Ist der Mars immer noch seismisch aktiv?

Neue Bilder vom Mars, aufgenommen mit der HiRISE-Kamera an Bord des Marsorbiters Mars Reconnaissance Orbiter, liefern Hinweise darauf, dass die Oberfläche unseres Nachbarplaneten eventuell auch in jüngster Vergangenheit durch seismische Prozesse umgeformt wurde. Eine solche seismische Aktivität könnte eventuell das zumindest zeitweise Vorkommen von flüssigem Wasser begünstigt haben.

Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: American Geophysical Union, Journal of Geophysical Research.

HiRISE, Gerald Roberts et al.
Die Verteilung von Felsblöcken und die durch sie auf der Oberfläche erzeugten Rollspuren führt zu dem Schluss, dass es auf dem Mars auch noch vor relativ kurzer Zeit seismische Aktivitäten gegeben hat.
(Bild: HiRISE, Gerald Roberts et al.)

Bei der Analyse von hochaufgelösten Bildern der Region Cerberus Fossae, einem der jüngsten Grabensysteme auf dem Mars, haben Wissenschaftler neue Hinweise darauf gefunden, dass unser äußerer Nachbarplanet auch in der in geologischen Maßstäben betrachteten jüngeren Vergangenheit durch tektonische Prozesse umgeformt wurde. Für ihre Studie verwendeten die Wissenschaftler Aufnahmen der HiRISE-Kamera, welche sich an Bord des von der amerikanischen Weltraumbehörde NASA betriebenen Marsorbiters Mars Reconnaissance Orbiter (MRO) befindet.

Auf den analysierten Aufnahmen entdeckte das von Dr. Gerald Roberts von der University of London geleitete Team eine Vielzahl von bis zu 20 Meter durchmessenden Felsblöcken, welche sich auf und unmittelbar neben verschiedenen Sanddünen abgelagert haben. Diese Felsblöcke, so die Feststellung der Wissenschaftler, sind von verschiedenen in der Nähe befindlichen Felsvorsprüngen herabgestürzt und anschließend teilweise noch viele Meter weit über die Oberfläche gerollt. Dabei haben die Felsblöcke deutlich erkennbare Rollspuren – sogenannte „Boulder Trails“ – auf der Oberfläche hinterlassen.

Solche lawinenartigen Felsabgänge sind auf dem Mars eigentlich nicht ungewöhnlich. Sie werden normalerweise dadurch ausgelöst, dass das im Marsuntergrund befindliche Trocken- und Wassereis aufgrund der jahreszeitlich bedingten Temperaturveränderungen sublimiert und der Boden dadurch seine ursprüngliche Festigkeit verliert. Dieser Prozess hat zur Folge, dass sich an den Rändern von Kratern oder Berghängen Lawinen lösen, welche Staub, Sand und Geröll in die Tiefe reißen.

Eine genauere Untersuchung der Verteilung der Felsblöcke im Bereich des Cerberus Fossae und der Muster der durch sie erzeugten Rollspuren lässt allerdings Zweifel darüber aufkommen, ob auch in diesem Fall ein solcher Sublimationsprozess für die jetzt erkennbare Anordnung der Felsen verantwortlich sein kann. Vielmehr, so das Resultat der Forschungsarbeit, deutet die Verteilung der Felsen darauf hin, dass die zugrunde liegenden Lawinenabgänge durch ein seismisches Ereignis – also durch ein „Mars“-Beben – ausgelöst wurden.

Die Verteilung der Felsblöcke erfolgte nicht von einer Abbruchkante ausgehend auf einer geraden Strecke, sondern vielmehr innerhalb eines Radius‘ von etwa 100 Kilometern rund um einen zentralen Punkt. Dieses beobachtete Verteilungsmuster der Felsen lässt sich laut der Ansicht der Wissenschaftler nicht mit normalen Lawinenabgängen in Einklang bringen, wie sie zum Beispiel durch sublimierendes Eis und ein dadurch bedingtes „Aufweichen“ des Untergrundes ausgelöst werden würden.

„Dies ist vereinbar mit der Hypothese, dass die Felsblöcke durch Erschütterungen der Oberfläche in Bewegung versetzt wurden und dass die Stärke dieser Erschütterungen mit wachsender Entfernung zu dem Epizentrum eines auslösenden Bebens abnahm“, so Gerald Roberts.

ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum)
Das Grabensystem Cerberus Fossae befindet sich nur wenige Hundert Kilometer von der Elysium-Vulkanprovinz entfernt.
(Bild: ESA, DLR, FU Berlin (G. Neukum))

Als vergleichendes Studienobjekt verwendete das Team um Gerald Roberts die Daten von einem auf unserem Heimatplaneten erfolgten Erdbeben, welches am 6. April 2009 Mittelitalien heimsuchte. Nach dem Beben, welches die Stadt L’Aquila verwüstete, konnten in ihrer Formation vergleichbare Felsrutschungen in einem Umkreis von etwa 50 Kilometern rund um das Epizentrum des Bebens registriert werden. Diese Ähnlichkeit der Verteilungsmuster und die Ausdehnung des von Felsen bedeckten Gebietes lässt die Wissenschaftler des Weiteren zu dem Schluss gelangen, dass der „Abgang“ der Felsblöcke im Cerberus Fossae durch ein Marsbeben ausgelöst wurde, welches eine Stärke von mehr als sieben Magnitude erreichte.

Aufgrund der minimalen Erosion des Geländes gehen die Planetologen weiterhin davon aus, dass das auslösende Beben erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgt sein kann. Konservativ wird hierbei ein Wert von „innerhalb der letzten Millionen Jahre“ genannt. Ansonsten hätte der die Marsoberfläche permanent umformende Wind die Rollspuren der Gesteinsbrocken inzwischen bereits mit Sand bedeckt und somit für die HiRISE-Kamera unkenntlich gemacht.

Die Missionen der beiden Marsrover Spirit und Opportunity haben allerdings gezeigt, dass die von deren Rädern auf der Marsoberfläche hinterlassenen Spuren bereits nach wenigen Monaten nicht mehr erkennbar sind. Somit wäre es durchaus denkbar, dass das auslösende Beben erst in deutlich jüngerer Vergangenheit erfolgte.

Sollte es zutreffen, dass auf dem Mars auch noch vor relativ kurzer Zeit seismologische Aktivitäten erfolgten – so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler – so ist es auch denkbar, dass es auf dem Mars im selben Zeitraum auch einen aktiven Vulkanismus gegeben hat beziehungsweise eventuell sogar immer noch gibt. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass sich das Grabensystem des Cerberus Fossae nur wenige Hundert Kilometer südöstlich der Elysium-Region, der zweitgrößten Vulkanprovinz auf dem Mars, befindet. Durch die bei vulkanischen Aktivitäten freigesetzte Wärme, so die Wissenschaftler, könnten sich wiederum Umweltbedingungen ergeben haben, welche zumindest zeitweise das Vorkommen von flüssigen Wasser unmittelbar unter der Planetenoberfläche ermöglichten.

Dies wiederum könnte Auswirkungen auf die nach wie vor anhaltende Suche nach Spuren von Leben auf dem Mars haben. Das – und sei es auch nur zeitweise – Vorhandensein von flüssigem Wasser könnte für einen gewissen Zeitraum auch in der unmittelbaren Vergangenheit „lebensfreundliche“ Umweltbedingungen für mikrobiologische Lebensformen auf dem Mars geschaffen haben.

Die Frage, ob es auf dem Mars auch in der Gegenwart noch seismologische Aktivitäten gibt, könnte zum Beispiel die derzeit von der NASA angedachte Mission InSight – früher als GEMS-Mission bezeichnet – beantworten. Durch die Messungen dieses Marslanders könnte auch geklärt werden, ob die in der Gegenwart auftretenden Marsbeben durch reale seismische Aktivitäten ausgelöst werden, oder ob es sich dabei um die Folgeerscheinungen von Impaktereignissen handelt, welche die Oberfläche des Mars erschüttern.

Die hier kurz vorgestellten Resultate wurden am 23. Februar 2012 im Fachmagazin „Journal of Geophysical Research“ publiziert.

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