Johannes Kepler

Anfang des 17. Jahrhunderts gab es drei Weltsysteme, die aus naturwissenschaftlicher und aus sozio-kultureller Hinsicht miteinander in Konkurrenz standen.

Autor: Tilman Kaiser

Johannes Kepler

eplers Ausgangspunkt Anfang des 17. Jahrhunderts: drei konkurrierende Systeme
Im ptolemäischen System umkreisten die Planetensphären und die Fixsternsphäre die ruhende Erde. Im kopernikanischen System kreisten Erde und Planeten um die im Zentrum ruhende Sonne. Die Fixsternsphäre ruhte und die Erde rotierte von West nach Ost. Im tychonischen System umkreisten Mond und Sonne die ruhende Erde, während sich die Planeten wiederum um die Sonne bewegten. Die Fixsternsphäre schloss direkt an den Saturn an.
Im Jahr 1600 eröffnete sich für den 28 Jahre alten Mathematiker und Astronom Johannes Kepler (geboren am 27.12.1571 in Weil der Stadt, gestorben am 15.11.1630 in Regensburg), der seine wissenschaftliche Prägung an der Universität Tübingen unter anderem durch den Heliozentriker Mästlin erhalten hatte, die Möglichkeit, mit Hilfe des umfangreichen empirischen Datenbestands des dänischen Astronomen Tycho Brahe, diese drei Systeme auf Gültigkeit zu überprüfen.

Keplers Astronomia Nova (1600 – 1606)
Ein erstes Zusammentreffen von Kepler, dem Mathematiker der „Grazer Landschaft“, und Brahe, dem Hofmathematicus des katholischen Kaisers Rudolph II. in Prag, findet im Februar 1600 statt.
Brahe verfügt über einen großen Fundus an bis zu 2 Bogenminuten genauen Messungen von Gestirnspositionen.
Kepler ist bekannt als mathematisch versierter Astronom, hat aber in Graz berufllich und privat wegen der Unterdrückung der Protestanten keine Zukunft. Brahe braucht den Theoretiker Kepler für die empirische Untermauerung des Semi-Geozentrismus. Kepler wiederum braucht Brahes Daten für die Untermauerung seiner heliozentrischen Theorie.
Brahe und sein Assistent Longomontanus scheitern an der Marsbahnbeschreibung, weswegen das Problem auf Kepler übertragen wird.
Nach dem Tod Brahes im Oktober 1601 tritt Kepler sein Amt als Nachfolger an.
Trotz der angesehenen Stellung als kaiserlicher Mathematiker muss sich Kepler wegen der Bearbeitung von Brahes Daten mit dessen Erben auseinandersetzen. Das ist nicht weiter verwunderlich, da diese befürchteten, dass Tycho Brahes Werk in den Arbeiten Keplers nicht genügend Würdigung finden würde. So formuliert Kepler sein Ziel schon in der Einleitung seiner „Astronomia Nova“ deutlich:

„Auf die Meinungen der Heiligen aber über diese natürlichen Dinge antworte ich mit einem einzigen Wort: In der Theologie gilt das Gewicht der Autorität, in der Philosophie aber das der Vernunftgründe. Heilig ist zwar Laktanz, der die Kugelgestalt der Erde leugnete, heilig Augustinus, der die Kugelgestalt zugab, aber Antipoden leugnete, heilig das Offizium unserer Tage, das die Kleinheit der Erde zugibt, aber ihre Bewegung leugnet. Aber heiliger ist mir die Wahrheit, wenn ich bei aller Ehrfurcht vor den Kirchenlehrern, aus der Philosophie beweise, dass die Erde rund und ringsum von Antipoden bewohnt, ganz unbedeutend und klein ist und auch durch die Gestirne hin eilt.“ (J Kepler: Astronomia Nova, S. 33)

An diesem Ausschnitt wird Keplers bedingungslose Suche nach der Wahrheit aber auch sein Hang zur Philosophie deutlich. Nichtsdestotrotz sind die genauen Beobachtungsdaten Brahes eine unabdingbare Voraussetzung für Keplers Erfolge bei der Aufstellung seiner Planetengesetze.

An einer fortgeschritteneren Stelle des Werkes wird noch deutlicher, dass Kepler nicht wie Copernicus für einen „mathematischen“, sondern für einen physikalischen Heliozentrismus kämpft:

„Was für ein Körper aber sich im Mittelpunkt [der Welt] befindet, ob keiner dort ist, wie Kopernikus will, wenn er rechnet, und zum Teil auch Tycho, oder die Erde, wie Ptolemäus und Tycho es wollen, oder endlich die Sonne, wie ich will und wie auch Kopernikus, wenn er spekuliert, das habe ich im 1. Teil mit physikalischen Gründen zu erörtern begonnen.“ (J. Kepler, Astronomia Nova S. 222).

Neben seinen Arbeiten zur Optik, die in Keplers „Astronomia pars Optica“ von 1604 zusammengefasst sind, beschäftigt er sich bis 1606 mit der genauen Erd- und Marsbahnbeschreibung und ihrer physikalischen Begründung. In seiner ersten Marsbahnberechnung übernimmt er den exzentrischen Äquanten von Ptolemäus, weil er damit die langsame Bewegung im Aphel und die schnelle Bewegung im Perihel erklären kann. Seine Forschungsarbeit zu den Planetenbahnen ist in seiner „Astronomia Nova“ dargestellt.

Das zweite Kepler’sche Gesetz: In gleicher Zeit „überstreicht“ ein Planet auf einer Sonnenbahn die gleichen Flächen

Charakteristik der „Astronomia Nova“
Bei der „Astronomia Nova“ handelt es sich um eine tagebuchartige Darstellung von Keplers Erkenntnisprozess mit allen Irrwegen oder besser gesagt, allen Versuchen, mögliche andere Theorien auszuschließen. Hierbei geht Kepler nicht rein deduktiv vor, indem er zum Beispiel versucht, eine bestimmte Bahnform an Brahes empirische Daten anzupassen. Kozhamthadam hat sich hierzu dezidiert geäußert: „Wenn Keplers Entdeckung als das ruhmvolle Ergebnis eines „Curve-Fitting“-Prozesses dargestellt wird, verrät das nur die Unkenntnis über Keplers eigenen Bericht.“ (Kozhamthadam S.247)
Vielmehr überprüft Kepler seine unterschiedlichen Theorien und Ideen mit den empirischen Daten und lässt bei der Suche nach den korrekten Bahngesetzen letztendlich alles fallen, was nicht mit den Daten in Einklang zu bringen ist. Für Kozhamthadam unterscheidet sich Kepler von vielen anderen zeitgenössischen Astronomen darin, dass er einen gewisse innere Freiheit oder Flexibilität bezüglich philosophischen Ideen besaß:

„Bei Kepler sehen wir eine innere Freiheit in dem Sinn, dass obwohl er seine religiösen, philosophischen und empirischen Prinzipien ernst nahm, nie […] leidenschaftlich an ihnen festhielt. Das Paradebeispiel hierfür ist seine endgültige Aufgabe des Prinzips der Kreisförmigkeit, das selbst Galilei für unverletzlich hielt. “ (Kozhamthadam S. 251) und weiter unten „Diese Flexibilität war nicht auf Keplers philosophische Prinzipien beschränkt. In seinen naturwissenschaftlichen Positionen sehen wir eine ähnliche Haltung. Zum Beispiel nimmt Kepler im Licht seiner fortgeschrittenen Forschungsarbeiten bereitwillig eine rotierende Sonne an, obwohl er am Anfang noch ein Anhänger der unbeweglichen Sonne war.“

Erkenntnisse für Kinematik & Dynamik der Planetenbewegung aus der „Astronomia Nova“ und dem späteren Werk „Harmonice Mundi“

  • Die Erde ist wie jeder andere Planet zu betrachten. Sie bewegt sich um die mit einer bestimmten Exzentrizität positionierte Sonne.
  • Der Mars bewegt sich auf einer elliptischen Bahn mit einer Neigung von 1°50′ zur Erdbahn. Die Sonne sitzt in einem der zwei Brennpunkte. Hier bricht Kepler mit dem aristotelischen Dogma der Kreisförmigkeit.
  • Der Flächensatz: Der Fahrstrahl von Sonne zum Planeten überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Mit diesem Gesetz gibt Kepler die aristotelische Gleichförmigkeit der Bewegung auf. Interessant ist insbesondere die Entstehungsgeschichte dieses Satzes. Kepler vermutete eine Bewegung mit einer Geschwindigkeit, die antiproportional zur Entfernung der Sonne ist (v ~ 1/r). Diese Beziehung lag im Rahmen der aristotelischen Physik, die die Proportionalität von Kraft und Geschwindigkeit vertrat. Da Kepler schon im ersten Teil ein 1/r-Kraftgesetz formuliert hatte, lag diese Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Entfernung zur Sonnen nahe. Dass er hieraus, ohne über die Werkzeuge der Infinitesimalrechnung zu verfügen, ein äquivalente Gesetzmäßigkeit herleiten konnte, zeugt von seinen außerordentlichen mathematischen Fähigkeiten. Kepler zeigt, dass der folgende Radiensatz dieser Beziehung entspricht: In gleichen Zeiten ergeben sich auf der gesamten Umlaufbahn von der Sonne aus gesehen immer die gleichen Entfernungsummen. Da die Berechnung dieser Summen aber sehr mühsam ist, sucht er eine Näherungslösung. So entstand sein berühmter Flächensatz, den er hier als Rechennotbehelf einführte und der sich im vierten Teil der „Astronomia Nova“ als das eigentliche empirische Gesetz herausstellte.
  • Kepler erkennt die kausale Rolle der Sonne für die Planetenbewegung, auch wenn er die Dynamik der Bewegung noch nicht korrekt erfasst. Er benötigt für die Erklärung der Bewegung auf der gekrümmten Bahn eine treibende Kraft und eine stabilisierende Kraft, die abstoßend und anziehend wirkt, während Newton nur eine radial wirkende Kraft benötigt. Angeregt durch W. Gilberts Schrift „De Magnete …“ (1600) zieht Kepler magnetische Kräfte in Erwägung.
  • Das „dritte Keplersche Gesetz“ beschreibt eine Beziehung zwischen den Umlaufzeiten der Planeten und den großen Halbachsen ihrer Ellipsenbahnen mit der Potenz 3/2. Dieser Satz befindet sich erst in Keplers Lebenswerk „Harmonice Mundi“ (Weltharmonik), das 1619 erscheint. Die Entstehung dieses Satzes ist sehr mysteriös und vielleicht noch am ehesten durch Keplers Beschäftigung mit der Musiktheorie (3/2 – Quinte) erklärbar. Kepler versuchte in diesem Werk, die Geschwindigkeitsunterschiede der Planeten auf harmonische Tonfolgen zurückzuführen, was uns vom heutigen modernen naturwissenschaftlichen Standpunkt eher sonderbar erscheint.

Zeitgenössische Rezeption von Keplers astronomischer Forschung

Die „Astronomia Nova“ erscheint erst 1609 im Druck mit einer geringen Auflage und bekommt zunächst weniger Aufmerksamkeit als die „Astronomia Danica“ von Brahes Assistent Longomontanus, die ganz im Sinne des tychonischen Semi-Geozentrismus geschrieben wurde. Die ablehnende Haltung vieler Astronomen ist nicht verwunderlich, da in diesem Werk nicht nur das revolutionäre kopernikanische System Unterstützung fand, sondern zusätzlich auch noch das anerkannten Prinzip der gleichförmigen Kreisbahnbewegung der Himmelskörper aufgegeben wurde.
Der große Bruch, der noch im 17. Jahrhundert zwischen einer von der antiken Philosophie geprägten Astronomie und einer sich anbahnenden modernen Astrophysik bestand, zeigt sich besonders schön in einem Brief, den ein gewisser Alimberto Mauri an den italienischen Astronomen Ludovico delle Colombe im Juni 1606 schrieb. Damals schon wurde vermutet, dass sich hinter der Identität des unbekannten Briefschreibers aufgrund des bissigen Stils und der weitreichenden Kenntnisse Galileo Galilei verbarg:

„Das ist großartig. Philosophen wollen die Gleichförmigkeit [in der Bewegung] der Sterne, nicht die imaginierte oder vorgetäuschte, sondern die wahre, reale Gleichförmigkeit. Da die Bewegung der Sonne zum Beispiel manchmal langsamer und dann wieder schneller erscheint, während sich Saturn hier retrograd und dort wieder stationär bewegt, widerstrebt die Gleichförmigkeit eindeutig dem Sinn. So rennen sie zu den Astronomen, um Hilfe zu bekommen (da die Philosophen diese Angelegenheit nicht selbst regeln können), auf dass diese den Grund für solche Erscheinungen nennen und somit in den Köpfen der Menschen die Ideen der Philosophen über die Gleichförmigkeit und Regelmäßigkeit des Himmels als wahrhaftig bewahren mögen. So haben die Astronomen als ihre treuen Freunde Tag und Nacht über Epizykel, Exzenter und Äquanten nachgedacht und haben sie [die Philosophen] mit diesem Grundgerüst ausgestattet, so dass sie, wenn sie es wünschen, im Wettkampf über den grimmigsten Gegner triumphieren können. Aber sieh nur, wie diese Instrumente, die sie früher nicht besaßen, von den Philosophen aus Verachtung vor den Gebern verunglimpft werden oder aber aus Unkenntnis in diesen Dingen missbraucht werden und wie diese anstatt ihnen zum Sieg zu verhelfen, sie die Schlacht verlieren lassen. Nehmen wir als Beispiel unseren modernen Peripatetiker [Aristoteliker], der aus irgendeinem Grund nicht wahrnimmt, dass dadurch, dass er Epizykel für imaginär erklärt, dadurch auch gleichzeitig seine Axiome und Regelmässigkeiten in ihrer Fiktivität bestärkt. Denn wenn es war ist […], dass Wirkungen den Ursachen folgen, wie können sie jemals die himmlischen Bewegungen als wahrhaft regelmäßig erachten, wenn sie annehmen, dass die Epizykel, Exzenter und Äquanten, mit deren Hilfe sie allein die Gleichförmigkeit der Bewegungen retten (oder eher bewirken) können, der Fabel entnommen und fiktiv sind.“
(Drake, S.118f)

Vielleicht ist Galileos Zurückhaltung gegenüber Kepler neben anderen Gründen mit dessen Hang zum Philosophieren erklärbar. Dass nicht nur naturwissenschaftliche Argumente, sondern auch Religion und Philosophie für Keplers Schaffen eine gewisse Rolle spielten, hat J. Kozhamthadam in seiner wissenschaftlichen Arbeit „The discovery of Kepler´s Laws: The interaction of science, philosophy and religion“ untersucht.

Im selben Jahr als Keplers Astronomia Nova veröffentlicht wird, wird auch das erste Teleskop (Linsenfernrohr) von Hans Lipperhey in den Niederlanden erfolgreich präsentiert. Kepler erklärt 1611 den Strahlengang durch die Linsen in seiner „Dioptrik“.
Die Briefe, die der Danziger Astronom Peter Crüger zwischen 1620 und 1635 an den Gelehrten Ph. Müller schreibt, sind symptomatisch für den Wandel in der Akzeptanz von Keplers drei Gesetzen und seinem Marswerk:

„Das Marswerk erfordert durchaus einen Mann, der von jedem anderen Gedanken frei ist und zwar nicht nur für einen Tag, sondern für ein volles Jahr, bis man alles verstehen kann.“

Einige Jahre später:
„Indem Kepler die Hypothese des Copernicus mit physikalischen Gründen zu beweisen sich bemüht, führt er wunderliche Spekulationen ein, die nicht in die Astronomie, sondern in die Physik gehören … Das ist alles recht schön, aber auch sehr dunkel … Mag sein, dass er damit einige für seine Himmelsphysik und Copernicanische Astronomie gewinnt, er wird aber auch viele abstoßen.“

Wiederum einige Jahre später:
„Ich lehne nun die elliptische Form der Planetenbahnen nicht mehr ab und habe mich von den Beweisen in Keplers Marswerk überzeugen lassen.“

Insbesondere als sich mit Keplers neu berechneten Planetentafeln exaktere Vorhersagen machen lassen, wird der Widerstand in astronomischen Fachkreisen allmählich schwächer. Durch Galileos Beobachtung und Beschreibung der Venusphasen mit dem Teleskop bekommt der Heliozentrismus weiteren Auftrieb. Obwohl Galileos Beitrag zur Entwicklung der modernen Physik und damit auch der Astrophysik allein schon durch die Aufstellung der Fallgesetze unermesslich wertvoll ist, begnügte er sich in der Planetentheorie mit Kreisbahnen. Hier zeigt sich, dass Galileo mehr Physiker als Astronom war. Obwohl Kepler und Galileo beide Anhänger des Heliozentrismus waren, scheint mir Galileo im Unterschied zu Kepler den Beweis hierfür nicht mittels empirischer Bogenminutengenauigkeit zu suchen, sondern vielmehr danach zu trachten, mittels eindrücklichen Beobachtungen mit dem Fernrohr und einleuchtenden empirischen Argumenten dem Heliozentrismus zum Aufstieg zu verhelfen. Mit der Popularisierung des Heliozentrismus‘ fürchtete die katholische Kirche eine Unterwanderung ihrer Autorität und zwang Galileo in einem Schauprozess 1632 dazu, sich von der „ketzerischen Lehre“ des Heliozentrismus zu distanzieren. Keplers „Astronomia Nova“ kam nie auf den Index für verbotene Bücher der katholischen Kirche im Gegensatz zu seinem astrophysikalisches Lehrbuch „Epitome Astronomiae Copernicae“, das wohl allein schon wegen seines Namens verboten wurde. In diesem Lehrwerk (1618-21) fasst Kepler unter anderem seine Erkenntnisse aus der „Astronomia Nova“ systematisch zusammen, was für einen höheren Bekanntheitsgrad seiner Bahngesetze in Fachkreisen gesorgt haben dürfte.

Langfristiger Beitrag von Keplers Astronomischer Arbeit
Newton leitete die Abnahme der Gravitationskraft proportional zum Abstandsquadrat aus dem dritten Keplerschen Gesetz her. Die Herleitung für Kreisbahnen mit Hilfe dieses Gesetzes und der Formel für die Zentrifugalkraft des Holländers Christian Huygens gelang auch anderen Mitgliedern der Royal Society (u. a. Robert Hooke, Christopher Wren). Die Schwierigkeit bestand darin, diese Form der Gravitationskraft für die elliptische Bahnform zu bestätigen, was ausschließlich Newton gelang. In jedem Fall wäre für Newtons Dynamik, welche er in seinem berühmtesten Werk „Principia“ in den 1680ern ausarbeitet, die Inkompatibilität mit den drei empirisch überprüften Keplerschen Gesetzen ein Ausschlusskriterium gewesen. Bruce Stevenson, der sich eingehend mit Keplers „Astronomia Nova“ beschäftigt hat, formulierte es folgendermaßen:

„… Kepler [spielte] auf zwei Arten eine Schlüsselrolle bei der Entstehung einer modernen Astronomie: Zum einen lieferten seine drei Gesetze der Planetenbewegung eine solide empirische Grundlage für Newtons „Principia“ (1687), das Werk, mit dem die moderne Astronomie beginnt. Newton gelang es, aus seinen mathematischen und physikalischen Prinzipien die drei Keplerschen Gesetze herzuleiten, was er als einen Beweis seiner Theorie darstellte.“ (Stephenson, S.1)

Stephenson schätzt aber auch Keplers Bemühungen um eine physikalische Astronomie außerordentlich hoch ein:
„… Zum anderen trug Kepler zur modernen Astronomie bei, indem er der Erste war, der sie tatsächlich als Teil der Physik verstand. Kepler war der erste Astronom, der gezwungen war, die Planetenbewegung als physikalisches Problem zu behandeln.“ (Stephenson, S.1)

An Keplers eigenen Worten wurde schon deutlich gemacht, wie wichtig für ihn selbst die physikalische Argumentation bei der Suche nach einer heliozentrischen Theorie war.

Fazit
Die spätmittelalterliche Astronomie ist von dogmatischem Festhalten am aristotelischen Geozentrismus geprägt. Das erste heliozentrische Modell der Neuzeit von Copernicus erlaubt keine genaueren Vorhersagen als das anerkannte ptolemäische System und hält an Prinzipien aristotelischer Physik fest. Eine neue Physik des Himmels scheint Anfang des 17. Jhdts nicht zwingend erforderlich, da die empirische Untermauerung des Heliozentrismus noch aussteht. Die Astronomie wurde zu dieser Zeit noch von den meisten Gelehrten als rein mathematische Wissenschaft verstanden. Ihr Ziel war die Bewegung der Himmelskörper möglichst exakt zu beschreiben und nicht, nach den Ursachen für diese Bewegungen zu fragen.
Copernicus kam der Vereinigung von Physik und Astronomie durch die Entwicklung seines heliozentrischen Systems zwar nahe, jedoch ist sein Werk gekennzeichnet durch rigoroses Festhalten am Prinzip der gleichförmigen Kreisbahnbewegung. Dieses Prinzip aufzugeben, war Johannes Kepler vorbehalten, der auf Grundlage einer erheblich gesteigerten empirischen Genauigkeit die Kinematik der Planetenbewegung erfasst.
Kepler arbeitet zwar noch stark mit den Methoden der antiken Astronomie und treibt diese zur Perfektion, gleichzeitig stößt er aber bei der Lösung des Planetenproblems an die Grenzen dieser Wissenschaft. Er kann sich nicht mit der kinematischen Beschreibung zufrieden geben und wird Wegbereiter einer neuen Form der Astronomie – der Astrophysik, indem er der Sonne eine die Planeten treibende Kraft zuschreibt, auch wenn die gravitative Ursache erst mit der Newtonschen Dynamik beschrieben wird. Der Prüfstein für eine korrekte Dynamik ist für Newton die Übereinstimmung mit Keplers empirischen Ellipsen- und Flächengesetzen.

Johannes Kepler kann also für die Entwicklungsgeschichte der Astronomie als zentrale Übergangsfigur zwischen einer durch die antike Philosophie geprägten Astronomie und einer neuzeitlichen Astrophysik angesehen werden.

Bibliographie

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  • O.C.Crombie: „Augustine to Galileo“, 1959
  • F. Hund: „Geschichte der physikalischen Begriffe“, Göttingen 1978
  • A Koyre: „Astronomical Revolutions. Copernicus, Kepler, Borelli“, Dover Publications 1992
  • J. Hamel: „Astronomiegeschichte in Quellentexten“, Berlin 1996
  • J. Kepler: „Neue Astronomie“, übers. und eingel. v. M.Caspar, München 1929
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  • J. Kozhamthadam: „The discovery of Kepler´s Laws: The interaction of science, philosophy and religion“, Notre-Dame (Indiana) 1994
  • A.M. Lombardi: „Johannes Kepler – Einsichten in die himmlische Harmonie“, In: Spektr. d. Wissenschaft – Biografie 4/2000
  • K. Gaulke: „Das Kepler Museum in Weil der Stadt“, Weil der Stadt 1999
  • R.S. Westfall: „The life of Isaac Newton“, New York 1994
  • S. Drake: Galileo At Work – His Scientific Biography“, Chicago 1978
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