Interview mit dem ESA-Raumfahrtdirektor

Die bemannte Raumfahrt Europas hängt heute maßgeblich von anderen Raumfahrtnationen ab. Dies könnte sich zukünftig vielleicht ändern, erzählte der ESA-Raumfahrtdirektor im Interview mit Raumfahrer.net.

Ein Beitrag von Karl Urban und Michael Stein. Vertont von Dominik Mayer.

Jörg Feustel-Büechl, Direktor für bemannte Raumfahrt bei der ESA. (Foto: ESA/P. Sebitot)
Jörg Feustel-Büechl, Direktor für bemannte Raumfahrt bei der ESA. (Foto: ESA/P. Sebitot)

Mit einer von den Medien gerne als „angeschlagen“ bezeichneten Internationalen Raumstation (ISS) und der mittlerweile überalterten amerikanischen Space Shuttle-Flotte könnte man die bemannte Raumfahrt momentan auf einem absteigenden Ast wähnen. Immerhin ist durch den Ausfall der Space Shuttles mit dem Absturz der Columbia am 1. Februar 2003 die größte Raumfahrtnation der Welt – die USA – im bemannten Bereich lahmgelegt.

Europa, das im Rahmen der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) selbst keine bemannten Starts durchführt, ist bei Flügen zur ISS auf die Raumschiffe der NASA sowie der russischen Raumfahrtagentur angewiesen. Raumfahrer.net unterhielt sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema ISS in Berlin am 10. März 2004 mit Jörg Feustel-Büechl, Direktor für bemannte Raumfahrt bei der ESA. Er widerspricht dieser Darstellung und sieht Chancen für die europäische Raumfahrt. Er erläutert daneben die aktuellen europäischen Anstrengungen für die bemannte Raumfahrt.

Feustel-Büechl: „Die ESA hat ein Gesamtprogramm von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr […] und etwa 20 Prozent der Mittel fließen in die bemannte Raumfahrt. Wir haben zudem ein starkes wissenschaftliches Programm, ein starkes anwendungsorientiertes Programm mit Erdbeobachtungssatelliten und Telekommunikationssatelliten. Wir haben also ein sehr ausgewogenes Programm und ich würde sagen, dabei spielt die bemannte Raumfahrt durchaus eine gute Rolle.“

Raumfahrer.net: Welche Einrichtungen zur Ausbildung von Astronauten unterhält die ESA und gibt es bei der Ausbildung der Astronauten auch eine Zusammenarbeit mit den USA oder mit Russland?

Feustel-Büechl: „Wir haben nur ein Ausbildungszentrum [für Astronauten] in Europa. Wir hatten zwar früher mehrere, aber seit 1998 sind alle Astronautenaktivitäten in Köln im European Astronaut Centre (EAC) zusammengeführt. Dort werden nicht nur [europäische] Astronauten ausgebildet, sondern auch alle anderen Astronauten der ISS, wenn sie mit unseren Laborgeräten arbeiten: Amerikaner, Russen, Japaner und Kanadier. Dies ist Teil der Verständigung der Partner, dass jeder dem ein Labor gehört, alle anderen ausbildet. Genauso ist es umgekehrt: Unsere Astronauten fliegen auch nach Houston oder Star City bei Moskau oder nach Japan oder Kanada um dort das Verständnis für die Komponenten und Systeme unserer Partner zu entwickeln. Die Astronauten rotieren also ziemlich stark auf der Welt, um mit allen Systemen, die sie brauchen, vertraut gemacht zu werden.“

Raumfahrer.net: Es gab in der Vergangenheit in Europa Überlegungen ein bemanntes Startsystem zu entwickeln, woraus auch die heutige Ariane 5 hervorgegangen ist. Die Ariane 5 ist aber von ihrer Zuverlässigkeit her und technisch nicht unbedingt geeignet für bemannte Raumflüge. Allerdings wird ab 2006 die zuverlässige russische Trägerrakete Sojus auch vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou aus starten. Ist es angedacht, dass die Sojus in Zukunft auch bemannt mit europäischen Astronauten an Bord von Kourou aus starten könnte?

Feustel-Büechl: „Das ist wohl richtig: Die Ariane 5 war einmal für den Hermes entworfen worden. Wir haben die Rakete nach der Einstellung des Hermes-Programms aber deutlich geändert, so dass man die Ariane 5 heute für bemannte Flüge gar nicht verwenden könnte. Dafür müsste man sie wesentlich verändern. Deswegen konzentriert sich das Interesse Europas in erster Linie auf die Sojus-Rakete. Wir haben ab 2006 die Sojus für automatische Satelliten in Kourou.

Und wir denken intensiv darüber nach, von Kourou auch bemannte Missionen durchzuführen. Dies ist allerdings noch kein konkretes Projekt, aber es ist natürlich eine naheliegende Mission für die Europäer, um auch auf diesem Sektor tätig zu werden. Das ist ja der einzige Sektor im gesamten Raumfahrtbereich, wo wir keine eigenen Kapazitäten haben, was den bemannten Transport angeht. Wenn man hier relativ pragmatisch mit den Russen in diesen Sektor einsteigen könnte, wie es ja auch die Chinesen getan haben, wäre das eine gute Gelegenheit.“

Raumfahrer.net: Neben dem Modul Columbus ist das unbemannte „Automated Transfer Vehicle“ (ATV) der wohl wichtigste europäische Beitrag zur ISS. Das Gerät soll ab dem kommenden Jahr etwa alle 15 Monate über 7,5 Tonnen an Ausrüstungs- und Versorgungsgütern zur Station bringen. Damit ist seine Kapazität bei weitem größer als die des russischen Versorgungsschiffes Progress.
Der erste Start des ATV ist für das kommende Jahr vorgesehen – allerdings müssen am Kopplungsstutzen noch für das Kopplungsmanöver notwendige Antennen angebracht werden. Wird dieser Start planmäßig durchgeführt werden oder hängt dies von der Wiederaufnahme der Space Shuttle-Flüge ab, da noch Außeneinsätze notwendig sind?

Feustel-Büechl: Der erste ATV-Flug ist durchaus vor dem ersten Shuttleflug möglich. Wir haben schon bei der letzten Progress-Mission im vergangenen Februar versucht, mit einem extravehikulären Ausstieg (EVA) die Antennen an der Station anzubringen. Leider ist es jedoch dazu gekommen, dass diese Aktivität abgebrochen werden musste, weil in einem russischen Weltraumanzug ein Leck war. So mussten [die beiden Raumfahrer] nach fünf statt nach acht Stunden abbrechen. Das heißt, sie konnten die Antennen nicht anbringen. Daran sehen Sie aber im Prinzip, dass es auch ohne Shuttle geht. Wir werden dies jetzt bei der nächsten Gelegenheit nachholen, um dann im April nächsten Jahres mit dem ATV zu fliegen. Wir werden dann an den russischen Teil der Station andocken, ohne weitere Module zu benötigen.

Raumfahrer.net: Das Zukunftsprogramm Aurora der ESA sieht als sehr langfristige Perspektive vor, einen bemannten Flug zum Mars zu unternehmen bzw. daran teilzunehmen, wenn man davon ausgeht, dass dies ein internationales Vorhaben wird. Hat die Verabschiedung des Aurora-Programms bereits Auswirkungen auf die bemannte Raumfahrt in Europa, in Vorbereitung auf die Vision eines bemannten Marsfluges?

Feustel-Büechl: Nein, dies war nicht der Fall. Wir konzentrieren unsere bemannten Aktivitäten momemtan auf die Internationale Raumstation. Darauf bereiten wir unsere Astronauten vor und trainieren sie entsprechend. Das Aurora-Programm ist ein relativ kleines Programm. Es wurde in Edinburgh vor drei Jahren beschlossen und ist im Wesentlichen ein Studienprogramm. Wir machen im Aurora-Programm Systemstudien für Robotik- und bemannte Missionen zum Mond und zum Mars. Aber es müsste jetzt erstmal einen Nachfolger finden, der sich über das Papier hinaus mit der Technologie beschäftigt und erst dann wird es wirklich spruchreif, um über bemannte Missionen zu reden.

Wir hoffen allerdings, dass über die Initiative des amerikanischen Präsidenten auch die Europäer in ähnlicher Weise ein Explorationsprogramm ergreifen werden. Wir sind in der ESA dabei, dies vorzuschlagen und dann würde es natürlich ein sehr viel massiveres Programm werden, was dann zunächst bei Mond und Mars auch mit Robotikmissionen startet. Aber dann hätten wir eine Komponente „bemannte Mission“, die wir fortentwickeln könnten. Dies wäre die Zielsetzung nach der Station.

Raumfahrer.net: Wir bedanken uns für das Interview.

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