Hätte die Besatzung der Columbia gerettet werden können?

Die Tatsache dass die Spezialisten der NASA bereits am zweiten Tag der Mission vom Defekt der Columbia wussten wirft die Frage auf, ob es möglich gewesen wäre die Besatzung, und vielleicht sogar das Shuttle, zu retten.

Ein Beitrag von Dominik Mayer.

Orbiter Columbia vor seinem letzten Flug, der Mission STS-107. (Bild: NASA)
Orbiter Columbia vor seinem letzten Flug, der Mission STS-107. (Bild: NASA)

Hollywood wäre mit diesem Problem natürlich spielend fertig geworden. Im Film ist es möglich einen Kometen zu sprengen oder Menschen vom Mars zu evakuieren. Eine Rettungsmission für ein verunglücktes Shuttle wäre eine Lapalie. Doch wie sieht es in der Wirklichkeit aus? Die Filmemacher sind der Realität mal wieder um einiges voraus. Nach NASA-Angaben wäre es unmöglich gewesen etwas für die Crew der Columbia zu unternehmen. Und hier stellt sich die entscheidende Frage: War das Schicksal der Astronauten von Anfang an bekannt und wurde es vielleicht sogar in Kauf genommen?

Die NASA wusste bereits zwei Tage nach dem Start, dass ein Stück Isolationsmaterial vom Tank den linken Flügel beschädigt hatte. Die dort vorhandenen, hitzebeständigen Kacheln sollen die Raumfähre beim Eintritt in die Erdatmosphäre vor den extremen Temperaturen schützen und ein Entzünden verhindern.

Stack mit Orbiter Columbia vor dem Start zur Mission STS-107. (Bild: NASA)
Stack mit Orbiter Columbia vor dem Start zur Mission STS-107. (Bild: NASA)

Experten verbrachten Tage damit die Videoaufzeichnung Bild für Bild zu analysieren. Schnell wurde bemerkt, dass sich 80 Sekunden nach dem Abheben etwas von der Columbia löste. Wie der verantwortliche Flugdirektor, Leroy Cain, Reportern gegenüber versicherte bestünde keinerlei Anlass zur Beunruhigung. Doch bereits einige Stunden nach dem Absturz erklärte der Manager des Shuttleprogramms, Ron Dittemore, dass sich die NASA womöglich geirrt habe und diese Beschädigungen zum Bruch des Shuttles beigetragen, oder ihn sogar verursacht hätten. „Es ist eine der Stellen, die wir zuerst untersuchen werden, schnell, um sicherzustellen, dass sich das Untersuchungsteam auf die Theorien oder Fakten konzentriert, die wir zu entdecken beginnen“, erklärte NASA-Direktor Sean O’Keefe am Sonntag. Dittemore selbst bekannte: „Meine Gedanken drehen sich um die Dinge, die wir, die ich versäumt habe zu tun, und die das ermöglicht haben.“ Und zweifellos muss sich die NASA vorwerfen lassen, auf die drohende Gefahr nicht in angemessener Weise reagiert zu haben:

  • Da wären zum Beispiel die vielen Teleskope auf der Erde, mit denen es möglich gewesen wäre den Flügel genauer zu untersuchen …
  • … oder die amerikanischen Spionagesatelliten, mit deren Hilfe schon 1998 Bilder der Raumfähre Discovery gemacht wurden. Damals konnten die Bilder jedoch nicht helfen. Dittemore rechtfertigte: „Wir hätten nichts damit machen können.“
  • Auch die Crew der Internationalen Raumstation wurde nicht um Hilfe gebeten. Dabei wäre es ohne Probleme möglich gewesen die Kameras der Station zu verwenden um den Flügel näher zu inspizieren. Während der letzten Wochen passierte das Shuttle die ISS mehrmals in wenigen hundert Kilometern Abstand.

Obwohl zwei der Besatzungsmitglieder, Michael Anderson und David Brown, für einen Weltraumspaziergang trainiert waren kam ein solcher nie in Frage. Führende Weltraumexperten erklärten, ein derartiges Unterfangen wäre reiner Selbstmord gewesen, da die Besatzung nicht speziell darauf vorbereitet wurde. Es hätten nur kleinere Notreparaturen durchgeführt werden können. Schon für dafür ausgebildete Astronauten wäre es extrem gefährlich zur Unterseite des Shuttles zu gelangen, da dort keine Möglichkeit vorhanden ist sich festzuhalten. Ohne Jetpack würde man abtreiben und nie wieder zur Raumfähre gelangen.

STS-107 mit Orbiter Columbia beim Start. (Bild: NASA)
STS-107 mit Orbiter Columbia beim Start. (Bild: NASA)

Die NASA erklärte, dass der Schaden nicht als so gravierend angesehen wurde um ein Leben aufs Spiel zu setzen. Außerdem hätte die Columbia keine Werkzeuge an Bord gehabt mit deren Hilfe eine Reparatur möglich gewesen wäre. Und die unzähligen Kacheln sind Sonderanfertigungen und fast jede davon ein Einzelstück. Anderson hat sich bereits im letzten Sommer theoretisch damit beschäftigt wie es ihm gelingen könnte eine klemmende Falltüre am Bauch des Shuttles zu schließen. Er hätte ein 20 Meter langes Seil an einer schweren Tasche befestigen und lassoartig um einen der Flügel werfen müssen um sich dann langsam zu der verklemmten Türe vorzuarbeiten. Die Chance dass ein derart kompliziertes Manöver innerhalb der acht bis neun Stunden, auf die ein Weltraumspaziergang begrenzt ist, durchführen lässt geht gegen null. Im schlimmsten Falle hätte er nicht genug Sauerstoff um ins Shuttle zurückzukehren. Dittemore erklärte am Sonntag dass die Gefahr bestanden habe, die Situation dadurch noch zu verschlimmern. „Allein ihre Versuche sich unter dem Shuttle zu positionieren, hätten mehr Beschädigungen hervorrufen können als das, was wir reparieren wollten.“ Zu Beginn des Shuttleprogramms entwickelte die NASA in einer Art Flickzeug eine Abdichtpaste, die aber die Performance der Teile beeinträchtigte und nie zum Einsatz kam. Auch sie hätte hier nichts geholfen.

Was hätte man dann machen können? Der frühere Flugdirektor James Oberg wird seit Sonntag mit Vorschlägen überhäuft. Per E-Mail erhält er Ideen die zum Teil stark an den Kassenhit „Armageddon“ erinnern. „Sie können unmöglich sein, aber nur ein wenig. Es ist immer eine Frage von Wundern.“ Einige davon waren jedoch unmöglich, gefährlich und womöglich nutzlos. Doch es hätte vielleicht eine Rettungsmöglichkeit gegeben:

Orbiter Atlantis mit ISS-Kopplungsadapter am STS-135-Flugtag 3. (Bild: NASA)
Orbiter Atlantis mit ISS-Kopplungsadapter am STS-135-Flugtag 3. (Bild: NASA)

Normalerweise dauert es vier Monate um ein Shuttle auf einen Start vorzubereiten, doch nach Aussagen der zuständigen Direktoren wäre es im Krisenfall möglich gewesen einen Start in weniger als einer Woche vorzubereiten; unter der Voraussetzung dass man alle Tests vernachlässigt – und damit einen weiteren Unfall riskiert – und das Shuttle bereits auf der Startplattform steht. Die Columbia hatte noch genügend Vorräte und Treibstoff an Bord um bis Donnerstag im All zu bleiben und unter günstigen Bedingungen sogar noch etwas länger. Rein theoretisch wäre es möglich gewesen die Atlantis in dieser Zeit zur Rettung auszusenden. In einer Reihe von Weltraumspaziergängen hätten die Astronauten an Bord gehen können. Wäre die Atlantis nur mit einer Minimalbesatzung von zwei Leuten gestartet hätte sie die sieben Personen von der Columbia aufnehmen können.

SPACEHAB in der Nutzlastbuch des Orbiters Columbia während STS-107. (Bild: NASA)
SPACEHAB in der Nutzlastbuch des Orbiters Columbia während STS-107. (Bild: NASA)

Nahezu unmöglich wäre es dagegen gewesen an Bord der Internationalen Raumstation zu gehen. Der Treibstoff hätte dafür nicht ausgereicht. Selbst wenn es der Raumfähre gelungen wäre in deren Nähe zu kommen hätte sie nicht andocken können, da sie auf einer Forschungsmission war und infolgedessen nicht mit einem Andockring ausgestattet war. Die Astronauten hätten in Raumanzügen übersteigen müssen.

Theoretisch hätte die NASA das Shuttle auch in einem flacheren Winkel in die Atmosphäre eintreten lassen können, in der Hoffnung die Temperaturen niedriger zu halten. Allerdings wäre auch das lebensgefährlich gewesen, da es zu schnell geworden wäre um sicher landen zu können.

Wenn es bestätigt worden wäre, dass die Crew einen Wiedereintritt nicht überleben würde und eine andere Raumfähre nicht rechtzeitig hätte starten können, dann wäre die Columbia monatelang im Orbit geblieben, bis sie langsam in einem Feuerball in der Atmosphäre verglüht wäre. „Sie wäre bei Sonnenauf- und -untergang zu sehen gewesen. Das wäre sehr gruselig“, meint Oberg. „Aber andererseits wäre es ein Denkmal. Es wäre eine Viking-Beerdigung.“

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