Im Glacier-Palast am Kleinen Matterhorn werden Studierende aus ganz Europa ihre Prototypen für ein Habitat auf dem Mond aufbauen. Eine Information der Europäischen Raumfahrtagentur (European Space Agency, ESA).
Quelle: ESA.
20 Teams von 13 Universitäten und Hochschulen entwickeln seit Herbst 2018 gemeinsam mit dem Swiss Space Center einen Lebensraum für Menschen im Eis. „IGLUNA“ ist ein Pilot-Projekt der ESA_Lab Initiative.
Überlebensstrategien
Wohnen in unterirdischen Räumen, Roboter, die Wände aus Eisblöcken schneiden und Salat, der dank menschlichem Urin auf Monderde sprießt. Sieht so einmal das künftige Leben im Moon Village aus? Die Umgebung im Eis jedenfalls ist ähnlich unwirtlich wie auf dem Mond. Es ist kalt, meist dunkel, die Lebensbedingungen eine Herausforderung. Wie können Menschen dort überleben, wohnen, Energie erzeugen oder Nahrung anbauen? Genau darüber machen sich Studierende aus der Schweiz und ganz Europa seit dem Start von „IGLUNA – habitat in ice“ im September vergangenen Jahres Gedanken. Im Juni werden sie ihre Ideen und Entwicklungen in Zermatt, in 3.883 Meter Höhe im Gletscher-Palast, vorstellen und zusammenbauen.
Riesiges Interesse
Als Dr. Tatiana Benavides und ihre Kolleginnen vom Swiss Space Center die ersten Kontakte zu Professoren, Hochschulen und Industrie knüpften, hofften sie auf vier bis acht studentische und akademische Teams, die bereit sein würden mitzumachen. Doch die Reaktionen waren überwältigend. „Heute sind es über 150 Studierende in 20 Gruppen aus neun Ländern“, berichtet die IGLUNA-Projektmanagerin. Neben Teams aus Deutschland, den Niederlanden, England, Polen, Griechenland, Rumänien und Estland, finden sich sieben Studenten-Gruppen aus der Schweiz. Studierende und Wissenschaftler der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), der École Polytechnique de Lausanne (EPFL), der Universität Lausanne (UNIL) sowie der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften Luzern (HSLU) und Zürich (ZHAW) arbeiten teilweise in gemeinsamen Projekten zusammen.
Moon Village
IGLUNA ist ein Testlauf für das Leben im Eis. Das Konzept des Moon Village sieht keine Kolonialisierung des Mondes vor, soll aber den zeitweiligen Aufenthalt von Menschen ermöglichen. Wichtig ist die Nähe zu natürlichen Ressourcen. Eis sichert die Versorgung mit Wasser, Sauerstoff und die Produktion von Treibstoff. Ein Habitat, das in Teilen unter der Mondoberfläche liegt, schützt künftige Besucher vor Strahlung aus dem All und Einschlägen von Mikrometeoriten. Die studentischen Teams erforschen, wie ein solcher Bau aussehen müsste und welche Technologien ein autonomes Leben in gefrorenen Welten ermöglichen.
ESA_Lab Initiative
„IGLUNA ist das erste interuniversitäre, interdisziplinäre Demonstrator-Projekt der ESA_Lab Initiative“, betont die Projektleiterin. Das 2017 initiierte ESA-Programm, an dem das Europäische Astronautenzentrum (EAC) in Köln beteiligt ist, will die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und Universitäten europaweit stärken, Innovationen in der astronautischen und robotergestützten Weltraumforschung fördern. Kooperationen bestehen u. a mit dem Swiss Space Center, der University of Central Lancashire und der französischen Universität PSL.
Mit IGLUNA, betont ESA-Generaldirektor Jan Wörner, „werden gleich zwei Initiativen mit Leben erfüllt: ESA_Lab als ein neues Instrument der Kooperation zwischen ESA und akademischen Einrichtungen und Moon Village, ein Multipartner-Open-Concept zur weltweiten offenen Kooperation auf dem Mond.“
Ein Gefühl von Abenteuer
ESA und Swiss Space Center (SSC) unterstützen und beraten die IGLUNA-Teams. Im April werden Betreuer des SSC erneut jede Gruppe aufsuchen. Bisher tüfteln die Studierenden mit Teamleitern und Professoren an den jeweiligen Standorten an ihren Entwicklungen. Über einen SLACK-Chat, ein Forum mit Links zu den anderen Teilnehmern, können sie sich austauschen. Im Juni beginnt die Probe aufs Exempel: Vertreter aller 20 Teams fügen zwei Wochen lang in Zermatt die Puzzleteile ineinander. In einem Seitenraum des „Glacier Palast“ bauen sie ihre Entwicklungen zu einem 36 Quadratmeter großen Habitat zusammen. Das Swiss Space Center koordiniert die Feld-Kampagne. Über 40 Studierende sollen dabei sein, so Tatiana Benavides. Viele weitere werden auf Eigeninitiative anreisen, weil sie das Erlebnis nicht verpassen wollen. Das Habitat wird ein öffentliches Ereignis werden, die IGLUNA-Eiswelten sollen Besuchern offen stehen.
Dem Termin fiebert Alban Muret entgegen. Der 30-Jährige studiert im 6. Semester Umweltingenieurwesen. Die zwei Wochen im Gletscher, sagt er, „sind wie ein simulierter Ausflug zum Mond. Das vermittelt ein Gefühl von Abenteuer und Expedition“. Seit Monaten testen die Teams ihre Ideen im Labor. „Dort können wir erstmals alles im Ganzen aufbauen.“
Ein Gewächshaus für den Mond
Alban Muret baut mit drei Kommilitonen an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und einem Team von der École Polytechnique de Lausanne (EPFL) ein Gewächshaus für den Mond. Seine Testanlage nennt sich SWAG System (Smart Waste-based Agriculture Growing System). Ziel ist ein nachhaltiger, geschlossener Kreislauf mit menschlichem Urin als Nährstoffquelle und einem Substrat aus Monderde oder wiederverwendbarem Schaumstoff. Ein Monitoringsystem überwacht Temperatur, Feuchtigkeit und Pflanzenwachstum. Die ersten Salate und Radieschen sind schon geerntet. „Sie haben geschmeckt“, betont der 30-Jährige. Das Haus dazu – GrowbotHub – haben Studierende in Lausanne konstruiert, ein voll automatisiertes, rotierendes Gewächshaus mit Fächern für Pflanzen, die von einem Roboterarm und anhand eines Image Recognition Ansatzes gepflanzt und geerntet werden.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich an einem Weltraum-Projekt mitarbeiten würde“, freut sich Muret. IGLUNA zeige, „dass jeder dabei sein kann, wenn er engagiert und interessiert ist“. Sein Traum wäre, dass einmal tatsächlich Salate in einem Gewächshaus auf dem Mond sprießen, an dem er mitgearbeitet hat.
Internationale Atmosphäre
Mit motivierten Studierenden aus Europa zusammenzuarbeiten, findet Manuel Ortega Varela De Seijas inspirierend. Der Spanier hat den Master in Raumfahrttechnik an der TU Berlin abgeschlossen und macht derzeit seinen Doktor an der École Polytechnique de Lausanne. Die internationale Atmosphäre des Projektes gefällt ihm, die Zusammenarbeit sieht er als „große Chance“. Für ihn ist es nicht der erste Kontakt zur ESA. Der 27-Jährige hat zuvor schon einmal sechs Monate in Deutschland in der Advanced Missions Concepts Division im Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt mitgearbeitet.
Für IGLUNA entwickelt er eine High Performance Säge. Ein Werkzeug aus dem 3D-Druck, das dank Laser-Shock-Peening, einem speziellen Verfahren zur Oberflächenbehandlung, besonders langlebig sein soll. Der Prototyp ist in der Testphase, berichtet er. Mit der Säge sollen Mondbewohner Eis zersägen können, ein wichtiger Bestandteil für den Habitatbau sowie die Wasser- oder Sauerstoffherstellung.
Ideales Umfeld für Studierende
Für Marco Hutter, Professor für Robotik an der ETH Zürich, ist das Projekt ein „ideales Umfeld für Tests und die studentische Ausbildung“. Im Maschinenbau-Departement haben Bachelor Studierende im letzten Jahr im Rahmen des Fokusprojektes die Möglichkeit, eine Gruppenaufgabe von der Idee bis zum Prototypen zu meistern. „IGLUNA war da ein super Match“, sagt er. „Viele Studierende sind fasziniert von der Raumfahrt und das Vorhaben bietet ihnen eine einmalige Einstiegsmöglichkeit in diesen Bereich“. Entsprechend begehrt war ein Platz im IGLUNA-Projekt „Construction robot“ der ETHZ, einem Robotersystem, das Eisblöcke schneiden und daraus Wände bauen soll.
Dass so viele Universitäten zusammenkommen, findet Professo Marcel Egli von der Hochschule Luzern spannend. „Wir arbeiten oft isoliert. Der Verbund ist eine gute Möglichkeit, sich mit anderen Projekten und Kompetenzen zu vernetzen.“ Der Biomediziner ist Leiter des Kompetenzzentrums „Aerospace Biomedical Science and Technology“ (biomedizinische Weltraumforschung und Medizintechnik) und forscht seit vielen Jahren an Bioreaktoren und zu der Frage, wie Zellen unter Schwerelosigkeit reagieren. Für IGLUNA haben er und das Studenten-Team um Dr. Timothy Granata einen Reaktor zur Kultivierung von Mikroalgen konstruiert, der für die Produktion von Biotreibstoff, Proteinen oder Lebensmittelzusätzen ebenso eingesetzt werden könnte wie für die Aufarbeitung von Abwasser und Fäkalien.
Wiederholung gewünscht
Insgesamt eine Fülle an Ideen, die IGLUNA-Managerin Tatiana Benavides mit dem Projektverlauf sehr zufrieden sein lässt. „Wir haben gute Rückmeldungen erhalten und würden gerne ein zweites Projekt auflegen“, sagt sie.