Vor zwei Jahren explodierte Europas neue Ariane 5-ECA. Der nächste Start ist für Anfang 2005 geplant. Jean-Yves Le Gall erklärte BBC online, wo er die europäische Trägerraketen-Gesellschaft heute und in Zukunft sieht.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: bbc.co.uk.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung eines Interviews von BBC online (www.bbc.co.uk) mit Jean-Yves Le Gall am 30. November 2004.
Vor zwei Jahren explodierte Europas „Superrakete“, die Ariane 5-ECA, nur Minuten nach Beginn ihres Jungfernfluges. Die Ariane 5-ECA, auch bekannt als „Ariane 5 Plus“ oder Ariane „10 tons“, ist die erweiterte Version der bewährten Ariane 5. Der wesentliche Unterschied zu ihrer Vorgängerin besteht in der Verwendung tief gekühlter Treibstoffe auch bei der zweiten Stufe der Rakete, nicht mehr nur bei der ersten Stufe.
Jean-Yves Le Gall, Geschäftsführer von Arianespace, der Gesellschaft, die Europas Trägerraketen vermarktet und betreibt, erklärte BBC online, was schief ging, und warum der Qualifikationsflug im Januar so kritisch ist.
Jean-Yves Le Gall ist zuversichtlich, dass Arianespace sich an einen unruhigen Markt anpassen kann.
BBC online: Können Sie die Wichtigkeit der ECA erklären?
Jean-Yves Le Gall: Die ECA hat fast die doppelte Leistung der Ariane 5-Generic. Wenn wir die Generic benutzen, starten wir damit einen Raumflugkörper. Mit der ECA sind wir in der Lage, zwei Raumflugkörper gleichzeitig zu starten.
Die Gesamtkosten einer ECA sind aber nicht viel höher als die Gesamtkosten einer Generic, und somit sind Starts mit einer ECA wesentlich lohnender als Starts mit einer Generic – was für unsere Kunden natürlich sehr interessant ist.
Wir denken, dass diese Rakete das Raumstartgeschäft der ganzen Welt revolutionieren wird, weil sie unseren Kunden preiswerte Doppelstarts ermöglicht, aber auch weiterhin die Flexibilität zu Einzelstarts bietet.
Welche technischen Schwierigkeiten hatten Sie zu bewältigen?
Die erste war, den Fehler zu beseitigen, der den Verlust der Mission 2002 zur Folge hatte. Es war ein Problem mit dem Tieftemperatur-Antriebsmotor der Hauptstufe, und wir haben klar analysiert, was damals passiert ist.
Wir hatten ein Stauchungsproblem an einer Düsenerweiterung, und wir haben alle Korrekturmaßnahmen vorgenommen, um die Konstruktion der Düsenerweiterung zu ändern.
Wir haben die neue Konstruktion voll durchgetestet und sind sicher, dass sie perfekt funktionieren wird.
Das zweite Problem war eine komplette Überprüfung der Rakete… aller ihrer Teile, um sicherzustellen, das alles gegengecheckt worden ist; alles ist voll getestet worden, und alles wird erfolgreich funktionieren.
Wie schwierig war es, nach 2002 das Vertrauen der Kunden zurück zu gewinnen?
Ich würde sagen, dass wir nie das Vertrauen der Kunden verloren haben, weil wir immer noch die Basisversion der Ariane 5 haben, die so genannte „Generic“, die perfekt funktioniert.
Unmittelbar nach dem Versagen der Ariane 5-ECA entschieden wir uns, mehr Ariane 5-Generic zu bestellen… was für unsere Kunden die Garantie ist, dass ihre Satelliten erfolgreich gestartet werden.
Welche anderen Absicherungen gibt es für sie?
Wenn ein Kunde unterschreibt, dass er eine Raumsonde starten möchte, dann hat er bereits eine Menge Geld investiert – mehrere hundert Millionen Dollar – und somit ist der Zeitpunkt des Starts äußerst kritisch.
Das ist der Grund, warum wir das in’s Leben gerufen haben, was wir die „Launch Services Alliance“ nennen, das ist eine Allianz mit Sea Launch, ein Tochterunternehmen von Boeing in den USA, und Mitsubishi Heavy Industries (MHI) in Japan, um unseren Kunden eine Termingarantie geben zu können.
Dies bedeutet, dass, wenn ein Kunde einen Vertrag mit der ESA, MHI, Sea Launch oder Arianespace unterzeichnet, und es droht etwas schief zu gehen mit dem Starttermin, dann gibt es die Möglichkeit, von einer Trägerrakete auf eine andere auszuweichen.
Wie wichtig ist es, dass Arianespace Erfolg hat, da hier Geld der Steuerzahler auf dem Spiel steht?
Wenn es um das Geld der Steuerzahler geht, dann sind wir, würde ich sagen, nicht mehr verpflichtet als unseren kommerziellen Kunden, weil ich denke, dass unsere Verpflichtung in beiden Fällen extrem ist.
Es ist eine große Ehre für uns, dass die europäischen Steuerzahler für die Entwicklung der Ariane 5 gezahlt haben, und das ist ein klarer Beweis, dass es keinen Raum für Fehler gibt.
Wie hat Arianespace auf die Änderungen im globalen Raumstartgeschäft reagiert?
Während des letzten Jahres hat sich in unserer Gesellschaft aufgrund der sehr großen Änderungen in diesem Geschäft ein passendes Schlüsselwort eingebürgert: „Anpassung“.
Wir müssen uns den neuen Bedürfnissen unserer Kunden anpassen. Das ist der Grund, warum wir uns entschlossen haben, die Ariane 5-ECA in Zukunft zu unserem Arbeitspferd zu machen, weil diese Rakete beides mit sich bringt, die Einzelstart-Flexibilität und auch die Doppelstart-Erschwinglichkeit.
Außerdem bieten wir die Termingarantie durch die Launch-Services-Vereinbarung und internationale Kooperation.
Wir sind auch verpflichtet, unseren Kunden die „Royal Family“ der Trägerraketen zu bieten und damit jede Masse, jeden Orbit und jede Zeit bewältigen zu können.
Darum haben wir eine Kooperation mit den Russen begründet, wegen der Sojus-Trägerrakete, was bereits Realität ist durch unsere Tochtergesellschaft Starsem, die Starts von Baikonur mit der Sojus organisiert.
Gleichzeitig entschieden wir uns in enger Abstimmung mit der ESA, in Französisch-Guayana zu investieren und bauen dort eine Startrampe für die Sojus, nicht weit von der Ariane-Startrampe, um in Zukunft die volle Bandbreite von Trägerraketen in Guayana starten zu können.
Wir werden auch eine leichtere Rakete haben, die Vega, die noch bei der ESA in der Entwicklung ist und ihren Jungfernflug früh in 2008 machen wird.
Von wo sehen Sie den Bedarf der nächsten fünf bis zehn Jahre kommen?
Ich bin sehr vorsichtig mit Vorhersagen, weil, wenn jemand mir eine Vorhersage für die nächsten fünf Jahre gibt, fordere ich in der Regel die selbe Vorhersage an, die fünf Jahre vorher gemacht wurde.
Wir haben heute ein System, das mit einer sehr begrenzten Zahl von Starts pro Jahr auskommen kann. Wir können mit sechs Verträgen pro Jahr leben.
Letztes Jahr haben wir acht Verträge unterzeichnet; dieses Jahr haben wir bereits sieben unterzeichnet und das Jahr ist noch nicht vorbei. So sind wir jetzt in einer sehr stabilen Position.
Aber für mich ist klar, dass der Bedarf an Telekommunikation weiterhin um durchschnittlich sieben Prozent pro Jahr wächst. Sieben Prozent pro Jahr bedeuten, dass man alle zehn Jahre die doppelte Kapazität benötigt.
Dieses Wachstum wird sich weiter fortsetzen, da vor zwei Jahren alle Welt Handys hatte, die nur Gespräche übertrugen. Nun haben mehr und mehr Leute ein Handy, das zusätzlich auch Bilder überträgt.
Es ist klar, dass wir in zwei oder drei Jahren von jetzt an gerechnet mehr und mehr Kapazität benötigen, um eine Menge von Daten von überall her in der Welt senden zu können, und so haben wir einen wachsenden Bedarf an In-Orbit-Kapazität.
Wer sind Ihre Hauptwettbewerber?
Heute haben wir gar nicht so viele Wettbewerber, da einige Gesellschaften sich entschlossen haben, aus dem Geschäft auszusteigen.
Unser Hauptwettbewerber ist International Launch Services (ILS), das ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Lockheed Martin in den USA und dem Khrunichev Space Center in Russland. ILS vermarktet hauptsächlich die Proton-Rakete, die in Russland entwickelt, gebaut, vorbereitet und gestartet wird.
ILS vermarktet auch die Atlas-Serie, die in den USA hergestellt und in Florida gestartet wird, aber die Atlas ist jetzt nicht mehr im Geschäft. ILS verkauft heutzutage nur die Proton.
Der andere Wettbewerber ist Sea Launch. Die Boeing-Gesellschaft entschied sich, die Delta IV, die von Boeing hergestellt wird, vom kommerziellen Markt zu nehmen.
Sie gehen den kommerziellen Markt mit Sea Launch an, die eine sehr beschränkte Kapazität haben und kein besonders volles Auftragsbuch.
Ich denke, dass wir die einzige globale kommerzielle Raumstartgesellschaft mit Kunden auf der ganzen Welt und mit einem Netzwerk von Vereinbarungen auf der ganzen Welt sind.
Wie ist der Bedarf an Änderungen bei kommerziellen Satelliten?
Es gibt offensichtlich eine Bewegung von Firmen, die in der Vergangenheit Telekommunikation machten hin zu Firmen, die in Zukunft direktes Fernsehen, hochauflösendes Fernsehen (HDTV) und Breitbandkommunikation machen werden.
Der entscheidende Punkt für den Durchbruch von HDTV in Europa ist der Preisrückgang der Flachbildschirme, denn wer einmal eine DVD auf einem Flachbildschirm gesehen hat und dann zurück zum klassischen Fernsehen wechselt, sieht ein, dass die Bildqualität sehr schlecht ist.
In den USA ist das kritisch, aber in Europa ist es kein so großes Problem wegen des PAL-Signals. Wenn man in den USA von DVD-Qualität zurück zur NTSC-Qualität wechselt, ist die Bildqualität vergleichsweise sehr schlecht.
Wie sieht es mit Wi-Fi aus?
Wi-Fi und Handys sind für uns im Zusammenhang mit Flugreisen interessant und werden sich entwickeln. Schwer zu sagen, ob es eine erfolgreiche Entwicklung werden wird.
Wenn Sie mal auf Leute in Flugzeugen achten, dann sehen Sie, dass sie nicht viel arbeiten und ich bin nicht sicher, ob sie sich mit Wi-Fi verbinden werden, um im Flugzeug zu arbeiten; und zur Zeit darf sowieso niemand an Bord von Flugzeugen telefonieren.
Als einer, der häufig fliegt, denke ich da auch an das Thema Privatsphäre. Also, ich weiß nicht, ob das wirklich ein Markt ist.
Wie wichtig ist der militärische Sektor in diesem Geschäft?
In Europa ist der militärische Sektor nicht so groß wie in den USA, aber er ist sehr wichtig für uns, weil wir eine Gesellschaft sind, die von den europäischen Steuerzahlern mit finanziert wird.
So scheint es mir offensichtlich, dass wir offen sein müssen für das Militär in Europa.
Wissenschaftliche Forschung ist ebenfalls sehr wichtig und wir sind sehr stolz, das wir eine entscheidende Rolle beim Start wissenschaftlicher Missionen spielen konnten, die sehr erfolgreich für Europa waren.
Wir starteten die europäische Kometensonde Rosetta, die nun auf dem Weg zu einem Kometen ist, und wir werden in den nächsten Jahren weitere wissenschaftliche Raumsonden starten. Nächstes Jahr werden wir Venus Express starten.
Welcher Art von technischen Herausforderungen muss die Raumstartindustrie in den kommenden Jahren begegnen?
Ich denke, die wichtigste Herausforderung für uns ist die Zuverlässigkeit unserer Startsysteme, dass wir regelmäßig starten können, und neue technische Verbesserungen.
Aber parallel dazu ist klar, dass die europäische Industrie technologische Programme entwickeln muss, um Trägerraketen für die Zukunft zu schaffen.
Daher hat die ESA beschlossen, das „Future Launcher Preparatory Programme“ zu entwickeln, für Raketen, die erst in 20 oder 30 Jahren starten werden.
Aber heute sind wir wirklich erst dabei, diese Technologien zu erforschen.
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