Cassinis erster und einziger Besuch bei dem rätselhaften Saturnmond war ein voller Erfolg und hat der Wissenschaft reichhaltiges Material auf Jahre hinaus beschert. Der vorübergehende Ausfall eines Bauteils geschah zum Glück erst bei der anschließenden Datenübertragung.
Ein Beitrag von Axel Orth. Quelle: Raumfahrer.net/Planetary Society/FU Berlin.
Am 10. September ist Cassini in nur 1.640 Kilometern Entfernung an dem Saturnmond Iapetus vorbei geflogen. Im Gegensatz zu den von Cassini oft besuchten Monden innerhalb der Titanbahn ist Iapetus wegen seiner wesentlich größeren Entfernung vom Saturn und seiner überdies um 15 Grad zur Saturnsystem-Ebene geneigten Bahn schwer zu erreichen. Ein Vorbeiflug kostet relativ viel Manövriertreibstoff, so dass dies der einzige Besuch bleiben wird, sowohl in der laufenden primären als auch in der folgenden erweiterten Mission. Dabei ist Iapetus, der drittgrößte Mond des Saturn, einer der bemerkenswertesten Körper unseres gesamten Sonnensystems.
Diese Umstände waren den Wissenschaftlern und Ingenieuren des Cassini-Teams natürlich auch bewusst, weshalb sie in den Ausflug zu Iapetus alles hinein gesteckt hatten, was ging: In einem an der Freien Universität Berlin schon seit Langem ausgeklügelten Plan wurde jede Phase des Fluges mit Beobachtungen gespickt. Alle für den Vorbeiflug sinnvollen Instrumente wurden genutzt. Selbst das Radar-Instrument, das sonst nur bei Vorbeiflügen am Titan zum Einsatz kommt, wurde diesmal aktiviert, und die Mitglieder dieses Instrumententeams freuten sich vor dem Vorbeiflug schon darauf, auch mal Radardaten von Landschaften interpretieren zu dürfen, von denen gleichzeitig gestochen scharfe Bilder vorliegen – wovon beim dunstverhüllten Titan ja keine Rede sein kann.
Der Vorbeiflug selbst gelang fehlerfrei. Erst als es daran ging, die Datenflut zur Erde zu übertragen, gab es eine Panne: 21 Minuten nach Beginn unterbrach Cassini die Übertragung und schaltete sich in einen Sicherheitsmodus, in dem nur noch die wichtigsten Grundfunktionen ausgeführt werden. Die Ursache dafür war der vorübergehende Ausfall eines Bauteils des Datenrekorders, vermutlich verursacht durch den Einschlag eines kosmischen Strahlenteilchens. Solche Ausfälle gibt es gelegentlich und sie bedeuten weiter keine Gefahr für die Sonde, sie sind nur ebenso ärgerlich wie nicht zu vermeiden. Das Team kann allerdings von Glück reden, dass dieser Ausfall nicht einige Stunden eher auftrat, denn dann hätte die einzigartige Beobachtungskampagne wohl ein abruptes Ende gefunden. Mittlerweile ist Cassini wieder im Normalbetrieb und es steht fest, dass durch den Ausfall keinerlei Schaden entstanden ist, bis auf die mehrtägige Verzögerung beim Übertragen der Daten.
Der Ausflug zu Iapetus war ein voller Erfolg, soviel steht schon fest. Dipl.-Ing. Tilmann Denk von der FU Berlin, der für die Planung der Kamerabeobachtung des Vorbeiflugs verantwortlich war, sagte in einer Pressemitteilung: „Die Bilder verblüfften mich noch viel mehr, als ich es mir in der Planungsphase vorgestellt hatte. Jede neu hereingekommene Aufnahme hatte ihren eigenen Charme. Zuerst die Bilder im Gegenlicht, welche die Formen der Landschaft schön zeigen; dann die höchstaufgelösten Bilder, die einem das Gefühl geben, ganz nah dran zu sein, und schließlich die Bilder vom Abflug, als die helle Hemisphäre mit ihrem kleinskaligen komplexen Muster aus hellen und dunklen Gebieten ins Bildfeld rückte. Über sieben Jahre Planung haben sich plötzlich in konkrete Bilder verwandelt.“
Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass Iapetus eine helle und eine dunkle Seite hat. Schon das ist ein einzigartiges Merkmal. Bei einem ersten, einigermaßen nahen Vorbeiflug Ende 2004 hatten die Bilder außerdem überraschend einen bis zu 20 Kilometer hohen, umlaufenden Bergrücken praktisch genau auf dem Äquator des Mondes enthüllt – eine Struktur, die man ebenfalls noch auf keinem anderen Körper gesehen hatte (Raumfahrer.net berichtete). Der Vorbeiflug am 10. September nun führte in 100mal geringerer Entfernung an dieser rätselhaften Welt vorbei, und allein schon die von den beiden Kameras übertragenen Bilder enthüllten schlagartig, dass Iapetus in visueller Hinsicht die wohl bizarrste Oberfläche des Sonnensystems hat.
Iapetus umkreist – wie andere Monde auch – Saturn in „gebundener Rotation“, das heißt, er wendet Saturn immer dieselbe Seite zu; folglich zeigt auch immer dieselbe „Bugseite“ in Richtung seiner Flugbahn um den Saturn, und immer dieselbe „Heckseite“ in die entgegengesetzte Richtung. Die Bugseite zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr dunkel ist, während die Heckseite so hell ist wie frisch gefallener Schnee, wie bei diesem Vorbeiflug erstmals so deutlich zu sehen ist. Auch der äquatoriale Bergrücken wurde diesmal in nie zuvor gesehener Detailliertheit fotografiert. Es gab schon Spekulationen, ob vielleicht beide Strukturen von demselben Ereignis verursacht wurden. Aber wie die neuen Bilder nun zeigen, kann das nicht der Fall sein: Der Bergrücken muss sehr alt sein, während die Zweifarbigkeit des Mondes sich erst in geologisch jüngster Zeit gebildet haben kann.
Denn sieht man sich die neuen Bilder von dem Bergrücken an, stellt man schnell fest: Er ist ebenso von Kratern übersät wie die ihn umgebende, tiefer liegende Landschaft. An vielen Stellen ist der Rücken auch unterbrochen – es liegt nahe, dass er hier von großen Meteoriteneinschlägen lokal eingeebnet wurde. Demnach muss der Bergrücken dem Bombardement aus dem All ebenso lange ausgesetzt gewesen sein wie die restliche Oberfläche des Mondes. Iapetus ist offenbar schon vor langer Zeit tektonisch erstarrt, anders als Welten wie etwa Dione oder vor allem Enceladus, die heute noch tektonisch aktiv sind. Wissenschaftler haben schon vermutet, dass Iapetus sogar in einem ungewöhnlich frühen Stadium erstarrt ist und sich der Bergrücken und überhaupt die walnussartige Form des Mondes aus genau diesem Grunde gebildet haben (Raumfahrer.net berichtete).
Auch wurde spekuliert, dass der Mond ehemals im Ganzen sehr hell gewesen sein dürfte und die Verdunklung der Bugseite durch eine Schicht aus dunklem Material verursacht wurde, die sich auf dem Mond abgelagert hat. Die neuen Bilder haben dies bestätigt. Darüber hinaus zeigen sie aber auch neue, enthüllende Details: Die schwarze Schicht ist nicht vollständig geschlossen. An manchen Stellen schimmert der schneeweiße Untergrund durch. Diese Perforationen der schwarzen Schicht müssen durch Meteoriteneinschläge verursacht worden sein, die erst nach der Bildung der Schicht stattgefunden haben. Diese Einschläge sind nun einerseits recht klein, wurden also durch kleine Meteoriten verursacht. Diese kommen statistisch häufiger vor als große Meteoriten. Trotzdem sind auf den Bildern nicht viele solcher Einschläge zu entdecken – die schwarze Schicht ist immer noch weitestgehend geschlossen. Das lässt nur einen Schluss zu: Die schwarze Schicht ist erst vor Kurzem entstanden! Außerdem kann die Schicht nicht sehr dick sein, wahrscheinlich maximal nur einige Meter. Es ist zu erwarten, dass sich im Lauf der kommenden Jahrzehntausende immer weitere Einschlagskrater in der schwarzen Schicht bilden, bis sie irgendwann mit weiß durchscheinenden Flecken übersät ist oder sogar ganz verschwindet. (Denkbar ist allerdings ebenso, dass der Nachschub an schwarzem Material auch heute noch anhält und die aufgerissenen weißen Löcher bald wieder überdeckt sind.)
Das Wassereis, das Iapetus´ weißen Untergrund bildet, sieht einer Schneelandschaft verblüffend ähnlich und stellt unsere vom winterlichen Schneefall geprägten Sehgewohnheiten auf den Kopf: Man möchte in den Bildern aus der Übergangszone immer wieder eine tiefdunkle, teilweise weiß verschneite Landschaft sehen. Aber wie die Bilder von den kleinen Meteoriteneinschlägen auf der Bugseite eindeutig beweisen, war es in Wirklichkeit umgekehrt: Über einem schneeweißen Mond, der einst ausgesehen haben mag wie Enceladus heute noch, ist eine Art schwarzer Schnee niedergegangen. Die Vorstellung von langsam herabtaumelnden schwarzen Schneeflocken ist übrigens auch falsch – Iapetus hat keine Atmosphäre, die das schwarze Material hätte abbremsen können, also dürfte eher „herabprasseln“ das richtige Wort sein.
Aus welchem Material die schwarze Schicht nun eigentlich besteht, ist noch weitgehend (und wörtlich) im Dunkeln, doch werden sicher bald die Wissenschaftler der anderen Instrumente etwas dazu zu sagen haben. Auf den Bildern aus der Übergangszone zwischen schwarzer Schicht und weißem Untergrund kann man jedenfalls erahnen, wie die Ablagerung vor sich gegangen sein muss. Iapetus könnte zum Beispiel mit seiner Bugseite voran durch eine Art „Wolke“ – freilich von gigantischen Ausmaßen, nämlich größer als der Mond selbst – aus dem geheimnisvollen schwarzen Material geflogen sein. Könnte das Material auch von einem der Saturnringe stammen? Nein, denn Iapetus´ Orbit liegt weit außerhalb aller bekannten Saturnringe, deswegen kommen diese als Verursacher nicht in Frage.
Auf jeden Fall hat das Material praktisch die gesamte Bugseite des Planeten mit einer geschlossenen Schicht überzogen. Im Mittelpunkt der Bugseite – also am Durchdringungspunkt der gedachten Flugbahn des Mondes – müssen die Teilchen des schwarzen Materials senkrecht auf die weiße Oberfläche aufgetroffen sein. Je weiter man von diesem gedachten Durchdringungspunkt nach außen geht, desto flacher wird der Winkel, in dem das schwarze Material in einer ballistischen Kurve vom „Himmel“ fiel. Ganz außen, am Rand, müssen die schwarzen Teilchen schließlich tangential, also in extrem flachem Winkel auf die Oberfläche gefallen sein. In dieser Übergangszone zwischen hellem und dunklem Gebiet konnte sich das von keinem Atmosphärenwiderstand gebremste, also sehr schnell und somit fast waagerecht einfliegende schwarze Material nur noch auf Hängen ablagern, die der Flugrichtung des Mondes abgewandt liegen, während die gegenüberliegenden Hänge schlichtweg im „Flugschatten“ lagen und somit weiß blieben.
Auf dem Großbild der Heckseite des Mondes kann man sogar einige „Strahlen“ von schwarzem Material sehen, die sich offenbar bis weit auf die Heckseite verirrt haben. Über die physikalischen Prozesse, die für solche Phänomene zweiter Ordnung verantwortlich sind, wird man sicher noch lange rätseln.
Bis jetzt ist es, gemessen an Vorbeiflügen an anderen Saturnmonden, aus Wissenschaftlerkreisen verdächtig ruhig, was frühe Interpretationen der Daten angeht. Natürlich wusste man schon seit Jahren, dass dieser Vorbeiflug ungewöhnlich interessantes Datenmaterial liefern würde. Aber nun, wo es soweit ist und die Bilder und Daten tatsächlich da sind, scheinen selbst die Cassini-Forscher zunächst einmal nur zu staunen und zu bewundern – wie wir alle.