Im Jahr 2016 will die NASA ihre nächste Planetenerkundungsmission im Rahmen des Discovery-Programms starten. Über einen der drei noch in der näheren Auswahl verbliebenen Kandidaten, die Mission GEMS, wurde jetzt auf dem derzeit in Frankreich stattfindenden EPSC-DPS Joint Meeting 2011 berichtet.
Ein Beitrag von Ralph-Mirko Richter. Quelle: EPSC-DPS 2011, DLR. Vertont von Peter Rittinger.
Nach der Auswertung von 28 seit dem Juni 2010 eingereichten Vorschlägen für eine zukünftige Tiefraummission der amerikanischen Weltraumbehörde NASA im Rahmen ihres Discovery-Programms befinden sich seit dem Mai 2011 noch drei Missionen in der näheren Auswahl. Neben einem Lander für den Saturnmond Titan und einer Kometenmission handelt es sich dabei um die GEophysical Monitoring Station-Mission, kurz GEMS (Raumfahrer.net berichtete). Das Ziel der GEMS-Mission besteht darin, zum ersten Mal überhaupt durch direkte Messungen einen Einblick in das Innere des Planeten Mars zu gewinnen. Der Mars dient hierbei allerdings lediglich als ein Vertreter der Klasse der terrestrischen Planeten. Durch das Studium der Struktur und der Zusammensetzung des Planeteninneren erhoffen sich die Planetenforscher fundamentale Erkenntnisse über die Prozesse, welche bei der Entstehung und Entwicklung eines erdähnlichen Planeten ablaufen. Zu diesem Zweck würde die Mission GEMS, sollte sie denn für das Discovery-Programm ausgewählt werden, mit drei Experimenten ausgerüstet werden.
Ein Seismometer zum Nachweis von „Marsbeben“, welches derzeit unter der Leitung des französischen Institut de Physique du Globe de Paris (IPGP) entwickelt wird, soll die bei einem Beben auftretenden seismischen Wellen registrieren. Durch die Aufzeichnung und Auswertung der Stärke, des Verlaufs, der Amplitude und der Laufzeiten der Bebenwellen, welche sich vom Hypozentrum eines Bebens ausgehend durch das gesamte Innere des Planeten fortpflanzen, würden neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung, die Beschaffenheit und die Ausdehnung der Planetenkruste, des Mantels und des Planetenkerns gewonnen.
Auf der Erde werden Erdbeben im Normalfall durch dynamische Prozesse im Erdinneren ausgelöst. Diese Prozesse verursachen eine Plattentektonik, also die Bewegungen der Lithosphärenplatten. Die gut ein Dutzend Lithosphärenplatten, aus denen sich die Erdkruste zusammensetzt, verschieben sich pro Jahr um mehrere Zentimeter. Dabei bewegen sich die einzelnen Platten aufeinander zu oder voneinander fort. An manchen Stellen schieben sie sich auch übereinander oder „verhaken“ sich. Sobald durch diese Bewegungen zwischen zwei Platten Spannungen auftreten, werden diese tektonischen Spannungen in Form eines Erdbebens abgebaut.
Eine vergleichbare Plattentektonik ist auf dem Mars in der Gegenwart jedoch nicht vorhanden. Sollte auf dem Mars, wie verschiedene Messungen vermuten lassen (Raumfahrer.net berichtete), in der Vergangenheit wirklich einmal eine Plattentektonik aufgetreten sein, so ist diese wahrscheinlich bereits vor mehreren Milliarden Jahren zum Erliegen gekommen. Trotzdem verfügt der Mars über drei potentielle Quellen für Erdbeben. Zum einen könnte der Mars immer noch über aktive, aber zur Zeit ruhende Vulkane verfügen. Diese könnten dann durch Lavabewegungen in ihren Magmakammern sogenannte vulkanische Beben verursachen. Die zweite, ebenfalls „mars-interne“, Quelle ist das langsame Erkalten von tieferen Schichten in der Marskruste. Diese würden sich im Rahmen des Erstarrungsprozesses langsam zusammenziehen, dabei in die Tiefe absinken und im Rahmen dieser Bewegung seismische Wellen auslösen.
Die dritte Quelle stellen die Meteoriten dar, welche auf der Marsoberfläche aufschlagen und bei diesen Impakten ebenfalls seismische Wellen erzeugen, die mit den bei Erdbeben auftretenden Wellen vergleichbar sind. Diese Quelle von seismischen Erschütterungen sollte nicht unterschätzt werden, denn pro Jahr entdeckt zum Beispiel die HiRISE-Kamera an Bord des Marsorbiters Mars Reconnaissance Orbiter etwa 50 neu entstandene Impaktkrater. Da die Kamera nicht die gesamte Oberfläche in regelmäßigen Abständen abbilden kann, dürfte die reale Impaktrate noch höher liegen.
Verschiedene theoretische Modelle besagen, dass Marsbeben etwa 100-mal öfter auftreten sollten, als die Beben, welche im Rahmen der Apollo-Missionen auf dem Mond nachgewiesen werden konnten. Damit würden pro (Erd-) Jahr etwa 50 Beben ausgelöst werden, welche stark genug ausfallen, um auf der gesamten Planetenoberfläche nachgewiesen werden zu können.
Bei dem zweiten Experiment handelt es sich um das „Rotation and Interior Structure Experiment“ (kurz RISE) zur Erforschung des Planetenaufbaus und der inneren Struktur des Mars. Hierbei soll das X-Band-Kommunikationssystem von GEMS dazu genutzt werden, um eine durch gravitative Einflüsse verursachte Dopplerverschiebung in den Radiosignalen von GEMS zu ermitteln. Durch eine äußerst präzise Messung der Doppler-Signatur der von dem Lander ausgestrahlten Funksignale lassen sich minimale Veränderungen in der Achsenausrichtung des Planeten registrieren. Diese Veränderungen ermöglichen den Wissenschaftlern wiederum Rückschlüsse über die innere Struktur des Planetenmantels und des Kerns sowie über die dortigen Masseverteilungen. Für die Entwicklung des RISE-Experiments ist die US-amerikanische Firma Lockheed Martin zuständig.
Das dritte Instrument trägt die Bezeichnung „Heat Flow and Physical Properties Package“ oder kurz „HP3“. Hierbei handelt es sich um einen mit verschiedenen Messinstrumenten ausgerüsteten elektromechanischen „Maulwurf“, welcher vollautomatisch bis zu fünf Meter tief in den Marsboden vordringen soll. Mit seinen Sensoren soll HP3 den Wärmefluss, die elektrische Leitfähigkeit, die Temperaturverteilung, die physikalischen Eigenschaften und den Wassergehalt in diesem Bereich des Untergrundes bestimmen. Aus den so zu gewinnenden Daten erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse über die thermische Entwicklung des gesamten Planeten, denn aus der Vermessung des Wärmeflusses direkt unter der Oberfläche lässt sich auch auf die gegenwärtig stattfindende thermale Aktivität im Marskern schließen. Diese wiederum liefert Hinweise über die fortwährend erfolgende Abkühlung des Kerns und dessen Zusammensetzung.
Das Verständnis der Abläufe dieser Abkühlung ist jedoch eine Voraussetzung für das Verständnis anderer geologischer und geomagnetischer Aktivitäten auf dem Mars. Speziell gilt dies zum Beispiel für das Fehlen einer Plattentektonik und eines den Planeten umspannenden Magnetfeldes oder das im Verlauf der Jahrmilliarden erfolgte Nachlassen der vulkanischen Aktivität.
Nach dem Erreichen seiner Endtiefe kann HP3 mit seinen Sensoren zu diesem Zweck über mehrere Monate hinweg die Temperaturentwicklung entlang des Bohrtunnels überwachen. Zusammen mit den Ergebnissen über die physikalischen Bodeneigenschaften kann so der erfolgende Wärmestrom aus dem Inneren des Mars bestimmt werden. Außerdem wird es möglich sein, durch die Vermessung der geoelektrischen Eigenschaften des Marsbodens die dortigen geologischen Schichtungen zu ermitteln. Hiermit ließen sich speziell Wassereisvorkommen nachweisen, welche sich eventuell in dem untersuchten Bereich befinden.
HP3 soll seinen Instrumentencontainer durch einen internen elektromechanischen Schlagmechanismus selbstständig in den Marsuntergrund befördern. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist an der Entwicklung dieses Gerätes maßgeblich beteiligt. Die für die Messungen nötigen Sensoren wurden vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz entwickelt. Die Tests für den elektromechanischen Schlagmechanismus werden dagegen in Bremen am dortigen DLR-Institut für Raumfahrtsysteme durchgeführt.
Das HP3-Instruments setzt sich aus vier Baugruppen zusammen: dem Maulwurf, dem Instrumentencontainer, einem Verbindungskabel und einem „Support System“. Der Maulwurf basiert auf dem vom DLR für die Marslandemission Beagle-2 entwickelten „PLUTO“-Instrument (PLanetary Underground TOol) und ermöglicht durch einen internen Schlagmechanismus die Vorwärtsbewegung des Gesamtsystems Maulwurf, Instrumentencontainer und Verbindungskabel in den Marsboden. Der kegelförmig zulaufende Maulwurf wird dabei mittels eines internen, von einem Elektromotor angetriebenen Schlagmechanismus in den Boden getrieben, wobei die Erde verdrängt wird. Beim Vordringen in den Boden wird der mechanisch mit dem Maulwurf verbundene Instrumentencontainer hinter dem Maulwurf hergezogen. Im Inneren des Containers befinden sich drei Sensorenpakete und die für deren Betrieb benötigte Elektronik.
Bei dem „Thermal Measurement Suite“ (kurz TEM) handelt es sich um die Sensoren, welche die Wärmeleitfähigkeit des Bodens ermitteln sollen. Die „Permittivity Probe“ (kurz PP) soll die dielektrische Leitfähigkeit des Untergrundes, also dessen Durchlässigkeit für elektrische Felder bestimmen. Bei dem „ACTL“ (Accelerometer and Tiltmeter) handelt es sich dagegen um mehrere Sensoren welche die Geschwindigkeit und den Winkel bestimmen, mit der sich HP3 bis zu welcher Tiefe in den Untergrund vorgearbeitet hat.
Das an der Oberfläche verbleibende Support System besteht aus einer Führungsstruktur für den Maulwurf und den Instrumentencontainer sowie einem Behältnis für das mindestens fünf Meter lange Verbindungskabel zum Maulwurf. Dieses Verbindungskabel ist mit mehreren Temperatursensoren ausgestattet. Somit sind Messungen der Temperatur in unterschiedlichen Tiefen möglich. Zusätzlich erfolgt über dieses Kabel die Energieversorgung von Schlagmechanismus und Sensoren sowie der Transfer der gesammelten Daten.
Zusätzlich wird GEMS mit einem Roboterarm und einer Kamera ausgestattet sein. Der Roboterarm, welcher über eine Reichweite von 2,4 Metern verfügen soll, wird das Seismometer und HP3 auf die Oberfläche befördern, während die Kamera diese Aktionen überwacht. Des Weiteren werden verschiedene Temperatursensoren und Geräte zum Messen der jeweiligen Windgeschwindigkeiten zum Einsatz kommen. Besonders letztere sind wichtig, da nur mit exakten Daten über die vorherrschenden Windgeschwindigkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt eventuell durch Winde verursachte Erschütterungen des Marslanders zuverlässig von seismischen Aktivitäten unterschieden werden können.
Nachdem der Roboterarm das HP3-Instrument auf der Oberfläche abgesetzt hat, beginnt der Maulwurf mit dem Eindringen in den Boden. Nach dem Erreichen einer Tiefe von 50 Zentimetern erfolgt eine erste, über einen Zeitraum von 24 Stunden andauernde Messung der Bodentemperatur. Dieser Zyklus soll anschließend bis zum Erreichen der Endtiefe wiederholt werden. Die vorgesehene Tiefe von fünf Metern soll innerhalb von 30 Tagen erreicht werden. Anschließend werden die Messungen bis zum Ende der Mission fortgesetzt.
Das Design von GEMS beruht auf dem Aufbau der Marslander-Mission Phoenix, welche im Jahr 2008 fünf Monate auf unserem Nachbarplaneten aktiv war. Allerdings soll GEMS nach den bisherigen Planungen über einen Zeitraum von 24 Monaten Daten sammeln. Die endgültige Entscheidung darüber, welche der drei noch zur Auswahl stehenden Discovery-Missionen im Jahr 2016 starten soll, wird von der NASA im Laufe des Sommers 2012 getroffen werden. Sollte die GEMS-Mission ausgewählt werden, so würde der Lander in der Äquatorregion des Mars zwischen einem Grad nördlicher und 14 Grad südlicher Breite landen. Das Landegebiet müsste dabei mindestens 2,5 Kilometer unter dem durchschnittlichen Höhenniveau des Mars liegen.
Unabhängig vom Ausgang dieser Entscheidung wird das HP3-Instrument jedoch sehr wahrscheinlich bei zukünftigen Mars-Missionen eine wichtige Rolle spielen. So ist zum Beispiel damit zu rechnen, dass ab dem Jahr 2020 mit dem Aufbau eines den gesamten Mars umfassenden Netzwerkes von kleineren Landeeinheiten begonnen werden wird, welche dann die meteorologischen und geophysikalischen Eigenschaften des Planeten näher untersuchen sollen. Darüber hinaus ergeben sich auch auf dem Mond noch weitere Einsatzmöglichkeiten, wo zum Beispiel immer noch der Aufbau eines „International Lunar Networks“ im Gespräch ist. Auch hier würde die Analyse geophysikalischer Eigenschaften im Vordergrund stehen.
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