ILT: Einstein-Teleskop startet neue Ära in der Astronomie

Noch ist es ein Plan, aber bald schon soll ein neues Teleskop Gravitationswellen messen. Gravitationswellen sind so etwas wie die Schallwellen des Weltalls. Ein möglicher Standort für den Bau dieses Teleskops ist das Dreiländereck Deutschland, Belgien und Niederlande. Eine Pressemitteilung des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT.

Quelle: Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT 12. Juni 2024.

Das Einstein-Teleskop wird etwa 250 m unter der Erde gebaut. Mit Interferometern in den drei Tunneln von jeweils zehn Kilometern Länge soll es Kollisionen von schwarzen Löchern im frühen Universum messen. (Grafik: NIKHEF)
Das Einstein-Teleskop wird etwa 250 m unter der Erde gebaut. Mit Interferometern in den drei Tunneln von jeweils zehn Kilometern Länge soll es Kollisionen von schwarzen Löchern im frühen Universum messen. (Grafik: NIKHEF)

12. Juni 2024 – Die Gravitationswellen entstehen zum Beispiel, wenn schwarze Löcher oder Neutronensterne kollidieren. Im zukünftigen Gravitationswellendetektor, dem Einstein-Teleskop, wird dafür die neueste Lasertechnologie genutzt werden.

Wie das Universum Gold macht
Im Sommer 2017 gab es für Astronomen einen extrem aufregenden Tag: Am 17. August registrierten drei Gravitationswellendetektoren ein neues Signal. Sofort wurden hunderte Teleskope auf der ganzen Welt auf den vermuteten Ursprungsort ausgerichtet und tatsächlich sah man dort einen aufleuchtenden Himmelskörper. Zum ersten Mal war es gelungen, die Kollision von zwei Neutronensternen sowohl als Gravitationswelle als auch optisch zu erfassen.

Neutronensterne sind etwas ganz Besonderes im Universum: Sie sind ausgebrannte Sterne, die schon lange nicht mehr leuchten. Sie wiegen etwas mehr als unsere Sonne, quetschen ihre Masse aber in eine Kugel von weniger als 20 km Durchmesser. Die Wucht bei ihrem Zusammenstoß ist so groß, dass Atomkerne zerrissen werden. Gigantische Mengen von Massen werden ausgestoßen und schwere Atome wie Gold können entstehen.

»Im Vergleich zur Masse der Neutronensterne ist es nicht viel Gold, das da entsteht – nur ein paar Mondmassen«, erklärt schmunzelnd Professor Achim Stahl, ein Astrophysiker von der RWTH Aachen University. »Aber die Forschung ist sich ziemlich sicher, dass das meiste Gold im Universum bei solchen gigantischen Explosionen entstanden ist.« Der goldene Ring, den wir am Finger tragen, hat also schon galaktische Geschichte erlebt.

Gravitationswellendetektoren eröffnen ein neues Kapitel in der Astronomie
Dank der Gravitationswellendetektoren wissen wir schon jetzt mehr über die Kollisionen von Neutronensternen. Für galaktische Verhältnisse sind das sehr schnelle Prozesse. Früher hat man mit viel Glück einen Gammablitz von weniger als einer Sekunde registriert. Wenn schwarze Löcher kollidieren, ist das mit den aktuellen Gravitationswellendetektoren messbare Signal sehr kurz. Etwas mehr als 0,2 Sekunden lang war das Signal der ersten Gravitationswelle, die 2015 gemessen wurde. Solche Wellen entstehen, wenn ultraschwere Objekte im Universum umeinanderkreisen und dann kollidieren.

Das im Sommer 2017 detektierte Signal war 100 Sekunden lang, womit sofort klar war, dass das etwas Neues sein musste. Kurz nach dem Ende des Gravitationssignals konnte der Gammablitz aufgezeichnet werden, später wurde das Nachglühen der Explosion in verschiedenen Wellenlängenbereichen beobachtet und Spuren schwerer Elemente wie Gold und Platin nachgewiesen. Das Ereignis wurde als Kollision zweier Neutronensterne identifiziert. Mit der gleichzeitigen Beobachtung von Gravitationswellen und elektromagnetischen Signalen wurde ein neues Kapitel in der beobachtenden Astronomie begonnen. »Tatsächlich war das optische Signal entscheidend, um den Stern am Himmel zu finden«, erklärt der Astrophysiker Stahl den Vorteil.

Unsere »Ohren« zum Universum
Über Jahrhunderte hat sich die Astronomie auf Beobachtungen von sichtbarer Strahlung beschränkt. Mit dem besseren Verständnis des elektromagnetischen Spektrums kamen viele neue Beobachtungsmethoden hinzu, Radiowellen wurden aufgezeichnet und über Berechnungen und Simulationen wurde das Wissen der Menschheit deutlich erweitert.

Als Albert Einstein vor gut hundert Jahren seine allgemeine Relativitätstheorie postulierte, entstand auch der Gedanke, dass es Wellen geben könnte, die nichts mit dem elektromagnetischen Spektrum zu tun haben. Ähnlich wie eine Schallwelle sollten sie einen Probekörper in großem Abstand noch etwas »wackeln« lassen. Große beschleunigte Massen sollten solche Wellen durch den Raum schicken. Auf der Erde ist das Wackeln, das die Gravitationswellen verursachen, allerdings so schwach, dass die Bewegung wesentlich kleiner als der Durchmesser eines Atoms ist. Inzwischen ist es tatsächlich gelungen, Gravitationswellen zu messen. Für Astronomen ist das ein neues Zeitalter.

Möglich wird das durch sogenannte Laserinterferometer. Sie bestehen aus zwei Armen mit Spiegeln an den Enden. Ein Laserstrahl kommt in das Interferometer und wird an einem Strahlteiler in der Mitte geteilt. Er läuft zu den Endspiegeln in den zwei Armen und wieder zurück zum Strahlteiler. Ändert sich die Position des Spiegels am Ende eines Arms, variiert die Laufzeit des jeweiligen Laserstrahls um einen winzigen Betrag. Dieser Betrag lässt sich messen, indem man den Laserstrahl vom betroffenen Spiegel mit einem Laserstrahl aus dem anderen Interferometerarm vergleicht, bei dem der Spiegel nicht bewegt wurde.

Die Präzision dieser Messung in den aktuellen Gravitationswellendetektoren ist auch für Physiker immer wieder erstaunlich: »Wir messen auf weniger als einem Zweitausendstel Protonendurchmesser genau«, erklärt Professor Stahl. Zu Erinnerung: Protonen sind die Bestandteile von Atomkernen. »Es ist schon ironisch, dass wir für den Nachweis der größten Ereignisse im Universum, der Vereinigung von schwarzen Löchern, eine Präzision brauchen, die sich an den kleinsten uns bekannten Teilchen misst«, ergänzt er nachdenklich.

Erste Versuche, Gravitationswellen zu messen, gab es schon in den 1960er Jahren. Aber erst die aktuelle zweite Generation von Laser-Messgeräten schafft die extreme Genauigkeit und hat inzwischen etwa 100 Kollisionen von schwarzen Löchern oder Neutronensternen detektiert.

Am ILT wird derzeit ein Prototyp für den hochstabilen Holmium-dotierten Faserverstärker entwickelt. Die neue Lasertechnologie kann potenziell auch in anderen Anwendungsbereichen, z.B. in der Quantentechnologie oder Medizintechnik eingesetzt werden. (Foto: Fraunhofer ILT Aachen)
Am ILT wird derzeit ein Prototyp für den hochstabilen Holmium-dotierten Faserverstärker entwickelt. Die neue Lasertechnologie kann potenziell auch in anderen Anwendungsbereichen, z.B. in der Quantentechnologie oder Medizintechnik eingesetzt werden. (Foto: Fraunhofer ILT Aachen)

Das Einstein-Teleskop
Professor Stahl gehört der deutschen Einstein-Teleskop-Community an und arbeitet derzeit an der nächsten Generation von Gravitationswellendetektoren. Messgeräte dieser dritten Generation sollen noch zehn Mal empfindlicher sein als die derzeit genutzten. Nach dem Begründer der allgemeinen Relativitätstheorie wurde das geplante Gravitationswellenobservatorium »Einstein-Teleskop« genannt. »Wir wollen damit einen tausendfach größeren Bereich des Universums auf Gravitationswellen untersuchen. Und wir sollten dann erheblich mehr Quellen finden, für die die aktuellen Instrumente nicht empfindlich genug sind«, erklärt der Astrophysiker. Das betrifft dann auch noch schwerere Objekte, die Gravitationswellen mit niedrigeren Frequenzen abstrahlen.

Das Einstein-Teleskop soll aus drei ineinander verschachtelten Detektoren bestehen. Zu jedem dieser Detektoren gehören zwei Laserinterferometer mit 10 km langen Armen. Damit möglichst viele Störungen abgeschirmt werden, soll das Observatorium 250 m unter der Erde gebaut werden.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denken aber schon viel weiter: »Das Einstein-Teleskop wird zusammen mit einer neuen, innovativen Generation von Observatorien im elektromagnetischen Spektrum arbeiten, die den Bereich von Radio- bis zu Gammastrahlen abdecken. Wir nennen das Multimessenger-Astronomie«, beschreibt Professor Stahl die Vision. »Neben den ›Ohren‹ für die Gravitationswellen haben wir dann auch ›Augen‹, die ganz verschiedene Signale erfassen. Zusammen liefern diese dann eine Live-Übertragung kosmischer Ereignisse, wie sie noch niemand je gesehen hat.«

Bislang konnte man auf gut Glück den Himmel beobachten und auf einen kurzen Blitz hoffen. Die Gravitationswellendetektoren laufen in Zukunft ständig und »hören«, wenn ein Signal erscheint. Wenn mehrere solche Detektoren das Signal erfassen, kann seine Ursprungsregion berechnet und andere optische Teleskope darauf ausgerichtet werden. So wie bei der Neutronensternkollision im Sommer 2017 sind dann mehrere systematische Messungen möglich. Die Wissenschaft verspricht sich davon viele neue Erkenntnisse, zum Beispiel über das frühe Universum oder über solche Kollisionen, in denen alle Elemente gebildet wurden, die schwerer sind als Eisen.

Detektoren in Europa und der ganzen Welt
So komplexe Messungen setzen eine globale Zusammenarbeit voraus. Dementsprechend wird auch in den USA ein Detektorkonzept der dritten Generation entwickelt: Der »Cosmic Explorer« wird mit dem Einstein-Teleskop ein globales Detektornetz bilden. Die Europäer haben das Einstein-Teleskop 2021 in die Roadmap des European Strategy Forum on Research Infrastructures (ESFRI) aufgenommen. ESFRI wurde 2002 gegründet, damit nationale Regierungen, die wissenschaftliche Gemeinschaft und die Europäische Kommission gemeinsam ein Konzept für Forschungsinfrastrukturen in Europa entwickeln und unterstützen können.

Mit der Aufnahme in die ESFRI Roadmap ist das Einstein-Teleskop in die Vorbereitungsphase eingetreten. Das Budget wurde auf 1,8 Milliarden Euro geschätzt. Etwa 40 Millionen Euro soll der Betrieb pro Jahr kosten. Der Baubeginn ist für 2026 geplant, die Beobachtungen sollen 2035 beginnen.

Gegenwärtig laufen Studien, um eine Standortauswahl zu treffen. Eine Entscheidung wird für 2024 erwartet. Zwei mögliche Standorte werden derzeit untersucht: einer auf Sardinien und einer in der Euregio Maas-Rhein im Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande. Bei der Bewertung der Standorte müssen die Durchführbarkeit des Baus berücksichtigt und die Auswirkungen der örtlichen Umgebung auf die Empfindlichkeit und den Betrieb des Detektors vorhergesagt werden.

Für die betreffende Region verspricht das Projekt einige Vorteile: Ein Großteil der Kosten von 1,8 Milliarden geht in Baumaßnahmen. Drei mal zehn km Tunnel und zwölf mal zehn km Vakuumrohre werden gebraucht, um nur zwei Beispiele zu nennen. Schon jetzt ist eine Vielzahl an Firmen an dem Projekt beteiligt.

An der eigentlichen Messapparatur arbeitet bereits ein großes Team an verschiedenen Standorten. Neben der RWTH Aachen University betrifft das in Aachen auch das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT. Dort entwickelt man derzeit neue Laser, ohne die die neuen Messungen nicht machbar wären. »Was wir hier für den potenziellen Einsatz im Einstein-Teleskop entwickeln, ist in dieser Ausführung einzigartig und ausschließlich zur Messung von Gravitationswellen gedacht«, bestätigt Dr. Patrick Baer vom Fraunhofer ILT, der als Research Unit Leiter in der Einstein-Teleskop Community Forschungsgruppen der Fraunhofer-Institute für Lasertechnik ILT und für Produktionstechnologie IPT sowie der Lehrstühle für Lasertechnik LLT und für Technologie Optischer Systeme der RWTH Aachen University vertritt. »In einer vereinfachten Ausführung kann die für diesen Einsatzbereich entwickelte Lasertechnologie allerdings auch für andere Anwendungen z.B. in der Quantentechnologie interessant sein. Aber auch für die Entwicklung von Lasern in der Medizintechnik kann das erlangte Wissen hilfreich sein: die Wellenlänge von 2 µm ist beispielsweise für das Zertrümmern von Nieren- und Blasensteinen geeignet.« Letztlich ist es das, was das Fraunhofer ILT seit seiner Gründung macht: High-end-Laser aus der Forschung für Anwendungen in der Industrie fit machen.

Aktuell ist die Finanzierung noch nicht vollständig gesichert. In den nächsten zwei Jahren erwartet Professor Stahl eine endgültige Entscheidung. Dann kommen die Planer, die Tunnelbauer und am Ende die Laserphysiker. »Ich schätze, dass wir 2035 die ersten Messungen vornehmen können.«

Was fasziniert einen Forscher wie Achim Stahl? »Mit Gravitationswellen können wir sehr viel weiter hinausblicken als mit normalen Teleskopen« erklärt der Astrophysiker. »Weiter hinausschauen heißt in der Astrophysik vor allem, in der Zeit zurückzuschauen. Mit dem Einstein-Teleskop werden wir Signale aus der Zeit empfangen, wo sich die Galaxien formierten und die ersten Sterne bildeten. Das geht weiter zurück, als es mit optischen Mitteln möglich ist. Und wir werden mit den Gravitationswellen kosmische Explosionen live hören, bevor wir sie sehen.« Die empfindlicheren Detektoren des Einstein-Teleskops werden die Signale früher »hören« und den anderen Teleskopen mehr Zeit lassen, um sich auszurichten. Früher war es eher ein glücklicher Zufall, so ein Ereignis zu sehen. Jetzt sind erstmals systematische Messungen möglich. Da brechen spannende Zeiten an – nicht nur für Astrophysiker.

Die Arbeit wurde zum Teil von Interreg EMR, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), und zum Teil vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt.

Diskutieren Sie mit im Raumcon-Forum:

Nach oben scrollen