer Beschleunigerkonzepte, wie Myon-Collider und Plasma-Beschleunigung, und die Weiterentwicklung etablierter Beschleunigerkomponenten. Wichtiges Beispiel sind hier supraleitende Hochfeld-Magnete, die die Voraussetzung zum Erreichen höchster Energien in Ringbeschleunigern sind. Innovative Beschleunigertechnologien spielen auch für die Anwendungen außerhalb der Teilchenphysik eine immer wichtigere Rolle. Neue Entwicklungen sind auch im Bereich der Detektoren und zur Analyse der entstehenden riesigen Datenmengen nötig – die Teilchenphysik wird deshalb auch im Bereich Big Data in den kommenden Jahrzehnten wichtige Innovationen vorantreiben.
Die nun vorliegende europäische Strategie spiegelt die Prioritäten wider, die in den letzten Jahren intensiv unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland diskutiert worden sind und in die europäische Strategiediskussion eingebracht wurden. Die Teilchenphysikerinnen und Teilchenphysiker in Deutschland, vertreten durch das Komitee für Elementarteilchenphysik, begrüßen deshalb die Empfehlungen des CERN-Rats ausdrücklich.
In Deutschland forschen rund 1.300 Wissenschaftler*innen im Gebiet der Teilchenphysik. Die Mehrheit von ihnen arbeitet dabei an den großen Projekten am CERN mit und liefert so wichtige Beiträge zu den Forschungsgeräten und wissenschaftlichen Ergebnissen. Deutschland ist Gründungsmitglied des CERN und mit über 20 Prozent größter Beitragszahler des CERN-Budgets.
Der CERN-Rat, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsländer des CERN zusammensetzt, hat den politischen Auftrag, diese Strategie für Europa festzulegen. Der Rat bestimmt die Ausrichtung der Organisation in wissenschaftlichen, technischen und administrativen Angelegenheiten, legt ihre strategischen Programme fest, bestimmt und verfolgt ihre Jahresziele, genehmigt ihr Budget und ernennt die CERN Generaldirektorinnen und -direktoren.
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