Hoinga – der größte Supernova-Überrest

Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching haben mithilfe des deutschen Röntgentelekops eROSITA einen riesigen, bisher unbekannten Supernova-Überrest entdeckt. Überraschend war dabei nicht nur der Durchmesser von mehreren Grad, sondern auch seine Position am Himmel: Der von den Astronomen „Hoinga“ getaufte Überrest befindet sich weit außerhalb der galaktischen Ebene, wo scheinbar bisher noch kaum jemand nach den Überresten explodierter Sterne gesucht hat. Eine Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE).

Quelle: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE).

Bildausschnitt aus der ersten Himmelsdurchmusterung von SRG/eROSITA. Die Röntgenphotonen in diesem Bild wurden entsprechend ihrer Energie farbkodiert (rot entspricht Photonen des Energiebereichs 0,3-0,6 keV; grün 0,6-1.,0 keV und blau 1,0-2,3 keV). Der Hoinga-Supernova-Überrest hoch über der Galaktischen Scheibe ist markiert. Bei der großen, gelblich leuchtenden hellen Röntgenquelle im unteren Bereich des Bildes handelt es sich um den Supernova-Überrest „Vela“ mit „Puppis-A“.
(Bild: SRG/eROSITA)

Die Entdeckung, die durch Daten früherer Radio-Beobachtungen unabhängig bestätigt wurde, ist die Erste im Rahmen einer gemeinsamen Partnerschaft zwischen eROSITA und Australien, die zur Erforschung unserer Galaxie bei verschiedenen Wellenlängen, von niederfrequenten Radiowellen bis hin zu energiereicher Röntgenstrahlung, gegründet wurde – ein gutes Omen für viele weitere Entdeckungen in den nächsten Jahren.

Massereiche Sterne beenden ihr Leben in gigantischen Supernova-Explosionen, wenn die Fusionsprozesse in ihrem Inneren nicht mehr genug Energie erzeugen um ihrem Gravitationskollaps entgegenzuwirken. Aber selbst in einer Galaxie mit mehreren Hunderten Milliarden Sternen sind diese Ereignisse ziemlich selten. Schätzungsweise ereignet sich eine Supernova-Explosion in unserer Milchstraße im Durchschnitt nur alle 30 bis 50 Jahre. Während die Supernova selbst nur für einen Zeitraum von mehreren Monaten beobachtet werden kann, können ihre millionengrad heißen Überreste für etwa 100 000 Jahre nachgewiesen werden. Diese Überreste bestehen aus dem Material, das der explodierende Stern mit hoher Geschwindigkeit in den Weltraum hinausschleudert und das beim Auftreffen auf das umgebende kältere interstellare Medium Schockfronten bildet.

Nahaufnahme des Hoinga-Supernova-Überrests, wie er in der ersten Röntgen-Durchmusterung mit eROSITA zu sehen ist. Die Röntgenphotonen in diesem 7,5 x 7,5 Grad großen Bild wurden entsprechend ihrer Energie farbkodiert (rot für Photonen die im Energiebereich von 0,2 – 0,7 keV detektiert wurden, grün Röntgenphotonen des Energiebereichs 0,7 – 1,2 keV und blau für den Bereich 1,2 – 2,4 keV). Fast die gesamte Röntgenemission des Überrestes wird bei Photonenenergien zwischen 0,2 – 0,7 keV beobachtet. Das Bild wurde geglättet, um die Sichtbarkeit der diffusen Röntgenemission zu verbessern.
(Bild: SRG/eROSITA, MPE)

Etwa 300 solcher Supernova-Überreste sind heute bekannt – viel weniger als die geschätzten 1200, die in unserer Heimatgalaxie verteilt sein sollten. Entweder haben die Astrophysiker also bisher die Supernova-Rate falsch eingeschätzt, oder die große Mehrheit wurde bisher übersehen. Ein internationales Team von Astronomen nutzt nun die Himmelsdurchmusterung des eROSITA-Teleskops, um nach bisher unbekannten Supernova-Überresten zu suchen. Mit Temperaturen von Millionen von Grad senden die Überbleibsel der Supernovae intensive thermische Röntgenstrahlung aus, wodurch sie in den erstklassigen Daten der eROSITA Himmelsdurchmusterung sichtbar werden.

„Wir waren sehr überrascht, als uns gleich der erste Supernova-Überrest ins Auge gestochen ist“, sagt Werner Becker vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik. „Hoinga“ ist der größte Supernova-Überrest, der jemals aufgrund seiner Röntgenstrahlung entdeckt wurde. Mit einem Durchmesser von etwa 4,4 Grad bedeckt er am Himmel eine Fläche, die etwa 90-mal so groß ist wie die Scheibe des Vollmondes. „Außerdem liegt er sehr weit oberhalb der galaktischen Ebene, was für diese Objekte sehr ungewöhnlich ist“, fügt er hinzu. Bisher konzentrierten sich die meisten Suchen nach den Überresten explodierter Sterne auf die Galaktische Scheibe, wo die Sternentstehungsaktivität am höchsten ist und stellare Überreste daher häufiger sein sollten. Allerdings scheint es gut möglich zu sein, dass diese Suchstrategie bisher zahlreiche Supernova-Überreste übersehen hat.

Radio-Bild von Hoinga, aufgenommen bei 1,4 GHz und 2,3 GHz während der CHIPASS- und SPASS-Radiodurchmusterungen. Die blaue Farbe ist willkürlich; Vorder- und Hintergrundquellen wurden aus den Bildern entfernt, um die Sichtbarkeit der diffusen Radioemission des Supernova-Überrestes zu erhöhen.
(Bild: CHIPASS/SPASS/N. Hurley-Walker, ICRAR-Curtin (Radio))

Nachdem die Astronomen das Objekt in den Daten der eROSITA-Himmelsdurchmusterung gefunden hatten, suchten sie in archivierten Röntgen- und Radiodaten früherer Himmelsdurchmusterungen, um seine Natur weiter zu erforschen. Tatsächlich ist Hoinga – wenn auch nur sehr schwach – bereits in den 30 Jahre alten Daten des ROSAT-Röntgenteleskops zu sehen; aufgrund seiner Leuchtschwäche und seiner Lage bei hohen galaktischen Breiten fiel das riesengroße diffuse Objekt bisher jedoch niemandem auf. Weitere wichtige Erkenntnisse und der endgültige Beweis, dass es sich bei der Röntgenquelle um die Überreste eines explodierten Sterns handelt, kamen dann aus Radiodaten, dem Spektralband, in dem 90% aller bekannten Supernova-Überreste gefunden wurden.

„Wir sind die Radio-Archivdaten durchgegangen und dieses Objekt hat nur darauf gewartet entdeckt zu werden“, staunt Natasha Walker-Hurley, die an der Curtin University Teil des International Centre for Radio Astronomy Research in Australien ist. „Die Radioemission in den zehn Jahre alten Himmelsdurchmusterungen bestätigt eindeutig, dass Hoinga ein Supernova-Überrest ist; also könnte es da draußen noch viele mehr geben, die nur auf scharfe Augen warten, die sie finden.“ Aufgrund seiner Größe sowie der spektralen Verteilung im Röntgen- und Radiobereich schließen die Forschenden, dass es sich bei Hoinga um einen Supernova-Überrest mittleren Alters ähnlich wie der berühmte Vela-Überrest handelt, allerdings mit einer Distanz von rund 1500 Lichtjahren doppelt so weit entfernt.

Zusammengesetztes Röntgen- und Radiobild von Hoinga (siehe auch Abb.2 und Abb.3). Die von eROSITA entdeckte Röntgenstrahlung wird von den heißen Überresten des explodierten Vorläufersterns emittiert, während die Radioantennen Synchrotronemission von relativistischen Elektronen empfangen die in der äußeren Schale des Überrests abgebremst werden.
(Bild: eROSITA/MPE (X-ray), CHIPASS/SPASS/N. Hurley-Walker, ICRAR-Curtin (Radio))

Das Röntgenteleskop eROSITA führt acht vollständige Himmelsdurchmusterung im Röntgenbereich durch und ist damit etwa 25-mal empfindlicher als sein Vorgänger – der Röntgensatellit ROSAT. Beide Observatorien wurden am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching konzipiert und gebaut und eROSITA wird dort betrieben. Die Astronomen erwarteten in den nächsten Jahren weitere neue Supernova-Überreste in den Röntgendaten zu entdecken, aber sie waren sehr überrascht, den Ersten bereits so schnell zu identifizieren. Zusammen mit der Tatsache, dass das Signal auch schon in jahrzehntealten Daten vorhanden ist, deutet das darauf hin, dass viele Supernova-Überreste in der Vergangenheit übersehen worden sein könnten, weil sie beispielsweise eine niedrige Oberflächenhelligkeit haben, sich an ungewöhnlichen Orten befinden oder von anderen galaktischen Objekten in der Nähe überstrahlt werden. Zusammen mit zukünftigen Radiodurchmusterungen lässt die eROSITA-H immelsdurchmusterung überaus vielversprechende neue Erkenntnisse und Ergebnisse auf dem Gebiet der Supernova-Forschung erwarten. „Wir sind überzeugt, viele der fehlenden Supernova-Überreste zu finden und damit zur Lösung dieses langjährigen astrophysikalischen Rätsels beizutragen“ sagt Werner Becker.

Anmerkungen:
1. Der Name Hoinga für den Supernova-Überrest wurde zu Ehren des Heimatortes des Erstautors gewählt: Hoinga war der mittelalterliche Name von Bad Hönningen am Rhein.

2. Am 11. Juni 2020 hat das eROSITA-Teleskop seine erste Durchmusterung des gesamten Röntgenhimmels abgeschlossen. Das Teleskop wurde am 13. Juli 2019 an Bord der Raumsonde SRG gestartet und umkreist nun den zweiten Lagrange-Punkt des Erde-Sonne-Systems. eROSITA ist das Hauptinstrument an Bord von SRG, einer gemeinsamen russisch-deutschen Wissenschaftsmission, die von der russischen Raumfahrtagentur (Roskosmos) im Interesse der Russischen Akademie der Wissenschaften, vertreten durch ihr Institut für Weltraumforschung (IKI), und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt wird. Die Entwicklung und der Bau des Röntgeninstruments eROSITA wurde vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) geleitet, mit Beiträgen der Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg, der Sternwarte der Universität Hamburg, des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) und des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen, mit Unterstützung des DLR und der Max-Planck-Gesellschaft. Das Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn und die Ludwig-Maximilians-Universität München waren ebenfalls an der wissenschaftlichen Vorbereitung für eROSITA beteiligt.

Originalveröffentlichung
W. Becker, N. Hurley-Walker, Ch. Weinberger, L. Nicastro, M. G. F. Mayer, A. Merloni, J. Sanders
Hoinga – A Supernova Remnant Discovered in the SRG/eROSITA All-Sky Survey eRASS1 A&A, Accepted: 12 February 2021

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