Forschungsziele der Mission

Venus Express soll bei der Beantwortung verschiedener wissenschaftlicher Fragestellungen helfen. Besonders interessiert natürlich die Frage, warum dieser Schwesterplanet der Erde sich so vollkommen anders als unser Heimatplanet entwickelt hat.

Autor: Michael Stein.

Übersicht über die verschiedenen Beobachtungsmodi von Venus Express. Beim „Limb-Sounding“ wird das durch die obere Venusatmosphäre laufende Licht von Sternen untersucht, um etwas über die Atmosphäre zu erfahren.
(Grafik: ESA)

Venus und Erde als Schwesterplaneten zu bezeichnen, ist naheliegend – zumindest auf den ersten Blick. Die Größe beider Himmelskörper ist geradezu verblüffend ähnlich, beide Planeten zeichnen sich durch eine feste, stark silikathaltige Oberfläche aus und können mit einer Atmosphäre aufwarten. Doch bei näherer Betrachtung relativiert sich das Bild der beiden Schwestern sehr schnell; wenn, dann sind es sehr ungleiche Schwestern, die da um unser Zentralgestirn kreisen. Mit Venus Express wird im Jahr 2006 nach fast zehnjähriger Pause wieder eine Raumsonde in einen Orbit um den zweiten Planeten des Sonnensystems einschwenken.

Die wissenschaftlichen Fragestellungen, auf die der europäische Orbiter Antworten liefern soll, sind vielfältig:

  • Wieso verfügt der Planet über eine extrem dynamische Atmosphäre? Während Venus selbst 243 Erdentage für eine Drehung um die eigene Achse benötigt, rotiert die Atmosphäre mit hoher Geschwindigkeit um den Planeten.
  • Durch welche Prozesse entstehen und vergehen Wolken und Dunstgebiete in der extrem dichten Venusatmosphäre?
  • Durch welche Prozesse wird die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre bestimmt?
  • Hat der „Treibhaus-Effekt“ bei der Entwicklung des globalen Planetenklimas eine bedeutende Rolle gespielt oder resultiert der heutige Zustand auf der Venus vorwiegend aus der – verglichen mit der Erde – größeren Nähe zur Sonne?
  • Existieren Wasser-, Kohlendioxid- oder Schwefelsäure-Kreisläufe auf der Venus (ähnlich wie der Wasserkreislauf auf der Erde)?
  • Wodurch wurde die globale Umgestaltung der Venusoberfläche vor rund 500 Millionen Jahren, bei der große Teile des Planeten von riesigen Lavaströmen bedeckt wurden, verursacht?
  • Gibt es vulkanische oder seismische Aktivität auf der Venus?

Der Fragenkatalog ist lang und anspruchsvoll. Neue Erkenntnisse über die Atmosphäre soll vor allem der kombinierte Einsatz mehrerer wissenschaftlicher Instrumente bringen, mit denen die Raumsonde ausgestattet ist. Die Betrachtung der Venusatmosphäre wird zeitgleich in mehreren Spektralbereichen erfolgen, was ein umfassendes Bild der Vorgänge in der Lufthülle unseres Nachbarplaneten liefern wird.

Diesem Zweck dient auch die stark elliptische Umlaufbahn von Venus Express. Alle 24 Stunden wird die Raumsonde auf ihrer polaren Umlaufbahn einmal über die beiden Pole des Planeten hinwegfliegen, während der Planet sich langsam unter dem Orbiter dreht. Durch die zwischen 250 und rund 66.000 Kilometern schwankende Entfernung zur Planetenoberfläche ist es möglich, auch die verschiedenen Übergangsschichten der Venusatmosphäre eingehend zu untersuchen. Während des ersten Venustages (der wie erwähnt ganze 243 Erdentage lang ist) werden die Instrumente eine globale „Kartierung“ des Planeten durchführen, um danach entweder noch vorhandene Beobachtungslücken zu füllen oder aber besonders interessante Aspekte eingehender zu untersuchen. Vor allem die nördliche Hemisphäre der Venus wird Venus Express sehr detailreich observieren können, da die Umlaufbahn den Orbiter dort am nächsten an den Planeten heranführt. Eine interessante Formation, die dabei näher untersucht werden soll, ist beispielsweise das Hochland Ishtar Terra, von dem sich die Geologen Hinweise erhoffen, ob ähnlich wie auf der Erde Bewegungen der Planetenoberfläche stattfinden.

Ein Fenster in die Tiefe
Interessanterweise wurde bei Venusbeobachtungen mit erdgebundenen Instrumenten Ende der 1980er Jahre festgestellt, dass auf der Nachtseite des Planeten infrarote Strahlung aus den unteren Atmosphärenschichten und sogar von der Venusoberfläche ins Weltall gelangt. Dabei durchdringt diese Strahlung sogar den gut 20 Kilometer dicken Wolkengürtel, der die Venus in einer Höhe ab 60 Kilometer über der Oberfläche umgibt und bisher dafür gesorgt hat, dass kaum nennenswerte Kenntnisse über die unteren Schichten der Venusatmosphäre und die Oberfläche vorhanden sind. Die Instrumentierung von Venus Express wird es erlauben, dieses „Infrarot-Fenster“ auf die Oberfläche zu nutzen, um neue Daten beispielsweise über Oberflächentemperaturen und Prozesse in der unteren Venusatmosphäre zu gewinnen. So ist zwar bekannt, dass das gelbliche Erscheinungsbild der Venus von Schwefelsäure-Partikeln in der oberen Atmosphäre herrührt, doch wie die darunter liegenden sechzig Kilometer der dichten Lufthülle zusammengesetzt ist, stellt derzeit noch eine offene Frage dar. Auch über die Entstehung und das Verhalten von Partikelwolken, die erstmals von den amerikanischen Pioneer-Venus-Raumsonden Ende der 1970er Jahre beobachtet worden sind, sollen die Instrumente von Venus Express neue Erkenntnisse liefern.

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