HU-Wissenschaftler*innen waren an Jahrhundert-Entdeckung beteiligt / Vortrag am 4. Juli 2022 in Adlershof. Eine Veranstaltungsankündigung der Humboldt-Universität zu Berlin (HU).
Quelle: HU, Hannsjörg Weber 29. Juni 2022.
Am 4. Juli 2022 feiern Teilchenphysiker*innen weltweit das zehnjährige Jubiläum der Entdeckung des Higgs-Teilchens. Wissenschaftler*innen der HU waren und sind Teil eines der beiden Experimente, ATLAS und CMS, welche das Higgs-Teilchen am weltgrößten Teilchenbeschleuniger, dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf, entdeckt hatten.
Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der Higgs-Entdeckung wird Prof. Çiğdem İşsever unter dem Titel „Zehnjähriges Jubiläum der Higgs-Entdeckung – Die Erfolgsgeschichte des Large Hadron Colliders“ am 4. Juli 2022 um 18 Uhr im Erwin Schrödinger-Zentrum auf dem Campus Adlershof, Hörsaal 0‘115, Rudower Chaussee 26, 12489 Berlin, einen öffentlichen Vortrag zur Erfolgsgeschichte des LHCs halten.
Das Higgs-Teilchen ist eine Erregung des Higgs-Feldes, welches dafür verantwortlich ist, dass Elementarteilchen eine Masse haben. Man kann sich das wie folgt vorstellen: Wenn man am Strand joggen geht, ist das recht einfach. Doch im Wasser ist dies viel schwieriger, weil das Wasser einen träge macht. Ähnlich wirkt das Higgs-Feld auf Elementarteilchen und erzeugt so deren Masse. Bereits ein Jahr nach der Higgs-Entdeckung erhielten Peter Higgs und François Englert den Physik-Nobelpreis: Sie hatten das Higgs-Feld in den 1960er Jahren postuliert. Das Higgs-Teilchen ist so schwer, dass es im Universum nur direkt nach dem Urknall natürlich auftauchte. Es dauerte fast ein halbes Jahrhundert, bis ein Beschleuniger gebaut werden konnte, der die nötige Rate und Energie in Teilchenkollisionen erzeugen konnte, um Higgs-Teilchen in ausreichender Anzahl für deren Nachweis zu produzieren.
Von der Arbeit der einzelnen Gruppen können alle profitieren
Um ein Experiment am LHC durchzuführen, braucht es eine globale Anstrengung. Am ATLAS Experiment, an dem auch HU-Wissenschaftler:innen forschen, arbeiten über 5000 Physiker*innen. „Unsere Forschung erfordert wahres kollaboratives Arbeiten. Keine Forschungsgruppe kann ein solches Experiment alleine durchführen”, sagt Prof. Heiko Lacker. „Es macht unser Forschungsfeld gewissermaßen einzigartig: hunderte Forschungsgruppen kommen zusammen, arbeiten an einem bestimmten Aspekt, von dem dann alle profitieren.” So auch bei der Higgs-Entdeckung: „Unsere Gruppe an der HU hat damals am Trigger gearbeitet. Dies sind Algorithmen, die entscheiden, welche Teilchenkollisionen wir dauerhaft speichern und analysieren”, erinnert sich Prof. Thomas Lohse, der mittlerweile pensioniert ist. „Am LHC erzeugen wir alle 25 Nanosekunden Kollisionen. Wir können davon nur ungefähr ein Tausendstel von einem Prozent abspeichern. Der Trigger muss also innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob eine Kollision interessant war. Da Higgs-Teilchen sehr selten in Kollisionen auftauchen, war unsere Arbeit wichtig, um die richtigen Ereignisse zu finden.”
Higgs-Nachweis: „Ein fantastisches Gefühl“
Nach zwei Jahren von Datennahme und -analyse verkündeten die ATLAS- und die CMS-Kollaborationen am 4. Juli 2012 die Entdeckung des Higgs-Teilchen. „Ich war an diesem Tag euphorisch, weil wir mit beiden Experimenten unabhängig voneinander das Higgs-Boson nachweisen konnten”, erinnert sich Prof. Çiğdem Işsever, HU-Professorin und leitende Wissenschaftlerin am DESY Zeuthen. „Es war ein fantastisches Gefühl und eine Bestätigung, dass wir nicht durch Fluktuationen in den Daten getäuscht wurden.”
Prof. Lacker berichtet: „Ich hatte vor dem Start des LHCs insgeheim darauf gewettet, dass wir anstatt des Higgs-Teilchens etwas völlig Unerwartetes finden werden. Über die Higgs-Entdeckung war ich trotzdem glücklich, weil damit das Standardmodell der Elementarteilchenphysik komplett ist. Daraus ergaben sich aber Erkenntnisse, die meine eigene Forschung stark veränderten. Ich und meine Gruppe hatten im ATLAS-Experiment nach einer weiteren Familie von Quarks gesucht. Zusammen mit Theoretikern konnten wir zeigen, dass diese aber durch die Vermessung des Higgs-Teilchens nahezu ausgeschlossen werden konnte. In der Folge haben wir unsere Forschungsrichtung im ATLAS-Experiment umgelenkt und nach exotischen Quarks gesucht, die in Theorien jenseits des Standardmodells vorhergesagt werden.“ Prof. Thomas Lohse fügt hinzu, dass die Entdeckung des Higgs-Teilchens auch Auswirkungen jenseits der Teilchenphysik hat: „Aufgrund des Erfolgs durch die Higgs-Entdeckung verwenden nun Festkörperphysiker ähnliche Theorien in ihren Forschungen zu ‚Quasiteilchen‘ in exotischen Materialien.”
Aktuelle Forschung am LHC: Gibt es Kollisionen mit zwei Higgs-Teilchen?
Auch die Forschung von Prof. Çiğdem İşsever ist von der Higgs-Entdeckung geprägt. „Meine Gruppe und ich suchen im Augenblick nach Teilchenkollisionen, in denen zwei Higgs-Teilchen auftauchen. Wir wollen die Selbstkopplung des Higgs-Felds finden, ein Teil der Theorie, den wir noch nicht experimentell nachweisen konnten. Je nachdem, was wir für die Selbstkopplung messen, können wir neue Aussagen zu unserem Universum machen. Es ist daher wichtig, die Forschungen am LHC fortzuführen.” Der LHC beginnt gerade seine dritte Periode der Datennahme. Die Wissenschaftler*innen wollen bis Ende der 2030er Jahre noch etwa zehnmal mehr Daten nehmen, um unser Wissen zur Natur zu erweitern.
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