Morgen soll das Weltraumteleskop Gaia von Kourou aus ins All geschickt werden. Ziel ist der Lagrangepunkt 2 des Sonne-Erde-Systems. Hier soll Gaia Milliarden Sterne unserer Galaxie vermessen und erstmals die Grundlagen für ein dreidimensionales Modell unseres Sternensystems schaffen.
Ein Beitrag von Günther Glatzel. Quelle: ESA, Raumcon, Astrostammtisch Leipzig.
Der Start soll morgen gegen 10.12 Uhr MEZ an der Spitze einer Sojus-Trägerrakete erfolgen. Im Verlaufe mehrerer Wochen soll das Weltraumteleskop dann seine Arbeitsposition etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt auf der sonnenabgewandten Seite beziehen. Hier sorgen die Schwerkraft der Sonne und der Erde gemeinsam dafür, dass ein Raumfahrzeug mit derselben Winkelgeschwindigkeit die Sonne umrundet, wie die Erde, also von uns aus gesehen, stets im selben Bereich neben unserem Heimatplaneten verbleibt.
Gaia versteht sich als Nachfolgeprojekt von Hipparcos (1989 bis 1993), dessen Ergebnis die genaue Vermessung von etwa 118.000 Sternen unserer Galaxie war. Folgearbeiten haben außerdem zufriedenstellende Positionsdaten für mehrere Millionen weitere Sterne erbracht. Gaia soll diese Daten nun präzisieren und bedeutend erweitern. Damit verfügt man am Ende des Projekts, die endgültige Publikation ist für 2022 geplant, über ausreichend viele und genaue Daten, um ein dreidimensionales Modell der Milchstraße zu erstellen, mit dem man durch Simulationen viel über Entstehung und Entwicklung von Spiralgalaxien im Allgemeinen und der Galaxis im Speziellen lernen und verstehen möchte.
Nebenbei möchte man auch eine Vielzahl (mindestens im Tausenderbereich) bisher unbekannter Brauner und Weißer Zwerge, Exoplaneten sowie Asteroiden und Kometen in unserem Planetensystem und Supernovae in den Weiten des Universums aufspüren. Außerdem kann man mit hoher Genauigkeit Raumkrümmungen ermitteln, die von der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein beschrieben werden.
Mit Hilfe dreier sehr genauer Messeinrichtungen kann man nicht nur die Positionen und Entfernungen der Sterne erfassen, sondern auch Sternspektren und damit Temperatur und Größe der Sterne, die Metallizität der Sterne sowie Richtung und Geschwindigkeit ihrer Bewegungen uns gegenüber. Dabei lassen sich auch kleine Varianzen ermitteln, die Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Planeten in deren Umfeld zulassen.
Das Feld Exoplaneten kann man obendrein mit drei, möglicherweise sogar fünf verschiedenen Methoden beackern. Zum Einen kann man an der Art eines periodisch auftretenden, zeitweiligen Helligkeitsabfalls erkennen, wenn ein Planet zwischen unserer Position und dem Stern hindurchzieht (Transitmethode). Die Erde beispielsweise könnte für einen Außenstehenden einen Helligkeitsabfall von etwa 0,465% verursachen. Bisher arbeiteten die Weltraumteleskope CoRoT (ESA) und Kepler (NASA) nach diesem Verfahren, mittlerweile gibt es aber auch viele irdische Teleskope im Profi- und Amateurbereich, die sich an der Jagd auf Exoplaneten beteiligen.
Die zweite Methode funktioniert über die Messung der Radialgeschwindigkeit von Sternen. Haben diese einen oder mehrere Planeten, so bewegen sie sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt auf einer kreisähnlichen Bahn. Dabei kommen sie unserer Position manchmal näher, manchmal entfernen sie sich von uns. Dabei ergibt sich eine Rot- bzw. Blauverschiebung des ausgesandten Lichtes, da die Lichtwellen mal gestreckt, mal gestaucht werden. Diese Methode ist sehr empfindlich. Außerdem hat Gaia dafür einen speziellen Detektorbereich. Die Erde verursacht, dass unsere Sonne für einen außenstehenden Beobachter mit maximal 9 Zentimeter pro Sekunde vor und zurück wackelt, wenn dieser sich in der Ebene der Ekliptik befindet.
Aufgrund des sehr fein auflösenden Detektorfeldes aus ladungsgekoppelten Bauteilen (CCD = charge coupled device) sollten sich größere Exoplaneten bei nicht weit entfernten Sternen auch direkt abbilden lassen. Außerdem kann man ebenso aus den Schwankungen der Abstände von Sternen gegeneinander auf die Existenz von Exoplaneten schließen (Astrometriemethode). Schließlich könnten auch sogenannte Mikrogravitationslinsen die Anwesenheit von Exoplaneten verraten, wenn sie dahinter liegende Sterne kurzzeitig vergrößern.
Insgesamt verfügt Gaia über ein Feld von 106 CCD-Chips mit annähernd 1 Milliarde Einzeldetektoren. Das sind fast 1.000 Megapixel oder 1 Gigapixel. Daraus ergibt sich ein hohes Auflösungsvermögen, besonders im Astrometriebereich bis zu Sternen 20. Helligkeitsklasse (Magnitude), von „einigen Millionstel“ einer Bogensekunde. Auch die spektrale Auflösung des Photometerbereiches von 3 bis 27 Nanometern pro Pixel ist für ein Weltraumteleskop herausragend. Komplettiert wird das System durch die Spektroskopie mit einer Genauigkeit von einem Elftausendfünfhundertstel der Wellenlänge im Infraroten Licht.
Alle Detektoren, also das Radialgeschwindigkeitsspektrometer, Wellenfrontdetektoren, das Astrometriefeld, der Baisiswinkelmonitor, ein Weitfeldspektrometer, ein „Blau“-Licht-Photometer (330 bis 680 nm, also ultraviolett über blau bis hellrot), ein „Rot“-Licht-Photometer (640 bis 1050 nm, also rot bis infrarot) sowie ein Infrarot-Spektrometer (845 bis 872 nm) teilen sich die 106 CCDs innerhalb der Brennebene. Zuvor wird das Licht von 2 Hauptspiegeln mit den Abmessungen 1,45 m mal 0,50 m eingefangen und fokussiert und in das System geleitet. Hier wird es über mehrere Umlenkspiegel den entsprechenden Messkomplexen zugeführt und teilweise durch Prismen oder Gitter spektral zerlegt und zum Teil durch einen Lichtwegkorrektor geschickt. Die Brennweite der rechteckigen aber sphärischen Hauptspiegel liegt bei 35 Metern.
Nach dem Start soll es einige Monate dauern, alle Systeme in Betrieb zu nehmen, zu testen und zu eichen. Danach ist ein mehrjähriger Messbetrieb geplant. Die Nutzungsdauer kann verlängert werden, da man kein Kühlmittel verwendet, was ausgehen könnte. Begrenzt wird sie aber durch den Vorrat an Kaltgas, welches zur genauen Ausrichtung des Teleskops verwendet wird.
Ein etwa 10 Meter großer im All entfaltbarer Schirm soll das Licht der Sonne von den empfindlichen Instrumenten fern halten. Die Veröffentlichung der Endergebnisse in einem neuen Sternkatalog mit genaueren Positions- und Spektraldaten, Angaben über Bewegungsrichtungen und -geschwindigkeiten sowie die Zusammensetzung und das Alter von einer Milliarde Sterne der Milchstraße soll 2022 erfolgen. Hoffen wir, dass wir zwischendurch ebenfalls recht oft von neuen und spektakulären Entdeckungen hören und sehen können.
Gaia auf der ESA-Seite:
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